Volksabstimmung in der SchweizSebastian Vettel muss um seinen Steuervorteil bangen
Rennfahrer Sebastian Vettek wird in seiner Wahlheimat Schweiz günstig pauschal besteuert. Damit könnte es bald vorbei sein. An diesem Wochenende stimmen die Schweizer darüber ab, ob sie das Steuerprivileg für reiche Ausländer abschaffen.
29.11.2014, von JOHANNES RITTER, ZÜRICH
© (C) ATLANTIDE PHOTOTRAVEL/CORBISTeure Seelage: Unter Schweizer Villenbesitzer sind viele Ausländer
Er werde sein ganzes Herzblut dafür geben, Ferrari wieder zurück an die Spitze der Formel 1 zu führen, sagte Sebastian Vettel, als er kürzlich seinen Wechsel zu dem berühmten italienischen Rennstall bekanntgab. Für den Einsatz bis aufs Blut wird der Deutsche fürstlich entlohnt: Sein Jahresgehalt wird auf 30 Millionen Euro geschätzt.
In Deutschland ginge davon wohl mehr als die Hälfte an den Fiskus. Aber der gebürtige Heppenheimer hat sein Heimatland längst verlassen. Seit 2007 lebt der viermalige Formel-1-Weltmeister in der Schweiz. In dem kleinen Ort Ellighausen im Kanton Thurgau hat er eine alte Mühle gekauft. Von dem lokalen „Tagblatt“ wurde Vettel einst gefragt, warum es ihn denn ausgerechnet dorthin verschlagen hat.
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Seine Antwort: „Mich fasziniert die Landschaft, die ich auch ideal für mein Training nutzen kann, zum Beispiel indem ich am See oder im Wald radle. Ich genieße die Abgeschiedenheit.“ Außerdem schätze er es sehr, dass die Schweizer so höflich, freundlich und zurückhaltend seien.
Willkommen in der Schweizer Abgeschiedenheit
Mit anderen Worten: Die Eidgenossen jagen ihm nicht mit Kameras und Autogrammwünschen nach, sondern lassen ihn in Ruhe. Das ist für viele Prominente aus der Welt des Sports und der Unterhaltung ein Grund, in der Schweiz zu wohnen. Wichtiger ist jedoch etwas ganz anderes: das Steuerprivileg, das sie dort als reiche Ausländer genießen. Doch das geht ihnen möglicherweise bald verloren, denn die Schweizer stimmen an diesem Sonntag darüber ab, ob sie die sogenannte Pauschalbesteuerung abschaffen.
Dahinter verbirgt sich eine Schweizer Besonderheit: Ausländer, die in der Schweiz wohnen, dort aber nicht arbeiten, werden nach ihrem Aufwand besteuert. Ausschlaggebend sind also die jeweiligen Lebenshaltungskosten.
In der Regel wird dabei das Fünffache der Miete oder des Eigenmietwerts der Wohnung oder des Hauses veranschlagt, in dem der Steuerpflichtige wohnt. Die Bestimmung wurde allerdings bereits verschärft: Von 2016 an gilt das Siebenfache der Wohnkosten. Trotzdem ist das für so manchen Millionär und Milliardär eine Steuerlast, die deutlich unterhalb dessen liegt, was er in seinem jeweiligen Heimatland berappen müsste.
Rennfahrer-WG in der SChweiz
Das gilt allemal auch für Sebastian Vettel, selbst wenn in seinem Fall zu berücksichtigen ist, dass etwaige Siegprämien jeweils in dem Land versteuert werden müssen, in dem er sie einfährt. Nicht von ungefähr haben sich auch etliche Rennkollegen Vettels in der Schweiz niedergelassen. Der frisch gebackene Formel-1-Weltmeister Lewis Hamilton ist vor nicht allzu langer Zeit von Großbritannien an den Genfer See gezogen, wo auch Michael Schumacher seit langem residiert. Kimi Räikkönen siedelte von Finnland nach Wollerau im Kanton Schwyz um. Dort wohnt er in unmittelbarer Nachbarschaft zu dem brasilianischen Rennfahrer Felipe Massa. Die Liste ließe sich noch weiter fortsetzen.
Ausgerechnet das Land, in dem Rundstreckenrennen seit 1955 gesetzlich verboten sind, beherbergt also die Stars der Motorsportszene. Das mag so manchen Schweizer Formel-1-Fan freuen. Etliche Eidgenossen ärgern sich aber auch darüber, dass sie selbst nicht in den Genuss dieses Steuerprivilegs kommen und somit ihr Einkommen und ihr Vermögen ganz normal versteuern müssen.
Mit dem Ruf nach Gerechtigkeit hat ein links-grünes Bündnis mit leichter Hand die erforderlichen 100000 Unterschriften eingesammelt, um die Volksinitiative „Schluss mit den Steuerprivilegien für Millionäre“ ins Rollen zu bringen. Nach der jüngsten Umfrage des Forschungsinstituts GFS Bern haben die Gegner der Initiative zwar die Nase vorn. Der Abstand ist aber so klein, dass es auch immer noch möglich erscheint, dass sie angenommen wird.
