Moskauer WertediskussionFür die Familie und Neurussland
Eine Tagung in Moskau wendet sich gegen Abtreibung und gleichgeschlechtliche Ehe. Finanziert wird sie von Männern, die Präsident Putin nahestehen.
13.09.2014, von FRIEDRICH SCHMIDT, MOSKAU
„Bildung und Erziehung“ lautet das Thema des „runden Tisches“ im Patriarchensaal der Moskauer Christ-Erlöser-Kathedrale. In dem großen Raum mit Kronleuchtern, flauschigem Teppichboden und Heiligenbildern an der Wand hebt ein Redner nach dem anderen hervor, wie verdorben das staatliche Schulwesen sei. „Kinder brauchen keine Sexualkundespezialisten!“, ruft eine langhaarige Niederländerin im schwarzen Jäckchen über der zugeknöpften Bluse, „die Eltern selbst sind die Spezialisten!“ Wie die anderen Redner wirbt sie dafür, Kinder zu Hause zu unterrichten.
Ein orthodoxer Priester aus Alatyr, einer kleinen Stadt etwa 500 Kilometer östlich von Moskau, nimmt sein Referat über „Familienanthropologie“ zum Anlass einer Analyse des „Bürgerkrieges“ in der Ukraine: Der sei ausgebrochen, weil die neuen Machthaber in Kiew die „religiösen Werte“ des Landes verraten und eine Gay-Pride-Parade erlaubt hätten. Applaus.
„Große Familien und die Zukunft der Menschheit“, heißt das Forum. Nach Angaben der Veranstalter sind mehr als 1000 Teilnehmer aus 45 Ländern nach Moskau gekommen. Bei der Eröffnungsfeier am Mittwoch im Staatlichen Kreml-Palast, den Chruschtschow Anfang der sechziger Jahre bauen ließ, wurde Russland als letzte Hoffnung einer modernen, dem Sittenverfall anheimgefallenen Welt dargestellt. Ein Mitglied der Präsidialverwaltung verlas ein Grußwort Wladimir Putins, der eine „Erosion moralischer Werte“ beklagte.
Kritik an Kieewr Gay-Pride-Parade
Dabei war auch Jelena Misulina, die Vorsitzende des Duma-Familienausschusses, die durch Gesetze zum Verbot der Adoption von Waisenkindern durch Amerikaner und zum Verbot der Förderung „nicht traditioneller sexueller Beziehungen“ unter Minderjährigen bekannt wurde. Misulina sagte, sie sei sicher, dass es im „heutigen Europa unmöglich wäre, ein Forum wie dieses zu veranstalten“. Wenn doch, dann nicht im Kreml, sondern in einem Vorort.
Dass das Forum im Kreml und im Kongresstrakt der Christ-Erlöser-Kathedrale seine Veranstaltungen mit Titeln wie „Alles beginnt mit der Familie“, „Jugendinitiativen zur Unterstützung der traditionellen Familie“ oder „Gesellschaftliche Initiativen zur Unterstützung der Familie und zur Vorbeugung der Verwaisung“ abhalten kann, liegt zuvorderst an zwei Männern aus dem Umfeld Putins, deren Einfluss und Reichtum groß sind: Wladimir Jakunin und Konstantin Malofejew.
Jakunin war am Mittwoch auch dabei, sprach von Russlands Abschied vom westlichen Entwicklungsmodell, das weder zu materiellem noch zu geistigem Wohlbefinden führe. Malofejew lobte das Gesetz gegen „Homosexuellenpropaganda“ und kritisierte, wie dann der Priester aus Alatyr, die Kiewer Gay-Pride-Parade.
„Ein Christ opfert sich für andere“
Jakunin ist seit 2005 Vorstandsvorsitzender der Staatlichen Russischen Eisenbahn. Er kennt Putin aus Leningrader beziehungsweise Sankt Petersburger Jahren und gilt als eine Art Türöffner zu ihm. Die Vereinigten Staaten und Australien haben gegen Jakunin im Frühjahr Einreiseverbote und Kontosperren verhängt. Sein älterer Sohn lebt in London, der jüngere nahe Genf; Jakunins Landsitz im Dorf Akulinino südlich von Moskau soll über ein eigenes Gebäude zur Lagerung von Pelzen und einen klimatisierten Gebetsraum mit kostbaren Ikonen verfügen. Doch Jakunin nutzt seinen Reichtum, den laut Berichten russischer Antikorruptionskämpfer die Olympischen Spiele in Sotschi bedeutend mehrten, auch anders: Seine „Apostel-Andreas-Stiftung“ widmet sich der „Bewahrung des orthodoxen Glaubens“, sein „Zentrum für nationalen Ruhm“ der „Bewahrung der kulturellen und geistigen Grundlagen des Lebens unserer Gesellschaft“ sowie dem „historischen Schicksal Russlands“.
