In dem Rechtsstreit
Republik Argentinien
gegen
Koch
8 U 56/14
beantragen wir namens der Beklagten, Berufungsklägerin und Anschlussberufungsbeklagten
(Beklagten),
die Anschlussberufung der Klägerin zurückzuweisen.
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Inhaltsverzeichnis
A: Zur Anschlussberufung................................................................................................................4
I. Unzulässigkeit des Feststellungsantrags........................................................................... 5
II. Unbegründetheit des Feststellungsantrags.......................................................................6
1. Keine Verletzung der Pari-Passu-Klausel..................................................................6
a) Wortlautauslegung........................................................................................ 8
b) Sinn und Zweck der Klausel im allgemeinen Verständnis der maßgeblichen
Wirtschaftskreise..........................................................................................12
c) Keine Teilungsklausel vereinbart..................................................................17
d) Die von der Klägerin begehrte Auslegung würde sie besser stellen als die
Umtauschgläubiger...................................................................................... 18
e) Hilfsweise: Die klägerische Auslegung der Klausel ist nicht die objektiv
gläubigerfreundlichste Auslegung................................................................19
2. Jedenfalls: Kündigung wäre einzige Rechtfolge im Falle einer Klauselverletzung 20
a) Kündigungsrecht als vertraglich vereinbarte Rechtsfolge einer Verletzung
der Pari-Passu-Klausel..................................................................................20
b) Keine Erfüllungsansprüche aus der Pari-Passu-Klausel............................... 21
3. Verstoß gegen allgemeine Regeln des Völkerrechts............................................. 21
4. Hilfsweise: Verjährung und Verwirkung................................................................ 22
III. Klageerweiterung.............................................................................................................22
B. Zur Berufung...............................................................................................................................23
I. Vorlagepflicht gemäß Art. 100 Abs. 2 GG....................................................................... 23
II. Der Klage stehen allgemeine Regeln des Völkerrechts entgegen................................... 25
1. Das klägerische Erfüllungsverlangen ist rechtsmissbräuchlich............................. 26
a) Das klägerische Erfüllungsverlangen widerspricht dem Insolvenz!echtlichen
Gleichbehandlungsgebot............................................................................. 27
b) Das klägerische Erfüllungsverlangen widerspricht dem globalen
öffentlichen Interesse an einer geregelten und nachhaltigen Lösung von
Staatsfinanzkrisen.........................................................................................27
c) Anerkennung der Einrede des Rechtsmissbrauchs im Kontext von
Staatsfinanzkrisen.........................................................................................28
d) Ausgestaltung und Inhalt der Einrede des Rechtsmissbrauchs im Kontext
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von Staatsfinanzkrisen................................................................................. 29
2. Der Beklagten steht ein Leistungsverweigerungsrecht zu, da die
Mehrheitsentscheidung der Gläubiger zur Umschuldung bindend ist................. 30
3. Entgegenstehende Eingriffsnorm nach international-privatrechtlichen
Grundsätzen.......................................................................................................... 32
III. Kein Entgegenstehen des sog. Akkordstörer-Urteils des Bundesgerichtshofs............... 33
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A. Zur Anschlussberufung
Die Anschlussberufung ist unzulässig, ansonsten unbegründet. Soweit die Klage
vom Landgericht abgewiesen wurde, ist das Urteil entgegen den in vielfältiger Hinsicht
rechtsirrigen Ausführungen der Klägerin nicht zu beanstanden.
Mit ihrem mit der Anschlussberufung weiterverfolgten Feststellungsantrag bezieht
sich die Klägerin auf die sog. Pari-Passu-Klausel und begehrt mit ihrem Feststellungsantrag
die Feststellung einer Zahlungspflicht zu bestimmten Terminen und auf
eine bestimmte Art und Weise, während sie gleichzeitig in ihren Leistungsanträgen
unbeschränkt Zahlung verlangt. Unabhängig davon, dass die Klägerin keinen Anspruch
auf eine bestimmte Art und Weise der Erfüllung der angeblichen Zahlungsansprüche
hat, fehlt ihr für den Feststellungsantrag das Rechtsschutzbedürfnis.
Die Pari-Passu-Klausel ist eine Standard-Klausel in Anleihebedingungen, die seit
Jahrzehnten Verwendung findet. Die Klägerin versucht mit ihrer „Auslegung" der
sog. Pari-Passu-Klausel zu suggerieren, dass sie einen Anspruch hätte, zu bestimmten
Zeitpunkten auf eine bestimmte Art und Weise bedient zu werden.
