ANALYSE
EZB-Stresstests nähren den Traum von Europas Bankenunion
Montag, 27. Oktober 2014, 07:51 Uhr
Im November wird die Europäische Zenralbank ihre neue Rolle als Bankenaufsicht für die Eurozone aufnehmen. Mit ihrer jüngsten Kapitalprüfung von 130 Banken hat sie sich Glaubwürdigkeit erarbeitet.Bloomberg News
Für die Europäische Zentralbank und die Eurozone hätten die Hürden kaum höher sein können. Zweimal schon schlugen Versuche fehl, einen Schlusstrich unter eine Bankenkrise zu ziehen, die zeitweise die gesamte europäische Währungsunion zu zerstören drohte und die noch immer die Erholung der Eurozone blockiert. Entsprechend wichtig war es, dass die EZB mit ihrer „umfassenden Bewertung“ der 130 größten Banken der Eurozone etwas Glaubwürdiges ablieferte.
Man wird erst mit der Zeit sagen können, wie erfolgreich sie war. Doch schon jetzt dürfte es kaum Zweifel daran geben, dass dieses Unterfangen – zu dem eine Qualitätsprüfung der Vermögenswerte in den Bankbilanzen gehörte, dem ein EU-weiter Stresstest der Aufsichtsbehörde European Banking Authority folgte – ein wichtiger Schritt nach vorn war.
Eine Kapitallücke von 7 Milliarden Euro klingt trivial
Einige werden beklagen, dass ein Stresstest, der am Ende nur 13 Banken eine Kapitallücke von insgesamt lediglich knapp 9,5 Milliarden Euro attestiert, nicht besonders streng wirkt. Nimmt man zwei griechische Banken aus der Rechnung heraus, die bereits ein Aufpolstern ihrer Kapitalbasis angekündigt haben, bleibt sogar nur noch eine Lücke von 7 Milliarden Euro – eine triviale Summe, finden Analysten der Bank Société Générale.
Aber diese 7 Milliarden Euro müssen zusätzlich zu den 57 Milliarden Euro gefunden werden, die Banken der Eurozone seit Ende 2013 bereits mit Aktienemissionen und anderen Schritten aufgebracht haben. Wie eine Anlegerumfrage von Morgan Stanley aus dem Jahr 2013 zeigt, stimmt diese Summe auch mit den ersten Marktschätzungen zur Kapitallücke der Eurozonen-Banken überein.
Die EZB war in einem Bereich pingelig, in dem es auch notwendig war: der Erfassung notleidender Kredite. Die Zentralbank hat 800 Portfolios geprüft, 119.000 Kredite und 170.000 Vermögenswerte, die als Sicherheiten hinterlegt wurden. Alles in allem entspricht das 82 Prozent des gesamten Bankenkapitals, für das die EZB ab November verantwortlich sein wird, wenn sie ihre Rolle als neue Bankenaufsicht für die Eurozone aufnimmt.
Im Ergebnis stieg die Menge an faulen Krediten in den Bilanzen sämtlicher 130 Banken um 18 Prozent, wobei in manchen Ländern der Zuwachs nur bei 7 Prozent lag und in anderen bei 116 Prozent. Anleger finden vielleicht etwas Trost in der Tatsache, dass die EZB das große Aufräumen im spanischen und griechischen Bankensystem gewürdigt hat. Sie attestierte den Bankenbranchen beider Länder eine gute Gesundheit – zumindest wenn man die bereits laufenden Anstrengungen berücksichtigt.
Großer Verlierer war dagegen Italien. In dem Land fielen 9 der 15 geprüften Banken durch den Stresstest, der sich auf die Kapitalbilanzen zum Jahresende 2013 bezog. Zwei Banken haben auch heute noch zu wenig Kapital, um die Anforderungen zu erfüllen.
Natürlich ist es einfach, Schwachstellen in dem Prozess zu finden. In einer Reihe von Bereichen etwa waren der EZB die Hände gebunden. So hätten sich Anleger eine konsequentere Definition des Wortes „Kapital“ gewünscht. Aber die EZB war nicht in der Lage, die nationalen Schlupflöcher zu schließen, die es bei der Umsetzung der vollen Basel-III-Regeln für die globale Bankenbranche gibt. Das Tempo bleibt von Land zu Land unterschiedlich.
Zudem hat sich die EZB aus Angst vor rechtlichen Problemen dagegen entschieden, gegen bestimmte Bilanzierungsmethoden vorzugehen, die Buchhalter und nationale Aufsichtsbehörden einst erlaubt haben. Im Ergebnis haben nun einige Banken ihre Krisenanfälligkeit weniger konservativ bewertet, als es sich die EZB wohl gewünscht hätte.
Anleger und Analysten können aus 12.000 Einzeldaten für jede Bank selbst Schlüsse ziehen
Aber die Europäische Zentralbank hat derartige Schwachstellen kompensiert, indem sie für jede Bank 12.000 Einzeldaten veröffentlichte, aus denen sich Finanzmarktexperten nun selbst ihre Schlüsse zusammenreimen können. Zu diesen Daten gehören unter anderem Details darüber, wie sämtliche Banken bei vollständiger Gültigkeit aller Basel-III-Regeln abgeschnitten hätten. So schafft die EZB eine Basis für Aktien- und Anleiheinvestoren, um Druck auf Banken mit strittiger Kapitalqualität auszuüben.
