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Dienstag, 5. Februar 2013

Zuletzt gab es den elektrischen „Saft“ für die Sofortlieferung billiger. Dank unerwartet hoher Windstromeinspeisung wegen kräftiger Windböen sowie ungewöhnlich warmer Witterung und geringer Nachfrage konnte man sich Ende Januar laut Händlern zu 26 Euro die Megawattstunde eindecken - etwa ein Zehntel dessen, was der Privatkunde inzwischen für Elektrizität bezahlen muss.

Strom an der Börse billig wie seit Jahren nicht


Doch das Überangebot aus
Ökostrom und billiger Kohle
könnte die Umlage für
erneuerbare Energien weiter
steigen lassen.
ami. BERLIN, 4. Februar. Strom ist in
Deutschland so preiswert wie lange nicht
mehr. Doch kommt deshalb wenig Freude
auf. Bundeskanzlerin Angela Merkel
(CDU) beklagt beim Wirtschaftsrat der
CDU das „Handicap, dass der börsennotierte
Strom dauernd in seinem Preis
sinkt“. Der Grund liegt in der Fördermechanik
des Erneuerbare-Energien-Gesetzes
(EEG): Mehr Erneuerbare treiben das
Angebot und drücken den Preis. Sinkt
aber der Börsenstrompreis, müssen die
Verbraucher mehr Umlage zahlen. Umweltminister
Peter Altmaier (CDU) treibt
das die Schweißperlen auf die Stirn.
Mit durchschnittlich 43,31 Euro je Megawattstunde
kostete Elektrizität im Januar
an der Strombörse EEX durchschnittlich
so wenig wie seit 2005 nicht mehr -
zumindest bei Lieferung auf Termin im
nächsten Jahr. Vergangenes Jahr lag der
Preis im Schnitt knapp unter 50 Euro, im
Jahre davor noch über 56 Euro. Über den
Terminmarkt wird der weit überwiegende
Teil des Börsenstroms erkauft. Hier decken
sich die ein, die eine sichere Kalkulationsbasis
brauchen.
Auf dem Spotmarkt - hier werden die
Lieferung für den nächsten Tag gehandelt
und der Ökostrom verkauft - liegen die
Preise je nach Marktlage über oder unter
denen des Terminmarktes, der die „Preiserwartung“
für das nächste Jahr markiert.
Zuletzt gab es den elektrischen „Saft“ für
die Sofortlieferung billiger. Dank unerwartet
hoher Windstromeinspeisung wegen
kräftiger Windböen sowie ungewöhnlich
warmer Witterung und geringer Nachfrage
konnte man sich Ende Januar laut
Händlern zu 26 Euro die Megawattstunde
eindecken - etwa ein Zehntel dessen, was
der Privatkunde inzwischen für Elektrizität
bezahlen muss. Und das im Januar, in
dem die Nachfrage meist besonders groß
und der Preis besonders hoch ist.
Die Talfahrt des Strompreises hat damit
kein Ende gefunden, wie nicht nur die
Preiserwartungen am Terminmarkt zeigen.
Kurz- wie langfristig erwarten Händler
sinkende Notierungen. Langfristszenarien
zeigten bis 2017 eine fallende Tendenz,
sagt Tobias Federico vom Berliner
Strommarktanalysten Energybrainpool.
Branchenkenner nennen mehrere
Gründe für die niedrigen Börsenstrompreise,
an erster Stelle die wachsende Einspeisung
von Ökostrom aus Windkraft-,
Solar- und Biogasanlagen. Sie verdrängt
teure Stromerzeuger wie neue Gaskraftwerke
oder nicht abgeschriebene Kohle-
(raftwerke aus der Anbieterliste. Aktuell