Diese Auslegung ist mit deutschen Auslegungsgrundsätzen nicht vereinbar, zumal
sie dem allgemeinen Verkehrsverständnis widerspricht. Die Klägerin möchte die
Klausel so ausgelegt wissen, dass sie - entgegen jahrzehntelanger Praxis- nicht nur
den formalen, rechtlichen Gleichrang bestätigt, sondern - weit darüber hinaus und
ohne jeden Bezug zu ihrem Wortlaut - auch eine Verpflichtung faktischer Gleichbehandlung
bei Zahlungen an alle gleichrangigen Gläubiger enthält.
Die Klägerin stützt sich in ihrer Klage einzig und allein auf eine Entscheidung eines
U.S.-Gerichts, die auch hierzulande von allen Seiten kritisiert wird.
Vgl.: „Argentiniens Pleite - ein Justizskandal", http://www.tagesschau.de/
kommentar/argentinien-144.html; „Argentinien zum säumigen
Schuldner erklärt", Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 01.08.2014.
- Anlage BB 9 -
Dieses Urteil möchte die Klägerin unreflektiert auf die deutsche Rechtsordnung
übertragen. Sie lässt dabei geflissentlich außer Acht, dass die U.S.-Entscheidung auf
Grundlage einer völlig anderen Rechtsordnung erging. Die dort in Streit stehenden
Anleihen wurden nach dem Recht des Staates New York begeben, die Pari-Passu-
Klausel war in einem bilateralen „Fiscal Agency Agreement" enthalten und das Gericht
entschied auf Grundlage einer Prozessordnung, die sich fundamental von der
deutschen Zivilprozessordnung unterscheidet. Die Entscheidung des U.S.-Gerichts
widerspricht gefestigter deutscher Rechtsprechung, insbesondere der Rechtsprechung
des Bundesgerichtshofs zur Auslegung von Anleihebedingungen, und hat daher
keine Relevanz für den vorliegenden Rechtsstreit.
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I. Unzulässigkeit des Feststellungsantrags
Das Landgericht hat den Feststellungsantrag zu Recht als unzulässig abgewiesen.
Zur Begründung führte das Landgericht aus, dass die Klägerin kein Feststellungsinteresse
für diesen Antrag hat, da die Beklagte umfassend zur Zahlung verpflichtet
wurde. Ungeachtet der Tatsache, dass die Verurteilung zur Zahlung zu Unrecht erfolgte
(vgl. Berufungsbegründung der Klägerin vom 05.06.2014), ist die Entscheidung
des Landgerichts insoweit folgerichtig.
Mit dem Feststellungsantrag verlangt die Klägerin die Feststellung von Zahlungsansprüchen,
die sie in ihren Leistungsanträgen bereits vollumfänglich geltend gemacht
hat. Es ist unzulässig, einen Feststellungsantrag hilfsweise zum letztlich identischen
Leistungsantrag geltend zu machen.
Vgl.: BGH, NJW 1998,1633,1633.
Nach dem zweigliedrigen Streitgegenstandsbegriff bestimmt sich der Streitgegenstand
nicht nach einem bestimmten materiell-rechtlichen Anspruch (z.B. aus § 793
BGB), sondern vielmehr anhand der begehrten Rechtsfolge, die im Klageantrag zum
Ausdruck kommt.
Vgl.: BGH, NJW 2009, 56, Rn. 15.
Mit den Leistungsanträgen verlangt die Klägerin aus den Inhaberschuldverschreibungen
die Zahlung eines Geldbetrags in Höhe der Nominalbeträge nebst
Zinsen. Auf die Fragen, welcher materiell-rechtliche Anspruch die Zahlung dieser
Beträge stützte und welche Ansprüche die Gerichte für gegeben ansahen, kommt es
nicht an. Entscheidend ist die begehrte und zugesprochene Rechtsfolge der Zahlung
des geschuldeten Betrags.
Mit ihrem Feststellungsantrag begehrt die Klägerin letztlich erneut die Feststellung
dieser Zahlungspflicht, mit dem einzigen Unterschied, dass sie nun die Modalitäten
der Zahlung unter dem Deckmantel eines angeblichen „Gleichbehandlungsgebots"
diktieren möchte. Anstelle einer unbeschränkten Leistung begehrt die Klägerin
nunmehr eine auf bestimmte Termine und Zahlungsmodalitäten beschränkte Leistung.
