Schon 1908 tricksten die Griechen beim Geld
Hemmungsloser Umgang mit Steuergeld und ein notorisch ineffizientes Steuersystem haben in Griechenland lange Tradition. Schon einmal flog das Land aus einer europäischen Währungsunion.
Von Konrad Putzier
Hätten sich die Regierungschefs der Euro-Zone am 1. Januar 2001 nur an die Worte des amerikanischen Finanzexperten Henry Parker Willis erinnert! "In keinem Fall ist Griechenland ein wünschenswertes Mitglied der Währungsunion", hatte er geschrieben. "Das Land ist in einem bemitleidenswerten Zustand: Wirtschaftlich unseriös, von politischen Streitereien gelähmt und finanziell verrottet."
An jenem Tag wurde Griechenland in die europäische Gemeinschaftswährung aufgenommen, der weitere Verlauf der Geschichte ist bekannt. Es ist allerdings nicht verwunderlich, dass die EU-Politiker Willis' Warnung keine Beachtung schenkten. Schließlich war sie damals ziemlich genau 100 Jahre alt. Sie bezog sich auch nicht auf Griechenlands Mitgliedschaft in der Euro-Zone, sondern in der Lateinischen Münzunion.
Lateinische Münzunion war historischer Euro-Vorläufer
Die meisten Menschen halten den Euro für ein gewagtes Experiment ohne Präzedenzfall. Dabei gab es schon einmal so etwas wie eine europäische Gemeinschaftswährung. Zwischen den Jahren 1865 und 1927 waren zehn europäische Staaten in der sogenannten Lateinischen Münzunion vereint.
Das Bündnis war zwar vergleichsweise lose, und doch hat die Euro-Zone viele Charakteristika und Probleme mit ihrem Vorgänger gemeinsam. Die Lateinische Union wurde mit ähnlich großen Erwartungen gegründet und auch sie hatte mit Konstruktionsfehlern und exzessiver Staatsverschuldung zu kämpfen. Schuldenstaaten waren damals wie heute: Griechenland und Italien.
Am 20. November 1865 trafen sich Vertreter Frankreichs, Belgiens, Italiens und der Schweiz zu einer Konferenz im französischen Außenministerium am Quai d'Orsay in Paris. Sie tagten mehr als einen Monat lang. Der Ort des Treffens war passend gewählt: Inneneinrichter aus Deutschland, Österreich und Frankreich hatten Marmorskulpturen, Kronleuchter und Teppiche geliefert – und einen kontinentaleuropäischen Palast geschaffen.
Das Gebäude war imposant, der Stolz des französischen Königs Napoleon III. Doch den Delegierten gelang an jenem Ort etwas viel Beeindruckenderes: Am 23. Dezember 1865 verkündeten sie die erste europäische Währungsunion. Die Münzen der vier Staaten behielten zwar ihre alten Namen, hatten von nun an aber einen fixen Wechselkurs von eins zu eins zueinander, und die Zentralbanken mussten die Münzen der anderen Mitgliedsländer als Zahlungsmittel akzeptieren.
Münzunion sollte den Handel einfacher machen
Davon versprach man sich vor allem wirtschaftliche Vorteile. Die Union würde nicht nur den internationalen Handel einfacher und Währungsspekulation schwieriger machen, sondern den Mitgliedsländern auch geldpolitische Glaubwürdigkeit und den damit verbundenen Zugang zu globalen Finanzmärkten gewähren.
Die Presse war vom Ergebnis der Konferenz begeistert. "Von Antwerpen bis Brindisi" konnten Reisende nun "mit derselben Münze bezahlen, ohne das Risiko und die Unannehmlichkeit des Geldwechselns", schrieb die "Edinburgh Review". Die britische Tageszeitung "The Times" hielt die Union für "einen sehr wichtigen Fortschritt in der Entwicklung der europäischen Zivilisation" und der "Economist" sah von nun an "keinen Grund, warum jedes Land eine separate Währung haben sollte".
Träume vom geeinten Europa
Doch für Felix Esquirou de Parieu, den Vizepräsidenten des französischen Staatsrates und Gastgeber der Konferenz, ging es bei der Union um viel mehr als nur wirtschaftliche Vorteile. Der Mann mit der grauen Mähne und dem entschlossenen Blick sah die Währungsunion nur als ersten Schritt zu einer "Europäischen Union" mit einer Gemeinschaftswährung namens "Europe".
Er träumte von einem föderalen Staat unter der Leitung einer "Europäischen Kommission", die von einem Europäischen Parlament gewählt werden solle. Wenn sich die Staaten Europas zu einer Währungsunion zusammenschließen konnten, war eine politische Union plötzlich gar nicht mehr so utopisch.
Deutschland blieb außen vor
Im Dezember 1865 schien völlig außer Frage, dass der Lateinischen Münzunion die Zukunft gehörte. In den folgenden Jahren traten Griechenland, Spanien, Rumänien, Bulgarien, Serbien und Österreich-Ungarn der Union bei. Großbritannien und Deutschland blieben lieber außen vor, und zwar mit gutem Grund. Denn schon bald wurde deutlich, wie fehlerhaft die Union konstruiert war.
Die Mitgliedstaaten hatten sich zwar über ihre Währungen miteinander verbunden, wollten gleichzeitig aber so wenig nationale Souveränität wie möglich abgeben. Jedes Land behielt daher seine eigene Zentralbank und konnte weiterhin selbst entscheiden, wie viel Geld es in Umlauf brachte.
