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Donnerstag, 27. November 2014

Ein tieferer Erdölpreis würde sich wegen der Lieferverträge zwar erst mit einer gewissen Verzögerung auswirken. Doch eine anhaltende Baisse könnte der Wirtschaft Venezuelas den letzten Stoss versetzen. Ein Zahlungsausfall wird immer wahrscheinlicher

Venezuela in Not

Der Ölpreis frisst die Revolution

Die Venezolaner blicken der Zukunft ihres Landes besorgt entgegen.
Die Venezolaner blicken der Zukunft ihres Landes besorgt entgegen. (Bild: Jorge Silva / Reuters)
Trotz seinem riesigen Erdölreichtum gehen Venezuela die Dollarreserven aus. Mit dem derzeitigen Erdölpreis kann sich das Land nicht mehr lange über Wasser halten.
Venezuelas Aussenminister Rafael Ramírez ist weit gereist in den vergangenen Tagen. Der ehemalige Energieminister und Präsident des staatlichen Erdölkonzerns Petróleos de Venezuela (PDVSA) war in einer wichtigen Mission unterwegs: Es galt, die Partner in der Organisation der erdölexportierenden Staaten (Opec) davon zu überzeugen, Massnahmen in die Wege zu leiten, um den Erdölpreis zurück auf die Marke von 100 $ pro Fass zu bringen. Der Preis hat seit Juni einen Zerfall von 30% erlebt und liegt derzeit bei rund 78 $ für die Sorte Brent und bei 74 $ für die Sorte WTI. Ramírez war bei den Opec-Mitgliedern Algerien, Katar und Iran, um für sein Anliegen zu werben. Auch Gespräche mit Russland und Mexiko, die nicht der Gruppe angehören, sollen stattgefunden haben. Ob sich die Opec an ihrer Sitzung heute Donnerstag zu einer Drosselung der Produktion durchringt, um den Preiszerfall zu stoppen, dürfte allerdings in erster Linie vom dominierenden Produzenten Saudiarabien abhängen . Doch Riad hat bisher den Eindruck erweckt, als würde es den derzeitigen Preis hinnehmen.

Schwindende Devisenreserven

Selten zitterte ein Land derart vor einer Sitzung der Opec, wie es Venezuela tut.Das Land hat sich in eine Lage manövriert , in der es kaum noch Spielraum hat und in welcher der Erdölpreis zur Überlebensfrage geworden ist. 96% der Exporteinnahmen Venezuelas stammen aus dem Erdölgeschäft. Fällt der Erdölpreis um einen Dollar, schlägt sich das mit Mindereinnahmen von jährlich 700 Mio. $ in der Staatskasse nieder. Einen solchen Ausfall kann sich die Regierung aus mehreren Gründen nicht leisten. Das Land ist nach Jahren der markanten Haushaltsdefizite – 2014 dürften es 22% des Bruttoinlandprodukts (BIP) sein – tief verschuldet. Die Schulden der öffentlichen Hand, inklusive PDVSA, belaufen sich laut einer Analyse des Institutes Ecoanalítica auf 160 Mrd. $, was einem Zuwachs von mehr als 450% in den letzten 15 Jahren entspricht. Rund 70 Mrd. $ entfallen auf ausländische Gläubiger. Sinkt der Ölpreis auf 60 $, dürfte Venezuela schon im kommenden Jahr in die Zahlungsunfähigkeit rutschen, vermuten Analytiker.