Dieses beschränkte Begehren ist vom umfassenden Zahlungsbegehren logisch
mit umfasst und stellt keine neue oder andere Rechtsfolge dar.
Selbst wenn man annähme, dass Leistungs- und Feststellungsantrag hier keinen
identischen Inhalt hätten, bliebe die Feststellungsklage subsidiär, da die Klägerin ihr
Feststellungsbegehren genauso gut zum Inhalt einer vorrangigen Leistungsklage
machen könnte. Da die Feststellungsklage stets subsidiär zur Leistungsklage ist,
fehlt ihr das Feststellungsinteresse.
Vgl.: BGH, NJW 1984, 1118, 1119; Becker-Eberhard, in: MüKo ZPO] 4.
Aufl., § 256, Rn. 49.
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Gründe, warum die Klägerin hier ausnahmsweise trotz des Vorrangs der Leistungsklage
ein berechtigtes Feststellungsinteresse haben könnte, sind nicht ersichtlich.
Die Klärung abstrakter Rechtsfragen, wie sie die Klägerin nunmehr mit ihrer Anschlussberufungsbegründung
fordert, ist kein tauglicher Gegenstand einer Feststellungsklage.
Vgl.: BGH NJW 1995, 1097; 2001, 445, 447; Becker-Eberhard, in: MüKo
ZPO, 4. Aufl., § 256, Rn. 49; Greger, in: Zöller, ZPO, 30. Aufl., § 256,
Rn. 5.
II. Unbegründetheit des Feststellungsantrags
Der Feststellungsantrag ist zudem unbegründet.
1. Keine Verletzung der Pari-Passu-Klausel
Die Beklagte hat in der Pari-Passu-Klausel keine der von der Klägerin gewünschten
Verpflichtungen übernommen. Die Klägerin versucht sie für ihre eigenen Zwecke zu
instrumentalisieren. Die Pari-Passu-Klausel lautet:
„Die Teilschuldverschreibungen und Zinsscheine stellen vorbehaltlich
der Absätze (2) und (3) unmittelbare, unbedingte, unbesicherte und
nicht nachrangige Verbindlichkeiten der Anleiheschuldnerin dar, die
untereinander stets im gleichen Rang stehen.
Die Zahlungsverpflichtungen der Anleiheschuldnerin aus den
Teilschuldverschreibungen und Zinsscheinen werden vorbehaltlich
der Absätze (2) und (3) stets mindestens im gleichen Rang stehen mit
allen ihren sonstigen gegenwärtigen und zukünftigen unbesicherten
und nicht nachrangigen Auslandsverbindlichkeiten (wie nachstehend
definiert)."
Vgl.: § 7 (1) der Anleihebedingungen zur WKN 130 020.
Die Pari Passu-Klausel bestätigt allein den rechtlichen Rang der verbrieften Forderungen,
und daraus lassen sich unter keinem denkbaren Gesichtspunkt die von der
Klägerin begehrten Rechtsfolgen ableiten. Der Wortlaut ist insoweit eindeutig.
Selbst wenn man diese Klausel - die seit Jahrzehnten im deutschen Markt für
Staatsanleihen Verwendung findet - für auslegungsbedürftig hielte, ergibt sich
nichts anderes.
Auch börsengängige Schuldverschreibungen sind nach Maßgabe der allgemeinen
Auslegungsvorschriften der §§ 133, 157 BGB auszulegen.
Vgl.: BGH, NJW-RR 2010, 63, 64, Rn. 13; NJW 2002, 2102, 2103; 1997, 3434,
3435.
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Ausgangspunkt ist dabei der Wortlaut der Klausel. Entgegen der Auffassung der
Klägerin ist in der Klausel nur von gleichem „Rang" in Bezug auf andere Auslandsverbindlichkeiten
die Rede (siehe unten 1.). Diesergibt selbst nichts für die von der
Klägerin begehrte Auslegung her; im Gegenteil, die von der Klägerin vorgebrachte
„Interpretation" lässt sich bereits mit dem Wortlaut nicht in Einklang bringen.
