WIRTSCHAFT
Die Spur des Geldes
Sonntag, 28. September 2014, 10:29 Uhr
Wie entsteht eigentlich Geld? Klar: Scheine werden gedruckt und Münzen geprägt. Aber das ist nicht die volle Wahrheit. Geld wird auch einfach per Knopfdruck elektronisch geschaffen. Die Lizenz dazu haben anders als beim Bargeld die privaten Banken – auch wenn ihnen die Zentralbank dabei auf die Finger schaut.
Gegenwärtig allerdings dürften die Banken im Euroraum gerne mehr Geld schöpfen, wenn es nach der Europäischen Zentralbank ginge. Damit die Konjunktur in Gang kommt. Tun sie aber nicht. Warum eigentlich nicht? Ein Blick in den Maschinenraum der Geldschöpfung.
In einer Bankfiliale sitzt ein Kunde, der einen Konsumentenkredit haben möchte. Die Bank prüft seine Bonität und räumt ihm 20.000 Euro Kredit ein. Der Kunde kann jetzt zum nächsten Geldautomaten gehen und den bis eben nur theoretisch möglichen Kredit in reales Bargeld umwandeln. Das Darlehen zahlt er anschließend über einen vereinbarten Zeitraum hinweg ab.
Euro- und Dollar-Scheine. Neben den klassischen Druckmaschinen der Zentralbanken erschaffen auch Banken Geld - digital. AFP
Aus konjunktureller Sicht ist das prima, denn mit dem Geld wird konsumiert. Aus Sicht der Bank ist das Darlehen eine Investition, die mit einem Risiko verbunden ist, wenngleich die regelmäßigen Gehaltszahlungen, die der Kreditnehmer erhält, ihr eine gewisse Sicherheit bieten, dass die Investition sich auszahlt.
Die Bank muss sich für diesen Kredit das Geld bei der Zentralbank borgen und dafür eine Sicherheit hinterlegen. Das gleiche gilt auch für alle anderen Darlehen und Investitionen. Für sie muss die Bank bei der EZB sogenannte Mindestreserven unterhalten.
Aber was für Sicherheiten bekommt die EZB? Das sind ebenfalls Kredite. Zum Beispiel Kredit, den die Bank ihrer eigenen Regierung gegeben hat, indem sie eine ihrer Staatsanleihen gekauft hat. Möglich sind aber auch viele andere Wertpapiere, die bei Einlösung Zahlungen versprechen: besicherte und unbesicherte Bankanleihen, Unternehmensanleihen, verbriefte Kredite (Asset-backed securities - ABS) sowie andere marktgängige und auch nicht marktgängige Wertpapiere.
Die Liste der Papiere, die die EZB in ihren Refinanzierungsgeschäften – kurz Repo-Geschäften – mit den Geschäftsbanken akzeptiert, hat sich in den vergangenen Jahren stetig verlängert. Viele Banken, gerade in Südeuropa, wären andernfalls zahlungsunfähig geworden. Und das hätte dann auch die deutschen Banken und die gesamte Volkswirtschaft in Mitleidenschaft gezogen.
Seit 2004 hat sich das Volumen dieser als Zentralbanksicherheit einsetzbaren Papiere um 84 Prozent auf zuletzt 14 Billionen Euro erhöht. Tatsächlich eingesetzt wurden im zweiten Quartal 2014 aber nur knapp 2 Billionen, vor zwei Jahren waren es noch 2,5 Billionen.
Zweierlei fällt bei diesen Zahlen auf: Obwohl nur 14 Prozent der repo-fähigen Sicherheiten von Banken genutzt werden, weitet die EZB die Liste der Papiere stetig aus, die sie als Sicherheiten anerkennt. Das lässt nur einen Schluss zu: Sie tut das nicht mit Blick auf das gesamte Bankensystem, sondern mit Rücksicht auf besonders schwache Institute. Außerdem zeigt sich, dass das Volumen der tatsächlich eingesetzten Kreditsicherheiten derzeit um 20 Prozent niedriger ausfällt als noch vor zwei Jahren.
Das kann der EZB nicht gefallen, denn der sinkende Gebrauch von Sicherheiten bedeutet auch immer eine sinkende Kreditvergabe. Tatsächlich schrumpft das Volumen der ausstehenden Kredite im Euroraum stetig – im Juli etwa lag es um 1,9 Prozent unter Vorjahresniveau.
Aber die EZB möchte die Kreditvergabe ankurbeln, denn nur wenn mehr Geld von Banken verliehen wird, dann wächst auch die Wirtschaft und nur dann bewegt sich die Inflation im Euroraum wieder in Richtung jener knapp unter 2 Prozent, die die EZB anstrebt. Zurzeit steigen die Preise gerade mal um 0,4 Prozent.
Der geringe Preisauftrieb bestätigt das Glaubensbekenntnis der Monetaristen, die gegenwärtig meinungsführend sind und Inflation für ein monetäres Phänomen halten. Das bedeutet im Normalfall: Wird zu viel Geld gedruckt, steigen irgendwann die Preise. Das ist der Grund, weshalb die EZB ihrem „Kreditgeldsystem" einen nominalen Stabilitätsanker verpasst hat: knapp 2 Prozent Geldentwertung pro Jahr sollen es sein – nicht mehr, aber auch nicht weniger.
