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Sonntag, 24. November 2013

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GenfDurchbruch im Atomstreit mit Iran

 ·  In den Atomverhandlungen mit Iran hat es in der Nacht einen Durchbruch gegeben. Iran zeigt sich bereit, den Ausbau seines Nuklearprogramms zu stoppen.
© REUTERSVergrößernEnde einer langen Nacht: Irans Außenminister Zarif (Mitte, links) umarmt seinen französischen Kollegen Fabius.
Am Ende hat es noch einmal bis tief in die Nacht gedauert, aber am Sonntag früh um drei Uhr war klar: Die Unterhändler der Staatengemeinschaft und Irans haben in Genf einen Durchbruch im Atomstreit erreicht, der, wenn sich alle Seiten an die Vereinbarungen halten, historische Dimensionen haben kann. Erstmals seit Jahren zeigt sich Iran bereit, den Ausbau seines Nuklearprogramms zu stoppen und Teile seiner Bestände abzubauen, um seine Behauptung zu belegen, dass das Land nicht nach dem Besitz einer Atombombe strebt. Dafür haben die Unterhändler vor allem der Vereinigten Staaten und der Europäischen Union Iran Erleichterungen bei den Wirtschaftssanktionen zugesichert. Das Abkommen ist auf ein halbes Jahr befristet. In dieser Zeit soll über eine umfassende Lösung des Atomstreits verhandelt werden.
Der amerikanische Präsident Barack Obama begrüßte das Abkommen als einen „ersten wichtigen Schritt“ hin zu einer Dauerlösung. „Jetzt liegt die Last bei Iran, der Welt zu beweisen, dass sein Atomprogramm ausschließlich friedlichen Zwecken dient,“ sagte Obama in Washington – nach dortiger Zeit am Abend - kurz nachdem in Genf die Einigung verkündet worden war. Er versicherte, dass die „Sanktionsarchitektur“ insgesamt bestehenbleibe. Wenn Iran während dieses halben Jahres seinen Verpflichtungen nicht nachkomme, würden die Erleichterungen zurückgenommen und werde der Druck weiter erhöht.
Der iranische Außenminister Dschawad Zarif lobte, dass die Vereinbarung vom gegenseitigen Respekt geprägt sei. Es könne dazu dienen, verlorenes Vertrauen wiederherzustellen, insbesondere das Vertrauen des iranischen Volkes in den Westen. Alle sähen die Möglichkeit, „neue Horizonte zu eröffnen“.
Der deutsche Außenminister Westerwelle sprach von einem „Wendepunkt“, der das Ziel, eine atomare Bewaffnung Irans zu verhindern, einen „entscheidenden Schritt“ näher gerückt habe. „Die nächsten Monate müssen wir nutzen, um gegenseitiges Vertrauen aufzubauen,“ sagte Westerwelle in Genf. „Entscheidend sind eine transparente, überprüfbare Umsetzung der Vereinbarungen und eine zügige Fortsetzung der Verhandlungen mit Blick auf eine abschließende Lösung. Wir sind dazu bereit und erwarten das Gleiche von der iranischen Führung.“

Anreicherung über 5 Prozent vollständig stoppen

Die Vereinbarung wurde im dritten Genfer Treffen seit Amtsantritt der neuen iranischen Regierung erzielt. Mit Iran ausgehandelt wurde sie durch die vom UN-Sicherheitsrat beauftragten Sechsergruppe, bestehend aus den Vereinigten Staaten, Russland, China, Großbritannien, Frankreich und Deutschland. Wie schon beim zweiten Treffen vor zwei Wochen hatten die Gespräche zunächst auf der Ebene von Spitzendiplomaten begonnen, bis sich die Außenminister der beteiligten Staaten entschlossen dazuzustoßen. Damit wurde schon äußerlich einem Wunsch Irans nachgekommen, das von Anfang an mit seinem Außenminister Dschawad Zarif in Genf vertreten war und die Gespräche ohnehin auf die politische Ebene heben wollte. Zarifs Ansprechpartnerin war dabei die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton, die für die Sechsergruppe insgesamt sprach.
Der Text des Abkommens wurde zunächst nicht publiziert, sondern nur die jeweiligen Interpretationen. Nach amerikanischer Darstellung hat sich Iran verpflichtet, die Anreicherung von Uran auf einen Grad über fünf Prozent vollständig zu stoppen. Alle dazu dienlichen technischen Einrichtungen – gemeint ist offenbar die Verbindung zwischen Gaszentrifugen – sollen unbrauchbar gemacht werden. Iran werde außerdem seine Bestände an Uran, das auf knapp 20 Prozent angereicht ist, neutralisieren. Diese Bestände sollen entweder auf einen Grad unter fünf Prozent zurückgeführt oder in eine Form gebracht werden, die sie für weitere Anreicherung unbrauchbar machen. Die Bestände an niedrig angereichertem Uran (3,5 Prozent), die für Kraftwerksbrennstoff gebracht werden können, sollen insgesamt nicht anwachsen. Die Anreicherungskapazitäten sollen gedeckelt werden, indem keine weiteren Zentrifugen installiert und bestehende nur zum Teil in Betrieb genommen werden: Die Anlagen in Natans und in Fordo sollen zur Hälfte beziehungsweise zu drei Vierteln betriebsunfähig bleiben.