Nach der Rechtsprechung des BGH ist ferner besonders zu berücksichtigen, dass
sich die Auslegung börsengängiger Papiere nicht nur auf die in der Urkunde niedergelegten
Bedingungen beschränkt, sondern auch sämtliche Begleitumstände im
Zeitpunkt der Ausgabe von Schuldverschreibungen herangezogen werden müssen,
insbesondere die allgemeine Verkehrsauffassung zum Zeitpunkt der Begebung der
Wertpapiere. Hierzu führte der BGH grundlegend aus:
Die Verwertung solcher auch außerhalb der Urkunde liegenden
Umstände ist bei der Auslegung von Schuldverschreibungen deshalb
geboten, weil bei ihr die allgemeine Verkehrsauffassung zu
berücksichtigen ist, wie sie sich in den Anschauungen der
maßgeblichen Wirtschaftskreise, namentlich der Börse und der
Banken niederschlägt. Auch können die besonderen
Begleitumstände, Anlaß und Zweck für die Ausgabe solcher Papiere
nicht außer Betracht bleiben, weil sie erfahrungsgemäß einen
wichtigen Anhaltspunkt für die Bildung der allgemeinen
Verkehrsauffassung darstellen. Dazu gehört namentlich auch eine
Beurteilung, die in den maßgeblichen Wirtschaftskreisen Papieren
dieser Art im Zeitpunkt ihrer Ausgabe allgemein zuteil wird. Diese
umfassende Würdigung aller für die allgemeine Verkehrsauffassung
maßgeblichen Umstände ist auch für die Möglichkeit einer
ausreichenden Kapitalbeschaffung auf dem Kapitalmarkt für die
Wirtschaft von einer entscheidenden Bedeutung, weil hier
naturgemäß die allgemeine Verkehrsauffassung bei der rechtlichen
und wirtschaftlichen Beurteilung börsengängiger Papiere nicht
beiseite geschoben werden kann, ohne zu einer schweren
Vertrauenserschütterung der für den Kapitalmarkt wichtigen
Personenkreise zu führen.
Vgl.: BGHZ 28, 259, 264 = NJW 1951, 31.
Ebenso: BGH NJW-RR 2009, 1641, 1642, Rn. 20; OLG München, NJW-RR 1999,
557, 558; Marburger, in: Staudinger, BGB, Neub. 2009, § 793, Rn. 9;
Habersack, in: MüKo BGB, 6. Aufl., § 793, Rn. 8.
Neben dem Wortlaut spielt bei der Auslegung also eine ganz entscheidende Rolle,
wie die maßgeblichen Wirtschaftskreise zum Zeitpunkt der Ausgabe der Schuldverschreibungen
die Klausel verstanden haben. Dies darf schon deshalb nicht unberücksichtigt
bleiben, weil es sich bei börsengängigen Schuldverschreibungen nicht
um eine „klassische" Vertragsbeziehung zwischen zwei Personen handelt, sondern
die Anleihebedingungen vielmehr an einen unbestimmten Personenkreis gerichtet
8
sind und fungible Wertpapiere betreffen. Sie sind damit zwingend einheitlich auszulegen,
ohne Berücksichtigung eines etwaigen „Wunschdenkens" Einzelner, wie das
der Klägerin. Die Auslegung darf nicht zu einem Ergebnis führen, das zu einer
schweren Vertrauenserschütterung der für den Kapitalmarkt wichtigen Personenkreise
führen würde. Die Umschuldung von Staatsschulden würde bei einer Auslegung
im Sinne der Klägerin nicht nur in Zukunft unmöglich gemacht. Auch vergangene
Umschuldungen könnten dann erneut torpediert werden und betroffene Staaten
in die Insolvenz treiben. Dies war von keinem der relevanten Marktteilnehmer
gewollt und widerspräche im Übrigen völkerrechtlichen Prinzipien (siehe unten 2.).
Die Klägerin möchte die Pari-Passu-Klausel offenbar als eine Art „Teilungsklause!"
verstehen, um damit Zahlungsströme zu ihren Gunsten abzuzweigen. Teilungsklauseln
sind häufig in Konsortialkreditverträgen enthalten. Diese Teilungsklauseln haben
einen viel höheren und völlig anderen Regelungsgehalt als die hier vorliegende
Pari-Passu-Klausel (siehe unten 3.).
Das von der Klägerin vorgeschlagene Verständnis ist im Übrigen widersinnig. Siepocht
auf eine faktische Gleichbehandlung, obwohl sie im Ergebnis nicht gleichbehandelt,
sondern - zum Schaden der Umtauschgläubiger - bevorzugt werden möchte
(siehe unten 4.).
a) Wortlautauslegung
Die streitgegenständliche Pari-Passu-Klausel bestätigt nach dem klaren Wortlaut allein
den formalen, rechtlichen Gleichrang der Schuldverschreibungen. Die Anwendung
von § 305c Abs. 2 BGB kommt nach allgemeiner Auffassung und der ständigen
Rechtsprechung des BGH nur als ultima ratio in Betracht und dient nicht dazu, eine
Regelung in eine Klausel hineinzulesen, die in ihr keinen Ausdruck gefunden hat.