Das ist nur eines der Probleme, die Venezuela mit einem weiteren Zerfall des Erdölpreises bevorstünden. Ein anderes betrifft die Dollarreserven, die im Oktober unter 20 Mrd. $ lagen, dem tiefsten Stand seit elf Jahren. Seit Jahresbeginn sind die Reserven um 8% geschrumpft. Die Reserven sind überlebenswichtig für die Versorgung Venezuelas, das 70% seiner Lebensmittel importieren muss. Bereits ist in Venezuela jedes vierte Grundnahrungsmittel nicht ausreichen vorhanden. Vor den Supermärkten stehen die Leute Schlange. Und dem Gesundheitssektor fehlt es an Medikamenten. Wegen der rigorosen Devisenkontrollen der Regierung sind die Importeure auf die Reserven des Staates angewiesen. Doch es ist immer schwieriger, an Dollars heranzukommen. Wer Dollars besitzt, kann diese auf dem Schwarzmarkt für das Zwanzigfache des offiziellen Kurses von Bol. 6.30 wechseln. Für weniger wichtige Produkte hat die Regierung unterschiedliche Wechselkurse eingeführt, was einer Währungsabwertung gleichkommt. Die Knappheit hat das Leben der Venezolaner rasant verteuert. Die Inflation liegt bei über 60%, womit Venezuela weltweit zu den Spitzenreitern gehört.

Preis von 100 Dollar ist nötig

Folgen hat das Einbrechen des Erdölpreises auch für den Staat und dessen umfangreiche Sozialprogramme. Schon der verstorbene Hugo Chávez wusste, als er 1998 an die Macht kam, dass sich seine «bolivarische Revolution» und die Umverteilungspolitik, welche ihm seine Popularität einbrachten, nur mit einem hohen Ölpreis finanzieren lassen würden. Chávez umgarnte die arabischen Partner in der Opec, und die Preise stiegen – die Terroranschläge vom 11. September und die Kriege in Afghanistan und im Irak sollten den Trend fortsetzen. Das sozialistische Regime in Caracas hat sich auf einen Ölpreis von 100 $ und darüber eingestellt und nicht weitergedacht. Nun scheint es, als seien die fetten Jahre fürs Erste vorbei. Die Nachfrage ist niedrig, und das Angebot wächst. Doch der venezolanische Staatsapparat ist träge geworden und lässt sich nicht so einfach bremsen. Was an internen Schulden anfällt, wird durch zusätzlich gedruckte Bolívares finanziert – ein weiterer Treiber der Inflation.
Dies alles wäre weniger schlimm, könnte Venezuela sein wirtschaftliches Potenzial ausschöpfen. Doch Preis- und Devisenkontrollen, Verstaatlichungen und die daraus resultierende Ineffizienz haben die Wirtschaft an den Rand des Abgrunds gebracht. Das beste Beispiel für die Misswirtschaft liefert die staatliche PDVSA gleich selbst. Während sich die Belegschaft in der Ära Chávez vervielfacht hat, hat die Produktion in den letzten Jahren abgenommen. 2008 belief sich die Fördermenge noch auf mehr als 3,2 Mio. Fass pro Tag. Heute sind es noch 2,9 Mio. Davon fliessen rund 2 Mio. Fass in den Export.
Allerdings bringt nur ein Teil davon Devisen ein. Etwa ein Viertel fliesst unter dem Marktpreis an verbündete Staaten in Lateinamerika wie Kuba oder Bolivien oder als Schuldendienst nach China. PDVSA hat sich zur Milchkuh entwickelt, die Löcher in der Staatskasse stopfte und kostspielige Sozialprogramme der Regierung finanziert. Doch heute fehlen dem Konzern die Mittel für Investitionen, die dringend notwendig wären, um die Produktion zu steigern. Das Potenzial wäre vorhanden. Venezuela besitzt mit 320 000 Mio. Fass die grössten nachgewiesenen Erdölreserven der Welt.
Ein tieferer Erdölpreis würde sich wegen der Lieferverträge zwar erst mit einer gewissen Verzögerung auswirken. Doch eine anhaltende Baisse könnte der Wirtschaft Venezuelas den letzten Stoss versetzen. Ein Zahlungsausfall wird immer wahrscheinlicher. Auch wird davon ausgegangen, dass Caracas nicht mehr lange um eine drastische Abwertung des Bolívar herumkommt.
Es ist vor diesem Szenario sehr gut nachvollziehbar, dass Venezuela an der Opec-Sitzung alles daransetzen wird, den Trend des Ölpreises zu wenden.

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