DelistingUnd plötzlich ist die Aktie verschwunden
Neue Delisting-Regeln machen den Unternehmen den Rückzug von der Börse leichter. Die Privatanleger müssen sie nicht darüber informieren, dass die Aktie auf einmal weg ist. Das führt zu bösen Überraschungen.
31.10.2014, von DANIEL MOHR
© DPAImmer wieder verschwinden Werte: Kurstafel im großen Handelssaal der Frankfurter Wertpapierbörse.
Die Schuler-Aktie werden Anleger von nun an auf den Kurszetteln vergeblich suchen. Am Donnerstag war der letzte Handelstag der Aktien des schwäbischen Maschinenherstellers. Hernach wurde das vom Unternehmen beantragte Delisting wirksam. Viele Aktionäre werden die Ad-Hoc-Mitteilung am 4. April (F.A.Z. vom 5. April) jedoch nicht mitbekommen haben. Sie werden böse überrascht. Oft fällt Aktionären das Delisting ihrer Aktien erst beim Blick in den Depotauszug auf. Die Banken geben den Wert mangels Aktienkurs dann oft mit Null an.
Bis vor einem Jahr gab es solche Überraschungen nicht. Ein Delisting musste auf der Hauptversammlung von einer Mehrheit der Aktionäre beschlossen werden. Allen Aktionären musste die Gesellschaft zudem ein faires Kaufangebot für ihre Aktien unterbreiten. Diese Regelung verwarf der Bundesgerichtshof (BGH) jedoch vor einem Jahr. Demnach reicht ein Vorstandsbeschluss des Unternehmens für ein Delisting. Ein Kaufangebot muss nicht mehr unterbreitet werden. Der BGH berief sich bei dem Urteil auf ein Gutachten, wonach ein Delisting keinen Einfluss auf den Aktienkurs habe. Zudem hatte das Bundesverfassungsgericht im Juli 2012 den verfassungsrechtlichen Schutz für die Handelbarkeit einer Aktie verneint. Dies falle nicht unter den Schutz des Eigentums, da die Substanz der Aktie unabhängig von der Handelbarkeit erhalten bleibe.
Seither häufen sich die Beschwerden von betroffenen Aktionären. Ein Vorstandsbeschluss zum Delisting muss zwar per Ad-Hoc-Mitteilung veröffentlicht werden. Es ist aber die Holschuld des Aktionärs, sich regelmäßig bei allen Unternehmen, deren Aktien er hält, darüber zu informieren, ob ein Delisting beschlossen wurde. Seine Depotbank sendet ihm in der Regel keinen entsprechenden Warnbrief.
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Marc Tüngler, Hauptgeschäftsführer der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW), ist entsetzt, dass der Gesetzgeber bislang nicht aktiv geworden ist. „Die Kleinaktionäre bekommen das oft nicht mit, sehen plötzlich eine Null im Depotauszug und verkaufen in ihrer Verzweiflung die Aktien an windige Anbieter, die ihnen unseriöse Angebote machen“, sagt Tüngler. Die Anlegerschützer haben zahlreiche solche Aktivitäten beobachtet. Besonders ärgert Tüngler, dass der BGH in seinem Urteil von falschen Voraussetzungen ausgegangen sei. „Der BGH beruft sich auf ein Gutachten des Deutschen Aktieninstituts, wonach der Aktienkurs von einer Delisting-Mitteilung nicht beeinflusst werde“, sagt Tüngler. „Das Gutachten wurde aber ausdrücklich und logischerweise in der Zeit vor der geänderten Rechtslage erstellt, und da war der Aktienkurs durch das verpflichtende Abfindungsangebot nach unten abgesichert.“ In fast allen Delisting-Fällen seither ist der Aktienkurs am Tag der Mitteilung deutlich gefallen. Bei Schuler betrug das Kursminus am 4. April gut 9 Prozent.
