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Samstag, 4. Oktober 2014

Die von vielen Westeuropäern lange vertretene Annahme, dass die Mitglieder von Nato und EU nicht mehr in ihrer territorialen Integrität bedroht seien, hat sich als falsch erwiesen. Was tun, wenn Russland nicht mehr unser strategischer Partner ist?


UkraineDie Ukraine-Krise und die Sicherheit Europas

Die von vielen Westeuropäern lange vertretene Annahme, dass die Mitglieder von Nato und EU nicht mehr in ihrer territorialen Integrität bedroht seien, hat sich als falsch erwiesen. Was tun, wenn Russland nicht mehr unser strategischer Partner ist?

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Was als nationale politische Krise in der Ukraine begann, hat sich zu einer Krise entwickelt, die die europäische Sicherheit bedroht. Etwas nahezu Unvorstellbares ist Realität geworden: ein Krieg in Europa, in dem Flugzeuge quasi routinemäßig abgeschossen werden, in dem die Zahl der Opfer ständig steigt und für den eine Verhandlungslösung nach wie vor in weiter Ferne ist. Die Risiken einer weiteren Eskalation und von Fehleinschätzungen stellen die größte Gefahr für die europäische Sicherheit der vergangenen mehr als zwanzig Jahre dar.
Ende Mai fragte ich den ukrainischen Ministerpräsidenten Arsenij Jazenjuk, wie der Westen der Ukraine am besten helfen könne. Ohne nur einen Augenblick zu zögern, erwiderte er: „Zeigen Sie einfach Geschlossenheit. Das ist mein einziger Wunsch.“ In der Tat können wir diese Krise nur dann erfolgreich bewältigen, wenn Amerikaner und Europäer gemeinsam auftreten: Während es der Europäischen Union an militärischer und politischer Macht fehlt, um Russland allein entgegenzutreten, kann der politisch­militärische Einfluss der Vereinigten Staaten durch die wirtschaftliche Kraft der EU erheblich verstärkt werden.
In dieser Krise geht es nicht nur um die Ukraine, so grausam die Lage ist für die zahlreichen Opfer und Flüchtlinge in der Ukraine - nicht zu vergessen die fast 300 unschuldigen Zivilisten in der Maschine MH17 und deren Angehörige in aller Welt. Der Westen erlebt vielmehr derzeit ein Russland, das sich nicht mehr an den vereinbarten Konsens über Sicherheit in Europa gebunden fühlt, der in der KSZE-Schlussakte, der Charta von Paris von 1990 und weiteren Vereinbarungen festgeschrieben ist. Am treffendsten kann man die neue russische Außenpolitik mit dem Etikett „revisionistisch“ beschreiben. Auch deshalb hat die Krise weitreichende Auswirkungen auf Europa und auf die internationale Sicherheit. Die Ukraine ist zum Schauplatz für die Auseinandersetzung darüber geworden, auf welchen Prinzipien die Weltordnung des 21. Jahrhunderts beruhen wird.
Aber spiegelt sich diese Erkenntnis auch in den politischen, wirtschaftlichen und militärischen Maßnahmen wider, die der Westen bislang ergriffen hat? Haben wir - von kurzfristigen Aktionen und Reaktionen abgesehen - die mittel- und langfristigen strategischen Konsequenzen angemessen bedacht?
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Russland trägt einen Großteil der Verantwortung für die Verschlechterung der Situation in der Ostukraine. Wenn wir derzeit Krieg im Herzen Europas erleben, dann deshalb, weil Russland wenig oder nichts unternommen hat, um die grenzüberschreitenden Ströme von Kämpfern und militärischem Material zu unterbinden. Moskau untergräbt damit den Rahmen der europäischen Sicherheit, der Europa in den vergangenen Jahrzehnten zu einer vergleichsweise friedlichen Region gemacht hat.

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