Euro-Schuldenkrise
Griechenland - Gefährliche Wahl zwischen lauter Übeln
Die Griechen steuern auf eine Staatspleite zu. Die Chancen, die Probleme in den Griff zu bekommen, stehen nicht gut. Drei Szenarien.
Von Jan Hildebrand
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Wolfgang Schäuble hat eine böse Vorahnung. Kurz vor der Abstimmung über das zweite Rettungsprogramm für Griechenland im Februar schickt der Bundesfinanzminister den Abgeordneten einen Brief, der mit einer Warnung endet: "Es gibt keine Garantien, dass der eingeschlagene Weg zum Erfolg führt." Und: "Es ist möglicherweise auch nicht das letzte Mal, dass sich der Deutsche Bundestag mit Finanzhilfen für Griechenland befassen muss."
Schäuble dürfte recht behalten. Seine Vorhersage könnte schneller Realität werden, als er selbst befürchtet haben dürfte. Derzeit sind die Experten von Europäischer Union, Europäischer Zentralbank (EZB) und Internationalem Währungsfonds (IWF) in Athen wieder unterwegs und prüfen, wie es um das laufende, zweite Hilfsprogramm steht. Anfang September wollen sie ihren Bericht vorlegen. Schon jetzt ist klar: Er wird nicht gut ausfallen. "Das Programm ist komplett aus der Spur", sagt ein Beteiligter. Wieder einmal haben sich die Annahmen der Troika als zu optimistisch erwiesen. Vor allem aber hat der lange Wahlkampf, in dem das Land praktisch nicht regiert wurde, tiefe Löcher in das Zahlenwerk der Troika gerissen. Der zusätzliche Finanzbedarf Griechenlands soll sich jetzt auf zehn bis 50 Milliarden Euro belaufen.
Nun stellt sich die Frage, ob und wie diese Lücke geschlossen werden soll. Die Antwort birgt enorme politische Sprengkraft, nicht nur, aber vor allem für die schwarz-gelbe Koalition in Berlin. Drei Szenarien werden in den Hinterzimmern der deutschen Hauptstadt diskutiert. Die "Berliner Morgenpost stellt sie und ihre Risiken vor:
Szenario 1: Neues Hilfspaket
Trotz aller Rückschläge könnten die Euro-Staaten Griechenland weiter unterstützen. Dann müsste im Herbst die nächste Tranche aus dem laufenden Rettungspaket über 31,3 Milliarden Euro auszahlen. Im Bundestag müsste der Haushaltsausschuss zustimmen. Das Geld ist allerdings von Athen sowieso schon verplant. Um den zusätzlichen Finanzbedarf zu decken, müsste es ein drittes Hilfsprogramm geben, so wie Schäuble es bereits im Februar andeutete. Doch es ist fraglich, ob Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) dafür eine Mehrheit in ihrer schwarz-gelben Koalition bekommen würde.
"Ausgeschlossen", sagt ein hochrangiger Koalitionär zu einem dritten Rettungspaket. "Dann müssten wir gar nicht zur Bundestagswahl antreten". In der Öffentlichkeit sind die Milliardenüberweisungen nach Athen unpopulär. Aber auch vielen Abgeordnete aus Union und FDP plagen Zweifel, ob sie nicht Geld in ein Fass ohne Boden stecken. Schon für das zweite Programm hatte Merkel die eigenen Truppen nur mit Mühe gewinnen können.
Bei der EU sind die Erwartungen an Merkel hoch: Sie werde schon eine Mehrheit organisieren, heißt es. Und: "Eine schwarz-rote Mehrheit würde es geben." Mit anderen Worten: Merkel soll ihre Koalition für Griechenland aufgeben – oder zumindest damit drohen. Das wird in Berlin erwartungsgemäß zurückgewiesen. Zuletzt, etwa beim Hilfspaket für spanische Banken, half die SPD allerdings bereits kräftig mit, eine Mehrheit zu beschaffen.
Allerdings ist ein dritte Hilfspaket trotzdem nicht ausgeschlossen, entgegen anders lautender Medienberichte. Nach Informationen der Berliner Morgenpost wird in der Bundesregierung zumindest geprüft, ob sich die Finanzlücke in Athen schließen lässt. Die damit verbundene Hoffnung: Wenn der zusätzliche Bedarf nicht zu groß ist, könnte Griechenland einen Teil durch zusätzliche Maßnahmen selbst beisteuern. Den Rest könnten dann die Euro-Partner draufpacken – solange die Summe klein genug ist, könnte sich eine Mehrheit in der Koalition finden. Als Alternative könnten auch im bestehenden Hilfsprogramm Zahlungen vorgezogen werden. Dann würde es zwar nicht, wie geplant, bis Ende 2014 reichen – aber vielleicht zumindest über die Bundestagswahl im Herbst nächsten Jahres.
