Zu § 4 (Kollektive Bindung)
Nach dem Grundsatz in Satz 1 können Bestimmungen in An-
leihebedingungen während der Laufzeit der Anleihe durch
Rechtsgeschäft nur nach Maßgabe der Vorschriften in Ab-
schnitt 2 des Gesetzes oder – für den Fall, dass dem Schuld-
ner alle Gläubiger bekannt sind – durch inhaltsgleichen Ver-
trag mit sämtlichen Gläubigern geändert werden. Die darin
liegende Beschränkung der individuellen Rechtsmacht wird
mit einem neuen Ausdruck als „kollektive Bindung“ be-
zeichnet. Das SchVG von 1899 bezeichnet denselben Um-
stand in seiner Überschrift mit dem Ausdruck „gemeinsame
Rechte“. Dadurch kann jedoch der unrichtige Eindruck ent-
stehen, dass es sich um zusätzliche Rechte handelt. Demge-
genüber bringt der Begriff „Bindung“ besser zum Ausdruck,
dass in der Gemeinsamkeit zugleich eine Einschränkung in-
dividueller Rechte liegt. Die kollektive Bindung bewirkt,
dass zweiseitige Vereinbarungen zwischen dem Schuldner
und einzelnen Schuldverschreibungsgläubigern während der
Laufzeit der Anleihe ausgeschlossen sind. Sie erfordert au-
ßerdem, dass der Schuldner die Gläubiger im Hinblick auf
die der kollektiven Bindung unterliegenden Vertragsinhalte
materiell gleich behandelt. Dies wird erstmals in Satz 2 aus-
drücklich geregelt.
Ihre Rechtfertigung findet die kollektive Bindung in der
zwecktauglichen Ausgestaltung von Schuldverschreibungen
als fungiblen Wertpapieren. Ohne Sicherheit über die inhalt-
liche Austauschbarkeit aller Wertpapiere derselben Emission
wäre die Funktionsfähigkeit des auf schnelle und anonyme
Abwicklung des Massengeschäfts ausgerichteten Kapital-
markts gefährdet (vgl. BGHZ 163, 311). Die gesetzliche Re-
gelung beschränkt sich auf eine Aussage zur kollektiven Bin-
dung im Hinblick auf rechtsgeschäftliche Änderungen von
Anleihebedingungen. Ob auch mit gerichtlicher Hilfe einsei-
tig herbeigeführte Inhaltsänderungen ausgeschlossen sind
oder wie sich ihre Wirkungen ggf. verallgemeinern lassen,
bleibt der zukünftigen Klärung durch die Rechtswissenschaft
und die Gerichte überlassen. Da bisher nicht verbindlich ge-
klärt ist, ob die Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April
1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträ-
gen (ABl. L 95, S. 29) und dementsprechend auch die Richt-
linie 98/27/EG des Europäischen Parlaments und des Rates
vom 19. Mai 1998 über Unterlassungsklagen zum Schutz der
Verbraucherinteressen (ABl. L 166, S. 51) auf Anleihebedin-
gungen von Schuldverschreibungen anwendbar ist, ist der-
zeit eine gesetzliche Regelung hierzu kaum möglich.
Die konkrete Reichweite der kollektiven Bindung kann
durch den Gesetzgeber nicht abschließend bestimmt werden.
Sie reicht jedenfalls so weit, wie es der mit ihr verfolgte
Zweck gebietet. Zweck der kollektiven Bindung ist es, die
rechtlich identische Ausgestaltung von Bestimmungen in
Anleihebedingungen und damit die freie Handelbarkeit der
Schuldverschreibungen zu einem einheitlichen Preis zu ge-
währleisten. Im Regelfall ist daher von der kollektiven Bin-
dung auszugehen.
http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/16/128/1612814.pdf
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