fahre Eon mit jeder Megawattstunde aus
einem Gaskraftwerk einen Verlust von 9
Euro ein, sagt Eon-Vorstandschef Johannes
Teyssen. Hinzu kommt das große
Überangebot auf dem Markt für
C02-Emissionszertifikate. Bei Preisen
von unlängst weniger als 3 Euro die Tonne
macht das das Verströmen von Braunkohle
aus heimischer Produktion attraktiv.
Das gilt auch für Steinkohle, selbst
wenn sie eingeführt wird.
Seitdem in Amerika Strom zunehmend
aus selbst gefördertem „Shale“-Gas statt
aus Kohle erzeugt wird, drängt ein großes
Angebot an Kohle auf den Weltmarkt.
Amerika musste die Lager räumen, sagt
Erich Schmitz, Geschäftsführer'des Vereins
der Kohleimporteure. Deshalb sei

der Preis von 120 auf 90 Dollar die Tonne
gesunken. Im Ergebnis könnten deutsche
Kohlekraftwerke die Megawattstunde
Strom 25 bis 30 Euro günstiger erzeugen
als ökologisch vorteilhaftere Gaskraftwerke.
So konnten die Kohleimporteure zu ihrer
eigenen Überraschung das Einfuhrniveau
hoch halten und trotz Grünstromausbau
hierzulande 6 Prozent mehr Kohle
zur Verstromung verkaufen.
Was den Einfluss von Shale-Gas auf
den deutschen Strompreis angeht, sind
viele Energieexperten skeptisch, auch Felix
Matthes vom Öko-Institut. Doch auch
er sieht als bestimmende Einflussgrößen
„kurzfristig die Steinkohle, langfristig die
Erneuerbaren“. Deshalb könnte der
Strompreis weiter sinken, „auch wenn das
keine unendliche Rutschbahn nach unten
ist“. Analyst Federico von Energybrainpool
sagt, er sei bei diversen Szenarien
selten auf Werte unter 40 Euro gekommen.
Doch würde er sich auch „nicht wundern,
wenn die Strompreise für Lieferung
2014 im Jahresverlauf witterungsbedingt
auf 35 Euro je Megawattstunde fallen.“
Sinkende Strompreise an der Börse
sind für Umweltminister Altmaier ein
Horrorszenario. Je niedriger der Börsenstrompreis,
desto weniger Geld erlösen
die Netzbetreiber aus der Vermarktung
der erneuerbaren Energien am Markt und
desto größer wird die Finanzierungslücke,
die die Stromverbraucher nach dem
EEG ausgleichen müssen. Schon 2012 waren
das an die 17 Milliarden Euro. Denn
der für 20 Milliarden Euro von Wind-, Solar
und Biogasanlagenbetreibern zu staatlichen
Preisen ins Netz gespeiste Strom
war an der Börse nur 3 Milliarden Euro
wert. So stieg die EEG-Umlage um 47 Prozent
auf 5,28 Cent je Kilowattstunde.
Bereits bei einem Börsenpreis von 45
Euro fehlten in der aktuellen EEG-Rechnung
1,7 Milliarden Euro, hat der Umweltminister
ausrechnen lassen. Sänke der
Terminpreis auf 35 Euro, würde das weitere
3 Milliarden Euro Umlage bedeuten.
Deshalb hat Altmaier die Notbremse gezogen
und verlangt, die Ökostromumlage
auf dem aktuellen Niveau einzufrieren.
Denn die Preise für Strom laufen immer
weiter auseinander: Fallenden Preisen an
der Strombörse stehen steigende Kosten
für Haushalte und Unternehmen gegenüber.
Während die Erzeuger weniger für
ihr Produkt bekommen und schon Subventionen
für den Weiterbetrieb unrentabler
Anlagen verlangen, müssen die Verbraucher
immer mehr für die Elektrizität zahlen.
Der Grund für steigende Konsumentenpreise
sind die Kosten für Vertrieb und
Netzausbau, Steuern und Abgaben, die
zum Börsenpreis hinzukommen. Mindestens
ebenso wichtig ist der Fördermechanismus
des EEG. Als Scharnier zwischen
Börse und Verbrauchern führt es zu Überkapazitäten,
erzeugt Preisdruck auf dem
Strommarkt und löst Zusatzkosten aus: Je
mehr Strom zu festen Preisen eingespeist
wird, desto höher steigt die Umlage.

FAZ Print Di 5.2.2013


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