Gold- und Silbergehalt der Münzen war festgelegt
Die Gründer der Union sahen dies nicht als Problem, denn der Wert der Münzen innerhalb der Union basierte auf ihrem Gold- bzw. Silbergehalt, das festgelegt war. Ein Land konnte nur so viele Münzen pressen, wie es die Edelmetallvorräte erlaubten.
Doch die Gründer hatten eine damals noch recht neue Innovation vergessen: Papiergeld. Banknoten wurden damals nicht als richtiges Geld angesehen, daher waren sie vom fixen Wechselkurs ausgenommen. Da die Zentralbanken der Mitgliedsländer unabhängig waren, konnten sie so viele Scheine drucken, wie sie wollten. Dies wurde schnell zu einem ernsten Problem.
Papiergeld schaffte dann ein neues Problem
Seit seiner Staatsgründung im Jahr 1863 hatte Italien mit chronischer Staatsverschuldung zu kämpfen. Um den Bankrott zu vermeiden, druckte die italienische Zentralbank große Mengen an Papiergeld. Die Flut von Banknoten führte zu Inflation, was die italienischen Gold- und Silbermünzen in die anderen Mitgliedsländer der Währungsunion fließen ließ.
Der Wechselkurs war schließlich auf eins zu eins festgesetzt, und aufgrund der niedrigeren Inflation in Frankreich oder Belgien waren die italienischen Münzen dort mehr wert als zu Hause. Der massive Zufluss an italienischen Münzen führte jedoch bald auch in Frankreich und Belgien zu Inflation. Hohe Staatsverschuldung in Italien sorgte so für die wirtschaftliche Destabilisierung der gesamten Union.
Griechenlands Steuersystem war notorisch ineffizient
Das Problem verschärfte sich, als weitere Staaten Italiens Beispiel folgten, allen voran Griechenland. Das arme Bauernland kämpfte in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts nahezu permanent gegen den Staatsbankrott. Das griechische Steuersystem war notorisch ineffizient. Gleichzeitig überboten sich die Parteien der jungen Demokratie regelmäßig mit teuren Wahlgeschenken.
Der Bau von Kanälen und Eisenbahnstrecken wurde beschlossen, den sich die Griechen genauso wenig leisten konnten wie die Rolle als Gastgeber der ersten Olympischen Spiele im Jahr 1896.
1893 war Griechenland insolvent
Im Jahr 1893 trat der griechische Premier Charilaos Trikoupis mit ernstem Gesicht vor das Parlament und verkündete: "Bedauerlicherweise sind wir bankrott." Trikoupis, der dem griechischen Pleitepremier von 2011, Giorgios Papandreou, mit Glatze und seinem Schnurrbart erstaunlich ähnlich sieht, begann zähe Verhandlungen mit ausländischen Gläubigern.
Im Gegenzug für einen Schuldenschnitt musste Athen ausländischen Experten erlauben, den Fortschritt wirtschaftlicher und fiskalischer Reformen zu überwachen. Doch das Land blieb verschuldet, druckte große Mengen an Papiergeld – und destabilisierte die gesamte Lateinische Münzunion. Erst nach dem Rauswurf aus der Union im Jahr 1908 löste das Land sein Schuldenproblem, zwei Jahre danach konnte es wieder aufgenommen werden.
Münzunion war gespalten
Die Union war in zwei Lager gespalten: Auf der einen Seite die wirtschaftlich starken und fiskalisch disziplinierten Staaten des Nordens, allen voran Frankreich und Belgien, auf der anderen die Schuldenstaaten des Südens. Genau wie die Euro-Zone krankte die Münzunion daran, dass die Mitgliedstaaten zwar von einer gemeinsamen Währung profitieren, gleichzeitig aber auf möglichst wenig nationale Souveränität verzichten wollten.
Sie behielten ihre Autonomie, und so konnte die rücksichtslose Haushaltspolitik einiger Staaten die gesamte Union in die Krise stürzen. Bald forderten immer mehr Menschen in Paris und Brüssel die Auflösung der Münzunion. Belgien trat 1885 sogar kurzzeitig aus. Dass die Union bestehen blieb, lag vor allem an den hohen Kosten eines Auseinanderbrechens.
Münzunion hielt viel zu lange
Ein Großteil der italienischen und griechischen Münzen war nun in französischem und belgischem Besitz gelandet. Im Falle eines Auseinanderbrechens der Union würden sie rapide an Wert verlieren und zu hohen Abschreibungen im Norden führen. Ein Fortbestand war teuer, schließlich finanzierten Belgien und Frankreich de facto die Staatsdefizite von Italien und Griechenland mit.
Doch ein Auseinanderbrechen wäre noch viel teurer geworden, hätte zudem zu Staatsbankrotten im Süden und möglicherweise zu einer verschärften Finanzkrise geführt. "Die Union wurde fortgeführt", schrieb der US-Ökonom James Laurence Laughlin 1898, "weil es tatsächlich unmöglich war, dass sie zu existieren aufhört".
Obwohl die Union nie funktionierte, vegetierte sie mehr als sechzig Jahre lang vor sich hin. Sie überstand die große Depression der 1870er-Jahre und die Baring-Krise von 1890. Erst die Katastrophe des Ersten Weltkriegs und der nachfolgende wirtschaftliche Kollaps führten mit ein paar Jahren Verspätung zum Ende im Jahr 1927. Eine nicht funktionierende Währungsunion kann erstaunlich langlebig sein.
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