Risiko einer zu geringen Inflation
Gegenwärtig allerdings besteht das Risiko eher in einer zu geringen Inflation. Die Hüter der Geldwertstabilität fürchten gar, dass Europa bei einer Rezession sogar rückläufige Preise erleben könnte. Und deshalb würde die EZB gerne mehr Geld im Umlauf haben. Dazu braucht sie jedoch die Banken und ihre Kreditvergabe. Warum aber vergeben die nicht einfach mehr Kredite? Das hat verschiedene Gründe.
Einigen der Banken steht das Wasser bis zum Hals. Sie haben Unternehmen in der Vergangenheit Kredite eingeräumt, denen es heute schlecht geht, und die ihre Raten nicht pünktlich bezahlen können. Das hindert sie unter Umständen, anderen Unternehmen, denen es vielleicht besser geht, Kredit zu geben.
Die EZB hat gerade die Bücher von 120 großen Banken geprüft, um solche Fälle aufzuspüren und die Banken zu zwingen, sich den Fakten zu stellen. Womit wir beim nächsten Faktor wären, der die Kreditvergabe und damit die Geldschöpfung beeinflusst: Die Möglichkeit der Banken zur Kreditvergabe wird nicht nur von verpfändeten Wertpapieren – also anderen Krediten – begrenzt, sondern auch von ihrem Eigenkapital. Haben sie nicht genug davon, können sie keine neuen Kredite vergeben.
Nach derzeit geltendem Recht müssen die Banken für 5,5 Prozent ihrer Kreditgeschäfte so genanntes hartes Kernkapital vorhalten. Das sind Aktienkapital und einbehaltene Gewinne. Dabei wird jedoch nach dem Risikogehalt der Kredite unterschieden. Rechtlich noch nicht bindend ist eine Eigenkapitalquote von 3 Prozent, die ohne Rücksicht auf unterschiedliche Risiken berechnet wird.
Kritikern des Bankensystems gilt eine Eigenkapitalquote von 3 Prozent als „Witz" – sie verweisen darauf, dass Unternehmen in Deutschland außerhalb der Finanzbranche im Schnitt rund 27 Prozent Eigenkapital haben. Trotzdem können sich Banken üblicherweise am Markt billiger Geld borgen als Industrieunternehmen.
Implizite Staatsgarantie für Banken?
Bankenkritikern gilt dieses Missverhältnis als Beweis einer impliziten Staatsgarantie für die Institute. Sie argumentieren: Würden die Anleger nicht an diese Rettungsgarantie glauben, dann würden sie von den Banken angesichts so niedriger Eigenkapitalquoten viel höhere Zinsen verlangen. Anmerkung: Derzeit erreichen noch nicht einmal alle Banken diese 3 Prozent Eigenkapital.
Die EZB wird im Oktober mit dem Ankauf von Kreditverbriefungen beginnen, und auch das hat unmittelbar mit Geldschöpfung zu tun: Die Banken erhalten Zentralbankgeld und können neue Kredit vergeben, zugleich wird ihre Bilanz von alten Krediten befreit.
Manchen Instituten wird das dabei helfen, 3 Prozent Eigenkapitalquote zu erreichen. Manche mögen, wie von der EZB beabsichtigt, neue Kredite an Unternehmen vergeben und damit Geld schöpfen.
Allerdings kommt an dieser Stelle ein weiterer Hinderungsgrund für eine höhere Geldschöpfung ins Spiel: Ursache der schwachen Kreditvergabe ist nicht allein ein unattraktives Angebot, sondern auch eine fehlende Nachfrage. Wegen der flauen Wirtschaft wollen viele Firmen gegenwärtig gar nicht investieren – warum sollten sie also Kredit aufnehmen?
Der monetäre Effekt von ABS-Käufen durch die EZB bleibt also auf das Bankensystem begrenzt, so lange die Institute aus dem Zentralbankgeld kein „kommerzielles" Geld machen. Das gleiche gilt für die von der EZB angekündigten Vierjahreskredite, die ebenfalls helfen sollten, die Geldversorgung der Realwirtschaft zu verbessern – es sei denn, die Banken geben das Geld einem Akteur, der garantiert immer welches gebrauchen kann: Dem Staat.
Staatsanleihen können die Banken mit Erträgen aus ABS-Verkäufen an die EZB unbegrenzt erwerben. Die vierjährigen EZB-Kredite sollen sie zwar nicht auf diese Weise verwenden – tun sie es aber doch, müssen sie das Geld erst nach zwei Jahren zurückzahlen.
Das erste Kreditgeschäft dieser Art, das in der EZB-Terminologie den sperrigen Namen Targeted longer-term refinancing operations (TLTROs) trägt und in der vergangenen Woche über die Bühne ging, deutet nicht auf eine stark anziehende Geldschöpfung hin. Die Nachfrage war mit 62,8 Milliarden Euro aus Sicht der Notenbanker eher enttäuschend.
Kontakt zum Autor: hans.bentzien@wsj.com
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