Vorrangig ist der Klauselinhalt durch Auslegung zu ermitteln.
Vgl.: BGH, NJW-RR 2010, 63, 64, Rn. 13; NJW 2002, 2102, 2103; 1997, 3434,
3435.
Verpflichtungen enthält die Klausel überhaupt nicht, sondern allein eine teils vergangenheits-,
teils zukunftsbezogene Aussage dahingehend, dass die streitgegenständlichen
Schuldverschreibungen den gleichen rechtlichen Rane haben wie andere
Auslandsverbindlichkeiten der Beklagten.
Vgl.: Paulus, WM 2013, 489, 490.
Erst recht enthält weder der erste noch der zweite Satz eine Verpflichtung, Zahlungen
faktisch nur an alle Gläubiger zu leisten. Der erste Satz bezieht sich nach seinem
Wortlaut ausschließlich und abschließend auf den Rang einer Teilschuldverschreibung
innerhalb einer Anleiheserie {„untereinander").
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„Die Schuldverschreibungen und Zinsscheine stellen (vorbehaltlich
der Absätze (2) und (3)) unmittelbare, unbedingte, unbesicherte und
nicht nachrangige Verbindlichkeiten der Anleiheschuldnerin dar, die
untereinander stets im gleichen Rang stehen." (Hervorhebung durch
den Unterzeichner)
Aus dem Wort „untereinander" lässt sich aus objektiver Sicht entnehmen, dass
hiermit das Rangverhältnis der angebotenen (Teil-)Schuldverschreibungen untereinander,
und zwar innerhalb derselben Anleiheserie, geregelt wird. Das ergibt sich
ohnehin aus der Fungibilität der Teilschuldverschreibungen einer Anleiheserie, der
Satz hat insoweit deklaratorischen Charakter. Zudem werden die Verbindlichkeiten
im ersten Satz der Klausel genauer beschrieben („unmittelbare, unbedingte und unbesicherte
Verbindlichkeiten").
Der zweite Satz der Klausel
„Die Zahlungsverpflichtungen der Anleiheschuldnerin aus den
Schuldverschreibungen und Zinsscheinen werden (vorbehaltlich der
Absätze (2) und (3)) stets mindestens im gleichen Rang stehen mit
allen ihren sonstigen gegenwärtigen und zukünftigen unbesicherten
und nicht nachrangigen Auslandsverbindlichkeiten (wie nachstehend
definiert)."
bezieht sich nach seinem Wortlaut ausschließlich und abschließend auf den Rang
einer Verpflichtung aus den Schuldverschreibungen im Verhältnis zu den „sonstigen
gegenwärtigen und zukünftigen unbesicherten und nicht nachrangigen Auslandsverbindlichkeiten",
also zu den Verpflichtungen aus den Schuldverschreibungen anderer
Anleiheserien.
In der Klausel ist immer nur abstrakt von einem gleichen Rang der Schuldverschreibungen
die Rede, bzw. dass die Verpflichtungen aus den Schuldverschreibungen im
gleichen Rang stehen. Die Klausel enthält hingegen keine Verpflichtung und trifft
außerdem auch keine Aussage zur gleichen und anteilsmäßigen faktischen Zahlung
auf alle Auslandsverbindlichkeiten gleichen Ranges.
Wäre eine gleichmäßige Verteilung von faktischen Zahlungen an alle gleichrangigen
Gläubigergruppen gewollt gewesen, hätte man dies ohne weiteres festschreiben
können und müssen. So findet sich zum Beispiel in italienischen Staatsanleihen eine
entsprechende Formulierung:
"The debt securities will be the direct, unconditional, unsecured and
general obligations of Italy. They will rank equally with all of our
present and future unsecured and unsubordinated general
borrowing. The full faith and credit of Italy will be pledged for the
due and punctual payment of the debt securities and for the due and
timely performance of all of our obligations under the debt securities.
We will pay principal and interest on the debt securities out of the
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Ministry of Economy and Finance of Italy. We will pay omounts due
on the debt securities equally and ratably with all general loan
obligations of Italy."