Tägliche Kontrollen durch IAEA-Inspekteure

Iran habe sich außerdem verpflichtet, den Bau eines Schwerwasserreaktors in Arak nicht weiter voranzutreiben. Der Reaktor soll weder mit Brennstoff noch Schwerem Wasser befüllt werden. Ein Reaktor dieses Typs könnte neben der Urananreicherung einen zweiten Weg zu waffenfähigem Nuklearmaterial eröffnen und erregt deshalb höchstes Bedenken. Kerry sagte in Genf: „Es gibt keine Aufgaben für Arak in einem friedlichen Programm.“
Außerdem habe sich Iran zu präzedenzlos intensiven Überwachungen bereiterklärt. Sie soll von der in Wien ansässigen Internationalen Atomenergiebehörde IAEA wahrgenommen werden.  Die Inspekteure der IAEA sollen täglich Zugang zu den Anreicherungsanlagen in Natans und Fordo erhalten, ferner Zugang zu Anlagen zum Bau von Zentrifugen, zu Uranminien und –mühlen. Den Reaktor in Arak sollen sie öfter inspizieren können und vor allem die seit langem verlangten Unterlagen zum Aufbau und Betriebsablauf des Reaktors erhalten.
Im Gegenzug sollen bestimmte Sanktionen auf Gold und Edelmetalle, den Automobilsektor und den petrochemischen Export suspendiert werden. Iranische Fluglinien sollen wieder Zugang zu Ersatzteilen und Inspektionen erhalten. Geldtransaktionen für humanitäre Zwecke (Nahrungsmittel, Medikamente) sollen von den weiter bestehenden Finanzsanktionen ausgenommen werden. Blockiertes Geld (400 Millionen Dollar) wird für Ausbildungszwecke freigegeben. Ölverkäufe sollen im jetzigen Maß – das rund 60 Prozent der Menge vor zwei Jahren ausmache – möglich bleiben. Im Kern aber, das hoben sowohl Obama als auch Kerry mit Blick auf die Bedenken im heimischen Kongress hervor, soll das harte Sanktionsregime vor allem mit seinen Einschränkungen auf Öl- und Finanztransaktionen bestehenbleiben, bis auch das umfassende Abkommen in spätestens einem halben Jahr ausgehandelt sei. Die Erleichterungen beziffert das Weiße Haus auf rund sieben Milliarden Dollar. Das sei ein Bruchteil der Verluste, die Iran durch die Sanktionen insgesamt erleide. Die Bedenken, die vor allem auch von der israelischen Regierung erhoben worden sind, zielen darauf, dass durch die Erleichterungen der Druck auf Iran entfalle, vollständig von einem Atom(waffen)programm abzulassen.
Die iranische Seite äußerte sich zunächst gegenüber den westlichen Medien weniger detailliert über den Inhalt der Vereinbarung. Zarif sprach vor allem einen Punkt an, der während der sich hinziehenden Verhandlungen auch immer wieder als Hindernis aufgetaucht sein soll. Iran pocht darauf, dass ihm ein „Recht auf Anreicherung“ verbrieft wird. Zarif sagte nun, mit dem Abkommen würden die „unverzichtbaren Rechte“ Irans anerkannt. Dadurch, dass ausdrücklich der Anreicherungsbetrieb an zwei konkret genannten Orten genannt werde, also Natans und Fordo, werde auch das Recht anerkannt, dort Uran anzureichern. Kerry widersprach dieser Interpretation allerdings offen. Er sagte, Iran sei in dem Abkommen keineswegs ein pauschales Recht auf Anreicherung zugestanden worden. Ein solches Recht sei im Nichtverbreitungsvertrag – der die Grundlage für die Einschränkungen und Inspektionen bildet – nicht erwähnt. „Lasst es mich klar sagen: Es gibt kein Recht auf Anreicherung im Abkommen.“ Da alle Seiten in Genf nach jeder Gesprächsrunde mit den Regierungen in ihren heimischen Hauptstädten Rücksprache gehalten hatten, ist anzunehmen, dass sowohl Obama als auch der iranische Revolutionsführer mit den in dieser Frage unterschiedlich interpretierbaren Formulierungen in dem Abkommen einverstanden waren.
Israel hat das Übergangsabkommen umgehend  kritisiert. „Das ist ein schlechter Deal“, sagte ein Mitarbeiter des Büros von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu am Sonntag. Wirtschaftsminister Naftali Bennett, der Netanjahus Sicherheitskabinett angehört, sagte im israelischen Armeerundfunk, Israel sehe sich nicht an die Vereinbarung gebunden. Es sei ein „schlechtes, sehr
schlechtes Abkommen“ unterzeichnet worden. Im gleichen Sinne hatte sich Netanjahu bereits vorab geäußert. Kerry versicherte in Genf, der israelische Ministerpräsident sei sein Freund. Man liege nur in der Taktik, nicht im Ziel auseinander, welches darin bestehe, Iran nicht an Kernwaffen gelangen zu lassen. Der Außenminister zeigte sich davon überzeugt, dass das Abkommen sowohl für Israel als auch für die anderen amerikanischen Partner in der Region (womit in erster Linie Saudi-Arabien gemeint sein dürfte) die Sicherheit erhöht habe.
Quelle: FAZ.NET

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