Sagen die Millionäre bald „Uf Wiederluege“?
Dies gilt zumindest für die reine Stimmenzahl. Volksinitiativen müssen in der Schweiz allerdings auch von der Mehrheit der 26 Kantone angenommen werden. Da könnte es für die Befürworter eng werden. Das lässt ein Blick auf die Ergebnisse erahnen, die bei den bisherigen Abstimmungen auf kantonaler Ebene herauskamen:
In acht Kantonen haben die Wähler frühere Initiativen zur Abschaffung der Pauschalsteuer abgelehnt; in weiteren zehn Kantonen hielten die jeweiligen Parlamente an diesem Instrument ausdrücklich fest. Fünf Kantone haben die Aufwandsbesteuerung abgeschafft. Wenig überraschend waren das jene Landesteile, in denen es ohnehin nur eine kleine Zahl von Pauschalbesteuerten gab.
Die Aufwandsbesteuerung bringt rund 700 Millionen Franken im Jahr. Rund drei Viertel davon landen in den Kassen der Kantone und Gemeinden. Die Hauptempfänger sind die Kantone Wallis, Waadt, Tessin, Genf, Graubünden und Bern. Dort leben die meisten der mehr als 5600 Reichen, die in der Schweiz pauschal besteuert werden. Etliche von ihnen werden wohl das Weite suchen, wenn sie ihr Steuerprivileg verlieren. Es gibt in Europa noch genügend andere Steueroasen für Millionäre - Monaco, Liechtenstein, Andorra, Großbritannien.
Politiker fürchten um Mäzen-Gelder
Daher fürchten die Bürgermeister und Regionalfürsten in den besonders betroffenen Bergkantonen um ihre Einnahmen. Ihnen geht es nicht nur um den drohenden Verlust von Steuergeldern. Etliche betuchte Ausländer betätigen sich als Mäzene für lokale kulturelle und bauliche Projekte; sie beschäftigen Mitarbeiter, um ihre Anwesen zu bauen und hernach in Schuss zu halten. Außerdem sorgen sie mit ihrem üppigen Konsum für Umsatz in den Läden und Restaurants.
Wenn sie wegziehen, bleibt eine Lücke, die vielleicht nur durch allgemeine Steuererhöhungen an anderer Stelle geschlossen werden kann, warnt so mancher Kämmerer. Beispiel Rougement: In dieser Waadtländer Gemeinde leben 970 Einwohner, 30 davon werden pauschalbesteuert. Diese 30 Ausländer bringen der Gemeinde ein Viertel der Steuereinnahmen. „Wir sind auf diese Leute angewiesen“, sagte die Gemeindepräsidentin Claire-Lise Blum der „NZZ“.
Ferrari-Vettel will zunächst bleiben
In den Kantonen Zürich, Basel-Stadt, Baselland, Schaffhausen und Appenzell Innerrhoden waren die Einwohner mehrheitlich der Meinung, dass man „diese Leute“ nicht mehr braucht: Sie stimmten für die Abschaffung der Aufwandsbesteuerung. Die Reaktion folgte prompt. Von den 200 Pauschalbesteuerten in Zürich habe rund die Hälfte den Kanton verlassen, sagt Frédéric Pittet, Projektleiter Steuern und Finanzen beim Schweizer Unternehmensverband Economiesuisse.
Und viele von denen, die geblieben seien, hätten ihre Steuerlast mit Hilfe von Fachleuten geschickt optimiert: „Ein Viertel derer, die zuvor pauschalbesteuert wurden, zahlt im Kanton Zürich heute weniger Steuern als früher.“ Die Gegner der Aufwandsbesteuerung machen eine andere Rechnung auf. Sie sagen, die schönen Villen der verärgerten Wegzügler hätten nicht lange leer gestanden. Dort wohnten jetzt „normale“ reiche Bürger, die brav ihre Einkommen- und Vermögensteuern zahlten und damit mehr zur Unterstützung des Gemeinwesens beitrügen als ihre abtrünnigen Vorgänger.
Falls die Bürger nun der Pauschalbesteuerung für die ganze Schweiz den Todesstoß versetzen, hilft freilich auch die Flucht in einen Nachbarkanton nicht mehr weiter. Das wirft die grundsätzliche Frage auf: Lassen es die Bürger zu, dass der Bund mit dieser zentralen Abstimmung in die kantonale Steuerhoheit eingreift? Pittet von Economiesuisse ist da sehr kritisch: „Das ist ein Angriff auf den Föderalismus und auf den Steuerwettbewerb innerhalb der Schweiz.“ Und wie wird Sebastian Vettel reagieren, wenn er sein Steuerprivileg in der Schweiz verliert? Kurzfristig gar nicht: Momentan sei geplant, in der Schweiz zu bleiben, ließ der Ferrari-Pilot in spe auf Anfrage ausrichten.
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