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Dienstag, 19. Juni 2012

Griechenland wird weitere Milliarden brauchen

Griechenland wird weitere Milliarden brauchen

Europa will Griechenland mehr Zeit für sein Sparprogramm geben. Schon jetzt ist klar: Wegen einer Milliardenlücke im Haushalt werden die Eurostaaten Geld nachschießen müssen. Von Peter Ehrlich, Brüssel

 Kaum hat der Chef der griechischen Konservativen den Auftrag zur Regierungsbildung erhalten, da steht seine Mission schon fest: Er wolle mit den internationalen Kreditgebern über eine Lockerung der Sparauflagen verhandeln, kündigte Antonis Samaras, Vorsitzender des Wahlsiegers Nea Demokratia, in Athen an. Es gehe darum, weitere Härten vom griechischen Volk abzuhalten.


Noch will in Berlin und Brüssel niemand offiziell über eine Neuverhandlung des griechischen Rettungsprogramms sprechen. Schließlich ist es erst wenige Monate her, dass man sich in langen Nachtsitzungen auf das Kreditprogramm Nummer zwei geeinigt hat. Deshalb verlangen von der Eurogruppe bis hin zum sozialdemokratischen Parlamentspräsidenten Martin Schulz auch alle EU-Offiziellen, dass sich die nächste Regierung erst einmal zum Sparprogramm bekennt. Aber dann beginnt schon die Aufweichung.

Kein Rabatt für Griechenland

Das Programm sei die "Basis", auf der man Wachstum, Wohlstand und Arbeitsplätze schaffen werde, erklären EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy und Kommissionschef José Manuel Barroso. Vom möglichen "Feintuning" spricht Schulz. Und selbst Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP) betont, über den "Zeitplan" für die Griechen könne man reden. Einen "Rabatt" für die Griechen im Vergleich zu anderen Programmländern wie Irland oder Portugal dürfe es aber nicht geben.
Schon im Wort vom Zeitplan steckt das Eingeständnis, dass man wieder einmal alle Griechenland-Berechnungen vergessen kann. Auf die Troika aus EU-Kommission, Europäischer Zentralbank (EZB) und Internationalem Währungsfonds (IWF) wartet eine neue Milliardenlücke. Das hat zwei Gründe: Zum einen hat sich die Wirtschaft auch wegen der Unsicherheit vor zwei Wahlgängen noch schlechter entwickelt als ohnehin schon angenommen. Zum anderen sind wegen des politischen Stillstands vereinbarte zusätzliche Sparbeschlüsse nicht getroffen worden. "Ende Juni ist der kritische Punkt", hatten die IWF-Experten im März vorausgesagt.

Gespart werden soll bei den Rentnern

Denn offiziell geht es bei der Troika-Mission, die schon im Mai fällig gewesen wäre, um Kontrolle: Hat Griechenland seine Bedingungen erfüllt? Eine Bedingung wäre die Verabschiedung eines Sparplanes gewesen, der bis 2014 für strukturelle Einsparungen im Haushalt in Höhe von 5,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts sorgt - das sind rund zwölf Milliarden Euro. Die Troika hatte unter anderem Personalkürzungen im öffentlichen Dienst, Einsparungen bei Familienleistungen und erneut bei den Renten vorgeschlagen, so lange nicht die Ärmsten getroffen werden.
Auch die Nea Demokratia und ihr voraussichtlicher Partner Pasok haben nicht gerade mit neuen Einsparungen Wahlkampf gemacht. Die Troika wird also nicht nur eine Milliardenlücke vorfinden, sondern auch mit dem Wunsch nach Korrekturen des Sparplans konfrontiert werden. Wenn die Bundesregierung und Eurogruppen-Chef Jean-Claude Juncker die Ankündigung ernst meinen, den Zeitplan für die Einsparungen zu strecken, müssten sie einem langsameren Sparkurs zustimmen und dafür noch mehr Wert auf die Umsetzung der Strukturreformen und die Modernisierung der maroden Verwaltung legen.

EU muss zusätzliche Milliarden bereitstellen

Weniger Steuereinnahmen und weniger Einsparungen vergrößern jedoch die Finanzierungslücke. Das Haushaltsdefizit pro Quartal ohne Zins- und Tilgungszahlungen sollte pro Quartal in diesem Jahr eigentlich nur noch 500 Millionen Euro betragen und sich ab Anfang 2013 in einen kleinen Überschuss verwandeln. Zins- und Tilgungszahlungen werden größtenteils ohnehin vom Rettungsfonds EFSF und dem IWF übernommen. Im zweiten Halbjahr 2014 sollte das Land sogar schon seine Zinsen wieder selbst bezahlen können, nur die Umschuldung auslaufender Kredite sollte Sache der Fonds sein.
Wenn die bis 2014 laufende Planung nicht mehr stimmt, müsste zumindest die EU zusätzliche Milliarden für das Land bereitstellen. Viele Experten hatten schon im März ein drittes Griechenland-Programm vorausgesagt, das spätestens 2015 komme.

Allzu optimistische Prognose

Ob der IWF seine geplante Überweisung von 1,6 Milliarden Euro pro Quartal aufstocken würde, ist fraglich. Der Währungsfonds darf eigentlich nur Geld geben, wenn die langfristige Tragfähigkeit der Schulden gesichert ist. Nach der erfolgreichen Umschuldung der privat gehaltenen Griechen-Anleihen im März sollte der Schuldenstand nach einem Hoch von 167 Prozent des Bruttoinlandsprodukts in 2013 auf 116 Prozent in 2020 sinken. Einen Stand von unter 120 Prozent akzeptiert der IWF als nachhaltig. Die IWF-Experten waren sich aber schon im März darüber klar, dass diese Prognose sehr optimistisch war. Die Risiken, die inzwischen Wirklichkeit geworden sind, sahen sie voraus. In einem Alternativszenario mit der Annahme von weniger Wachstum und politischem Stillstand kommen sie auf eine Verschuldung von 145 Prozent in 2020.

 

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