Obendrein wird die EZB noch eine härtere Gangart einschlagen können, wenn sie erst einmal ihre Rolle als Bankenaufsicht der Eurozone aufgenommen hat. Die Märkte sollten sich darauf einstellen, dass es im nächsten Jahr weitere Abschreibungen auf faule Kredite geben werde, sagt Nicolas Véron, ein Wissenschaftler am Thinktank Bruegel. Insofern stellt die Veröffentlichung der Prüfergebnisse mehr den Anfang als das Ende des Prozesses dar.
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Aber wird der Stresstest auch den Weg für ein schnelleres Kreditwachstum in der Eurozone ebnen? Kurzfristig erscheint eine Lockerung der Kreditbeschränkungen wahrscheinlich, was die bescheidene aktuelle Erholung im Kreditsektor unterstützen dürfte. Banken, die vielleicht bis jetzt an ihrem Kapital und ihrer Liquidität festgehalten haben, könnten sich nach dem Stresstest freier fühlen. Das gilt speziell dann, wenn es eine positive Reaktion an den Aktien- und Anleihemärkten geben sollte, was die Kapitalkosten senken würde.
Gleichzeitig dürfte der Wandel der EZB zur Bankenaufsicht der Eurozone die Festungsmentalität der nationalen Märkte beenden. Dann könnten Kapital und Liquidität ungehinderter über die Ländergrenzen wandern. Am meisten dürfte das – dieses Beispiel wird häufig genannt – dem italienischen Bankengiganten Unicredit zugutekommen, der mit der Hypo-Vereinsbank auch einen der größten Kreditgeber in Deutschland besitzt.
Eine langfristige Belebung der Kreditvergabe in der Eurozone hängt jedoch von Faktoren ab, die außerhalb des Einflussbereiches der EZB liegen. Unter anderem bleibt abzuwarten, wie schnell die Nachfrage nach Krediten steigt. Ebenso bedeutend ist, wie schnell Banken ihren faulen Schuldenberg abbauen können. Selbst wenn die Banken jetzt genügend Kapital vorhalten, um ihre Verluste mit faulen Krediten decken zu können, könnten sie noch auf andere Hindernisse stoßen: Schwache Insolvenzgesetze, ineffiziente Rechtssysteme und ein Mangel an Drittkapital könnten es ihnen erschweren, faule Kredite zu restrukturieren und Sicherheiten einzulösen.
Das schwere Erbe der Boomjahre vor der Krise
Darüberhinaus werden einige Banken ihre Vermögensbilanzen weiter verkleinern müssen, weil ihre Kapitalpolster zwar stark, aber ihre Finanzierungsmöglichkeiten schwach sind. Beispiele aus Großbritannien und Spanien hätten gezeigt, dass die Kreditvergabe steigt, wenn das Verhältnis zwischen Krediten und Einlagen einer Bank („Loan-to-Deposit-Ratio“, LTD) auf rund 100 Prozent sinkt, sagt Huw van Steenis, ein Analyst bei Morgan Stanley.
In der Eurozone weisen viele Banken ein Kredit-Einlagen-Verhältnis auf, das deutlich über diesem Niveau liegt. Das ist ein Erbe aus den Boomjahren vor der Krise, als sich viele Banken noch übermäßig stark über die Anleihemärkte finanzierten.
Einige Banken könnten sich mit der Kreditvergabe auch so lange zurückhalten, bis mehr Klarheit über die langfristigen regulatorischen Kapitalstandards herrscht. Dazu gehört auch die Frage, wieviel zusätzliches Kapital eine Bank im Rahmen der weltweiten „Too-big-too-fail“-Debatte zurücklegen muss, um ihr Risiko für die gesamte Branche zu verringern.
Aber der Dreh- und Angelpunkt für den Erfolg dieses Unterfangens ist nicht die Kreditvergabe der Banken. Vielmehr muss man sich fragen, ob die Stresstests den Weg für die Schaffung einer echten Bankenunion in der Eurozone frei gemacht haben. In einer solchen Union müssten Kreditinstitute anhand ihrer eigenen Kreditwürdigkeit beurteilt werden können und nicht anhand der Bonität ihrer Regierungen.
Die Schaffung einer einheitlichen Aufsichtsbehörde und eines neuen gemeinsamen Abwicklungsmechanismus für zusammengebrochene Banken wird die vergiftete Verbindung zwischen Staaten und Banken ein Stück weit lösen. Aber die Bankenunion wird erst dann vollendet sein, wenn echte grenzüberschreitende Bankgeschäfte in der Eurozone möglich sind, und dafür wäre die Schaffung grenzüberschreitender Banken erforderlich. Das wird nicht über Nacht passieren, aber die jüngsten Stresstests markieren genau den Moment, in dem die Utopie plötzlich möglich erscheint.
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