Szenario 2: Teilentschuldung
Der Finanzbedarf Griechenlands könnte auch durch einen weiteren Schuldenschnitt gelindert werden. Bereits im Zuge des zweiten Hilfspaket hatten Banken und Versicherungen auf einen Teil ihrer Forderungen verzichtet und Athen so um 100 Milliarden Euro entlastet. Allerdings lässt sich das nicht einfach wiederholen, bei den privaten Gläubigern ist kaum noch etwas zu holen. Nur einige Investoren, die sich bei der ersten Umschuldung nicht beteiligt hatten, könnten noch zur Kasse gebeten werden.
Sonst gibt es nur noch öffentliche Gläubiger: Die Euro-Staaten und der IWF haben Griechenland bisher Kredite von knapp 149 Milliarden Euro gewährt. Dass der IWF auf Forderungen verzichtet, gilt als ausgeschlossen. Ein weiteres Problem tut sich auf: Die Kredite haben bereits sehr lange Laufzeiten und sehr niedrige Zinsen. Zugeständnisse würden Griechenland also kurzfristig kaum entlasten.
Somit bleiben noch die Anleihen, die bei der EZB liegen, angeblich rund 45 Milliarden Euro. Schon bei der ersten Umschuldung gab es Politiker, die forderten, die Zentralbank solle sich beteiligen. Die Notenbanker sind davon aber nicht begeistert. Sie waren damals eingesprungen, solange die Regierungen nicht handelten. Die Aktion war von Anfang an umstritten. Die Zentralbanker sehen nicht ein, dafür im Nachhinein noch durch Abschreibungen bestraft zu werden. Ein Schuldenschnitt gilt deshalb als unwahrscheinlich.
Nach Informationen der Berliner Morgenpost wird aber eine sanftere Variante diskutiert: Die EZB hat die Anleihen teilweise zu sehr günstigen Kursen am Markt gekauft. Wenn sie nun fällig werden und Athen die komplette Summe zurückzahlte, würden der Zentralbank Buchgewinne entstehen. Es gibt Überlegungen, dass sie diese dann auch weiterreicht.
Szenario 3: Pleite, Euro-Austritt
Sollten sich die Regierungschefs der Euro-Zone gegen die Optionen eins, zwei oder eine Kombination aus beiden entscheiden, bleibt nur die Radikallösung: eine Pleite Griechenlands. Wenn das Land keine Hilfe bekommt, ist es im Herbst bankrott. Die Folgen wären erheblich, nicht zuletzt für den deutschen Staatshaushalt. So müssten die Hilfskredite, die bei den zwei Hilfsprogrammen bisher ausgezahlt wurden, abgeschrieben werden. Für Deutschland geht es um mindestens 45 Milliarden Euro. Hinzu kämen noch die Verluste bei der EZB.
Nach der Pleite würde sich unmittelbar die Frage anschließen, ob Griechenland in der Euro-Zone bleiben kann. Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) sagt, er sei mittlerweile "mehr als skeptisch". Für den Vizekanzler hat ein Austritt Athens aus der Währungsunion "längst seinen Schrecken verloren". Diese Ansicht teilen einige Ökonomen. Sie glauben, dass Griechenland nur mit der Drachme gesunden kann. Die schwächere Währung würde das Land wettbewerbsfähiger machen.
Andere Experten warnen hingegen vor Verwerfungen. Banken und viele Unternehmen würde durch die schwache Drachme ihre Schulden nicht bezahlen können und pleitegehen. Zudem fürchten die Ökonomen eine Inflation. Obendrein würden die Griechen ihr Erspartes und ihre Rentenansprüche zu einem Großteil verlieren. Die EU und der IWF müssten auch in diesem Fall helfen, wenn sie nicht wollen, dass das Land ins Chaos stürzt. Zudem könnten die Turbulenzen auf andere Staaten wie Portugal, Spanien und Italien überspringen. Für Merkel war eine Staatspleite und ein möglicher Euro-Austritt Griechenlands deshalb bisher keine Option – zumindest nicht, solange die anderen Krisenländer nicht stabilisiert sind.
Ob das nach wie vor gilt, wollte der stellvertretende Regierungssprecher Georg Streiter nicht sagen. Auf die Frage nach den verschiedenen Äußerungen der Koalitionspolitiker sagte er: "Sie haben es hier mit Menschen zu tun." Die Bundesregierung werde nun abwarten, bis Anfang September der Troika-Bericht vorliege. Das tue sie "hoffnungsvoll, skeptisch, interessiert und gespannt".
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