Der Leiter der Zweigstelle des Zentrums im sibirischen Krasnojarsk, ein freundlicher Hüne in Motorradweste und Jeans mit rotem Bart und festem Händedruck, ist ebenfalls in der Christ-Erlöser-Kathedrale. Am Stand des Zentrums berichtet er, er sei erst vor drei Tagen nach einer 15.000 Kilometer langen Motorradtour des „Zentrums für nationalen Ruhm“ durch ganz Russland nach Moskau gekommen. Er sei auf seiner BMW-Maschine gefahren, „dem teuersten Modell, das es gibt“. Ziel der Reise sei es gewesen, unter Russlands Vätern ein Gefühl der Verantwortung für ihre Rolle zu wecken, wobei die Prämisse gelte: „Russland ist immer patriarchalisch gewesen.“
Er selbst habe in seinen 50 Lebensjahren „viel Zeit verloren“ und leider nur fünf Kinder gezeugt. Ein Foto am Stand zeigt Jakunins Mann in Krasnojarsk mit einem Veteranen des zweiten Tschetschenien-Krieges in Omsk, dem die rechte Hand weggesprengt wurde. Er habe aber danach noch sechs Stunden weitergekämpft, sagt der Biker. „Ein echter Christ ist derjenige, der bereit ist, sein Leben für andere zu opfern.“
Eine Stiftung auf den Kaimaninseln
Malofejew, dessen Stiftung „Basilius der Große“ ebenfalls unter den Organisatoren des Moskauer Forums genannt wird, machte sein Geld mit dem Investmentfonds Marshall Capital Partners, der auf den Kaimaninseln registriert ist. Seine Stiftung unterstützt Krankenhäuser, die orthodoxe Kirche, ein Programm gegen Abtreibungen - und die Separatisten im Osten der Ukraine. Malofejews Stiftung stellte im Sommer Zelte in Moskau auf, in denen Hilfsgelder und -güter gesammelt wurden; mittlerweile sollen die Lager voll sein.
Sie hat laut der Zeitung „RBK Daily“ am 17. Juni ein offizielles Abkommen zur „Zusammenarbeit“ mit der „Donezker Volksrepublik“ abgeschlossen. Für letztere unterzeichnete ihr damaliger „Ministerpräsident“ Alexander Borodaj. Er ist ein ehemaliger Mitarbeiter Malofejews, wie dieser der Zeitschrift „Forbes Russia“ bestätigte. In dem Abkommen geht es angeblich um die Sammlung humanitärer Hilfe in Russland. Mit Malofejews Stiftung arbeitet laut „RBK Daily“ das „humanitäre Bataillon ,Neurussland‘“ zusammen, das Igor Girkin alias Strelkow unterstehe, dem mittlerweile aus Donezk verschwundenen, aus Moskau stammenden Rebellenführer.
Die Stiftung gab an, Hilfsgüter nur auf russischem Staatsgebiet zu verteilen. Doch aus den Reihen der Separatisten hieß es, sie liefere direkt nach Donezk. Der radikale russische Ideologe Alexander Dugin äußerte, die Stiftung habe Hilfe in „nie dagewesenem“ Ausmaß geleistet: „In einem bestimmten Moment war diese Hilfe entscheidend, sowohl auf der Krim als auch in Neurussland.“ Die Europäische Union, Norwegen und die Schweiz haben gegen Malofejew Einreiseverbote und Kontosperren verhängt. In der Ukraine wird gegen ihn wegen Mittäterschaft bei und der Finanzierung von Terrorismus ermittelt.
Putin als „Erlöser“
Mit Alexander Dugin, dem Kopf der russischen „Eurasischen Bewegung“, eint Malofejew das Ziel einer imperialen, orthodoxen Idee. Ende Mai finanzierte seine Stiftung ein Treffen Dugins mit europäischen Rechtspopulisten etwa aus Österreich und Frankreich im Palais Liechtenstein in Wien, wo Putin als „Erlöser“ bezeichnet wurde. Dugin vertritt die Auffassung, dass es eine „prorussische fünfte Kolonne“ aus „Intellektuellen“ gebe, „die ihre Identität stärken wollen“. Europa solle auf friedlichem Wege zu einem russischen Protektorat werden und sich so vor gleichgeschlechtlichen Ehen und allgemein vor Liberalismus schützen.
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Dessen Ablehnung eint die großrussischen Denker und die konservativen Gruppen insbesondere in Europa und den Vereinigten Staaten, die nach Moskau gekommen sind. Der Umgang Russlands mit der Ukraine hingegen scheint auch in ihren Reihen kontrovers aufgenommen worden zu sein. Denn auf der Website des „World Congress of Families“ - einer im amerikanischen Bundesstaat Illinois ansässigen Dachorganisation verschiedener Gruppen, die Abtreibung und gleichgeschlechtliche Ehe ablehnen -, der das Moskauer Forum eigentlich ausrichten sollte, findet sich der Hinweis, dass die Planung für den Kongress „ausgesetzt“ worden sei. „Die Situation in der Ukraine und auf der Krim“ habe Fragen hinsichtlich der Reise, der Logistik und planungsnotwendiger Angelegenheiten aufgeworfen“. Allerdings ist Laurence Jacobs, der Direktor der Organisation, trotzdem nach Moskau gekommen: als Privatmann.
Unterkunft im „besten Hotel am Platz“
„Die Zukunft hängt von der natürlichen Familie ab!“, ruft Jacobs rund zwei Dutzend Zuhörern in einem weiteren Versammlungssaal der Christ-Erlöser-Kathedrale zu. Unter ihnen ist, in Tracht, eine Vertreterin der Marktgemeinde Schlanders in Südtirol, die hier, bei dem „runden Tisch“ zur „Profamiliären Wirtschaft“, gern die Initiativen ihrer Heimat vorgestellt hätte: die Kleiderkammer für arme Familien, das garantierte Existenzminimum, die Betreuung, die Kindertagesstätten, „und das Ehrenamt wird bei uns großgeschrieben“.
Ihr hätten die Organisatoren zwar die Unterkunft „im besten Hotel am Platz“ bezahlt, berichtet sie in einer Pause, und herumgefahren würden sie in „Diplomatenbussen mit Polizeieskorte“. Aber vom Erfolgsmodell Schlanders reden darf sie nicht. Stattdessen tritt eine Russin auf, die behauptet, in ihrem Unternehmen würde eine Frau, die sage, sie bekomme ein Kind, sofort bezahlten Urlaub erhalten.
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