Eigene Übersetzung:
„Die Schuldverschreibungen werden direkte, unbedingte,
unbesicherte und allgemeine Verbindlichkeiten von Italien sein. Sie
werden im gleichen Rang mit allen unseren gegenwärtigen und
zukünftigen unbesicherten und nicht nachrangigen allgemeinen
Verbindlichkeiten stehen. Mit dem Vertrauen in die Kreditwürdigkeit
Italiens wird die ordnungsgemäße und pünktliche Zahlung auf die
Schuldverschreibungen und die ordnungsgemäße und fristgerechte
Erfüllung aller diesbezüglichen Verbindlichkeiten Italiens zugesichert.
Wir werden Nennwert und Zinsen aus den Schuldverschreibungen
durch das Wirtschafts- und Finanzministerium zahlen. Wir werden
aus den Schuldverschreibungen fällige Beträge gleichrangig und
anteilmäßig mit allen anderen allgemeinen
Darlehensverpflichtungen Italiens zahlen."
Vgl.: Auszug aus dem Wertpapierprospekt der Republik Italien vom
16.06.2003, S. 34,1. Abs, Anlage B 17.
Die ersten beiden Sätze dieser Klausel in den italienischen Staatsanleihen entsprechen
den hier streitgegenständlichen Sätzen und bestätigen einzig und allein den
formalen, rechtlichen Rang der Wertpapiere. Erst im letzten Satz der italienischen
Klausel ist nicht mehr vom gleichen „Rang" die Rede. Vielmehr werden dort zweifelsfrei
sowohl der faktische Zahlungsvorgang als auch eine Verpflichtung der Republik
Italien geregelt. An beidem fehlt es bei der streitgegenständlichen Klausel.
Die Unterschiede in der Formulierung drücken - entgegen der Auffassung der Klägerin
- somit auch unterschiedliche Bedeutungen der Klausel aus.
Diesen letzten Satz möchte die Klägerin nun in den Wortlaut der streitgegenständlichen
Klausel einfach „hinzudichten". Dabei ignoriert die Klägerin den klaren Wortlaut
der hier streitgegenständlichen Klausel. Sie beschränkt sich vielmehr darauf,
das Bundesberufungsgericht der Vereinigten Staaten für den 2. Gerichtsbezirk zu zitieren.
Dabei lässt sie geflissentlich außer Acht, dass die von ihr angeführte U.S.-
Entscheidung auf Grundlage einer anderen Rechtsordnung erging. Die dort in Streit
stehenden Anleihen wurden nach dem Recht des Staates New York begeben und
das Gericht entschied auf Grundlage einer Prozessordnung, die sich fundamental
von der deutschen Zivilprozessordnung unterscheidet. Insbesondere die Auslegungsgrundsätze
nach dem Recht des Staates New York unterscheiden sich grundlegend
von den deutschen Auslegungsgrundsätzen.
Beweis: Sachverständigengutachten
11
In den U.S.-Verfahren war die Por/'-Possw-Klausel auch nicht in Anleihebedingungen,
sondern in einem sogenannten „Fiscal Agency Agreement" enthalten, so dass sich
insofern bereits die Tatsachen unterscheiden.
Schon die Wortlautauslegung des U.S.-Gerichts entspricht nicht der Herangehensweise
nach deutschem Recht. Das einzige Argument, dass das U.S.-Gericht für seine
Auslegung vorbrachte, beruht darauf, dass der oben dargestellte zweite Satz der
Klausel überflüssig sei, wenn er nicht eine Verpflichtung zur faktischen Gleichbehandlung
bei der Zahlung ausdrücken würde. Diese Aussage, auf der letztlich die
gesamte Entscheidung beruht, ist unhaltbar. Bei richtiger Wortlautauslegung nach
den Grundsätzen des deutschen Rechts kommt jedem der beiden Sätze - entgegen
der Auffassung des US-Gerichts - sehr wohl ein eigenständiger Gehalt zu. Der erste
Satz betrifft - wie eben gezeigt - den Rang der Schuldverschreibungen derselben
Anleiheserie, der zweite Satz betrifft das Verhältnis zu den anderen Anleiheserien.
Beide Sätze haben somit bei der - richtigen - Lesart der Klausel einen eigenständigen
Regelungsgehalt, nämlich erneut die Frage des rechtlichen Ranges und gerade
nicht eine wie auch immer geartete Verpflichtung zur faktischen, gleichmäßigen Bedienung
untereinander gleichrangiger Verbindlichkeiten.