Neue Regelung gilt als Schutz vor „räuberischen Aktionären“
Betroffen von Delistings sind vor allem Unternehmen mit einem Großaktionär. Bei Schuler hält die österreichische Andritz-Gruppe gut 95 Prozent der Aktien. „Bei einem so geringen Freefloat ist der Kapitalmarkt für uns kein geeignetes Finanzierungsinstrument mehr“, begründete der Vorstandsvorsitzende Stefan Klebert im April die Vorstandsentscheidung zum Börsenrückzug. „Wir wollen im Interesse des Unternehmens auf die umfassenden Publizitätspflichten börsennotierter Aktiengesellschaften verzichten.“ Durch den Wegfall von Ad-Hoc-Pflichten und der Quartalsberichte erwartet sich Schuler jährliche Einsparungen im sechsstelligen Bereich. Eine Hauptversammlung müssen aber auch Aktiengesellschaften abhalten, die nicht mehr börsennotiert sind. „Wir haben uns entschieden, die Hauptversammlung aller delisteten Unternehmen zu besuchen“, sagt Tüngler. Schließlich gelte es auch dort noch die Interessen der Minderheitsaktionäre zu vertreten. Diese müssen sich die Käufer für ihre Aktien nun andernorts suchen. Die Vorteile eines regulierten Börsenplatzes gibt es nicht mehr. Anbieter wie die Valora Effekten Handel AG machen sich dies zunutze und bieten den Handel einiger nicht mehr an Börsen notierter Wertpapiere an. Für viele Aktionäre ist dies der letzte Ausweg, wenn sie ihre Aktie verkaufen wollen.
Die Anlegerschützer zeigen sich aber nicht nur vom Gesetzgeber enttäuscht, sondern auch von den Börsen, denen es freisteht, in ihre Börsenordnung andere Regelungen zu schreiben. Einzig die Börse Düsseldorf sieht jedoch die Verpflichtung zu einem Hauptversammlungsbeschluss und einem Abfindungsangebot vor. Eine reine Fristenlösung - in der Regel sechs Monate zwischen der Ad-Hoc-Mitteilung und dem Delisting; im Freiverkehr oft sogar nur sechs Wochen - werde dem nach dem Börsengesetz zu beachtenden Anlegerschutz nicht gerecht. Der BGH habe zudem den Aktionären alle privatrechtlichen Möglichkeiten genommen, die Entscheidung gerichtlich überprüfen zu lassen. Die Börse Düsseldorf war schon im April davon ausgegangen, dass der Gesetzgeber die „Lücke im Anlegerschutz“ bald schließen werde. Doch bis heute ist nichts geschehen. „Wie wir aus dem Markt hören, raten Anwälte den Unternehmen, sich mit einem Delisting zu beeilen, weil es ein einmaliges Zeitfenster sei, um billig aus dem Aktienmarkt zu kommen“, sagt Thomas Dierkes, Geschäftsführer der Börse Düsseldorf. „Das zeigt schon das Bewusstsein, dass die aktuelle Regelung eigentlich nicht richtig ist.“
Die Deutsche Börse wiederum stellt sich auf einen anderen Standpunkt: „Die Börse kann und darf keine Einbahnstraße sein. Wir können keine Emittenten aufnehmen und sie dann nicht wieder in einem planbaren und geordneten Verfahren entlassen“, sagt Cord Gebhardt, Geschäftsführer der Frankfurter Börse. Die Börse Stuttgart sieht ebenfalls keinen Handlungsbedarf. Entsprechende Regelungen seien durch den Gesetzgeber zu formulieren.
Die neue Regelung gilt auch als Schutz vor „räuberischen Aktionären“. Als solche werden Aktionäre bezeichnet, die sich unter anderem gezielt an Unternehmen beteiligen, um von Abfindungen an Minderheitsaktionäre zu profitieren und diese gegebenenfalls in juristischen Auseinandersetzungen in die Höhe zu treiben. Es handelt sich dabei aber nur um eine überschaubare Zahl an Berufsklägern.
Negativ könnte sich die Regel auch auf die generelle Bereitschaft von Anlegern zum Aktienengagement auswirken, wenn jederzeit mit dem Entzug der Handelbarkeit der Aktie gerechnet werden muss. Die Unternehmen könnten aber auch in ihre Satzung schreiben, dass sie die Handelbarkeit der Aktie an einer Börse sicherstellen. Doch daran scheinen immer weniger Unternehmen Interesse zu haben.
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