Aus der Perspektive des deutschen Rechts und am Maßstab der deutschen Auslegungsgrundsätze
gemessen, ist es daher nicht nachvollziehbar, wie das U.S.-Gericht
zu der vorgenommenen Wortlautauslegung kommen konnte, dass die Klausel auch
eine Verpflichtung zur faktischen Gleichbehandlung bei Zahlungen, also eine Verpflichtung
zur gleichmäßigen faktischen Bedienung, betrifft. In seiner zweiten Entscheidung
relativierte das U.S. Gericht seine Aussage im ersten Urteil auch sehr
stark:
„...we have not held that a sovereign debtor breaches its pari passu
clause every time it pays one creditor and not another, or even every
time it enacts a law disparately affecting a creditor's rights."
„...sind wir nicht der Meinung, dass ein staatlicher Schuldner seine
pari passu-Klauseln jedes Mal bricht; wenn er einen Gläubiger
bezahlt und einen anderen nicht, oder sogar wenn er ein Gesetz
erlässt, das die Rechte der Gläubiger ungleichartig beeinflusst."
Vgl.: Urteil des Berufungsgerichts der Vereinigten Staaten für den zweiten
Gerichtsbezirk, S. 23, Anlage K 31 (Übersetzung der Klägerin).
Wenn nun aber die Klausel nicht verletzt wird, wenn ein Gläubiger bezahlt wird und
ein anderer nicht, oder wenn ein Gesetz erlassen wird, das die Rechte der Gläubiger
ungleich beeinflusst, dann kann die Klausel offenbar auch nach New Yorker Recht
nicht den zwingenden Wortlaut haben, den die Klägerin hier unterstellt. Es wird
deutlich, dass sich das U.S. Gericht hier nicht von klassischen Auslegungssätzen hat
leiten lassen, sondern vom im U.S. Prozessrecht geltenden sog. „principle of equity",
12
also der Zumessung einer gerichtlichen Billigkeitsentscheidung losgelöst von jeglichen
geschriebenen Regeln.
Beweis: Sachverständigengutachten
Ein solches Prinzip, das es einem Gericht erlaubt, nach freiem Ermessen nach Billigkeit
zu entscheiden, gibt es im deutschen Recht nicht.
b) Sinn und Zweck der Klausel im allgemeinen Verständnis der maßgeblichen
Wirtschaftskreise
Die Pari-Passu-Klausel ist vor ihrem historischen Hintergrund zu sehen, der ihre Bedeutung
seit vielen Jahrzehnten prägt. Sie wurde erstmals im 19. Jahrhundert sowie
Anfang des 20. Jahrhunderts in besicherten Schuldverschreibungen im angloamerikanischen
Rechtskreis aufgenommen, um ein gleiches Rangverhältnis sämtlicher
Gläubiger an einem bestellten Sicherheiten-Pool zu gewähren. Ohne einen
solchen vertraglichen Gleichrang hätten in manchen Rechtsordnungen früher begebene
Anleiheserien ein Vorrangrecht an bestellten Sicherheiten gegenüber den späteren
Anleiheserien gehabt.
Unbesicherte Staatsanleihen, die Mitte des 20. Jahrhunderts populär und deren
Konditionen zu der Zeit im Wesentlichen von der Weltbank geprägt wurden, enthielten
lediglich sogenannte Negativklauseln. Diese Klauseln untersagten es dem
Staat weitestgehend, zukünftigen Gläubigern dingliche Sicherheiten zu bestellen,
sofern nicht allen anderen (gleichrangigen) Gläubigern gleichwertige Sicherheiten
bestellt wurden. Beginnend in den 1970ern wurde die Pcrri-Passu-Klausel auch in
unbesicherten Finanzprodukten eingeführt. Der Grund dafür war, dass es Gläubigern
in einigen Jurisdiktionen, insbesondere in den Philippinen und in Spanien, gelungen
war, durch die Ausnutzung lokaler Verfahren eine formal-rechtliche Vorrangstellung
zu erhalten, die ihnen rangmäßige Priorität verschaffte.
Vgl.: Buchheit/Pam, The Pari Passu Clause in Sovereign Debt Instruments, in:
Emory Law Journal, 2004, 869, 894 ff., ausführlich zur Entstehungsgeschichte
der Klausel, Anlage B 18.2.
Beweis: Sachverständigengutachen
Auch in Unternehmensanleihen lag der Sinn und Zweck der Klausel entsprechend
ihrem Wortlaut in der Sicherstellung eines formalen, rechtlichen Rangverhältnisses
unter den Gläubigern. In vielen Jurisdiktionen war und ist es im Falle eines Insolvenzverfahrens
möglich, die Rangverhältnisse unter den Gläubigern vertraglich festzulegen.
Ein solcher rangmäßiger Vorrang sollte verhindert werden.
Vgl.: Hinsch/Horn, Das Vertragsrecht der internationalen Konsortialkredite
und Projektfinanzierungen, S. 106; Daeniker, Anlegerschutz bei Obliga13
tionenanleihen, S. 188; Arpagaus, Die Besicherung von Anleihen, S. 246;
Hartwig-Jacob, Die Vertragsbeziehungen und die Rechte der Anleger bei
internationalen Anleiheemissionen, S. 514 f.
Beweis: Sachverständigengutachen
Schon die Entstehungsgeschichte zeigt, dass den Gläubigern aufgrund der Klausel
nur der formale, rechtliche Gleichrang bestätigt werden sollte.
Die Klausel wurde und wird in den maßgeblichen Verkehrskreisen nicht dahingehend
verstanden, dass es dem Emittenten verboten wäre, bestimmte Gläubiger
(insbesondere Gläubiger, die einem erheblichen Schuldenschnitt zugestimmt haben)
in tatsächlicher Hinsicht früher oder bevorzugt zu befriedigen als andere Gläubiger.
Zu einer gleichmäßigen, faktischen Bedienung aller gleichrangigen Verbindlichkeiten
verpflichtete sich der Emittent gerade nicht.
Vgl.: Buchheit/Pam, The Pari Passu Clause in Sovereign Debt Instruments, in:
Emory Law Journal, 2004, 869, 911 ff.; Buchheit/Reisner, The Effect of
the Sovereign Debt Restructuring Process on Inter-Creditor Relationships,
in: University of Illinois Law Review, 1988, 493, 497; Wood, Pari
Passu Clauses - What do they mean?, in: Butterworths Journal of International
Banking and Financial Law, 2003, 371, 373; Wood, Sovereign
insolvency: the bankruptcy ladder of priorities and the pari passu clause,
in: Tijdschrift voor Financieel Recht, 2012, 60, 65 f.; Gulati/Klee, Sovereign
Piracy, in: The Business Lawyer, 2001, 635, 643, (vgl. Anlagenkonvolut
B 18).
Zum Zeitpunkt der Emission der streitgegenständlichen Anleihen in den Jahren 1996
und 1997 war nicht beabsichtigt, dass diese Klausel neben der Bestätigung des formalen,
rechtlichen Gleichrangs zusätzlich auch eine gleichmäßige oder anteilige
Zahlung an Gläubiger regeln sollte. Vielmehr hat - wie Philip R. Wood, einer der
weltweit führenden Experten auf dem Gebiet des Kapitalmarktrechts, bereits im
Jahr 2003 feststellte -
„...niemand (...) daran gedacht, dass die Klausel auf eine
gleichberechtigte Zahlung gerichtet war - die Klausel ist nur eine
Zusicherung eines gleichen Ranges.
" ... nobody hgs thought thgt the clguse was intended to require
equgl poyment - the clause is only an assertion of legal ranking"
Vgl.: Wood, Pari Passu Clauses - What do they mean?, in: Butterworths
Journal of International Banking and Financial Law, 2003, 371, 373
(Übersetzung durch Unterzeichner; Hervorhebungen im Original, Anlage
B 18.4).
14
Beweis: Sachverständigengutachen.
Auch die Deutsche Bank AG, die als Konsortialbank, häufig sogar als Konsortialführerin
bei Emissionen von der Beklagten und vielen anderen Staaten begebenen DMbzw.
Euro-Anleihen, beteiligt war, hat die Klausel nicht so verstanden, wie die Klägerin
es nun gerne hätte. Die Deutsche Bank AG ist eine der führenden Banken im
weltweiten Staatsanleihenmarkt und als solche die wohl gewichtigste Marktteilnehmerin
in Deutschland. Den maßgeblichen Überblick über das weltweite und
deutsche Marktverständnis, insbesondere das Verständnis der Deutschen Bank AG,
hatte dabei ihr ehemaliger Chefsyndikus, Herr Dr. Hans-Dirk Krekeler, der die Entwicklung
der Anleihebedingungen der Beklagten in den 1990er Jahren auf Bankenseite
maßgeblich begleitete.
Dieser kann bestätigen, dass die von der Klägerin propagierte Auslegung der Pari-
Possiz-Klausel bei der Entwicklung und Verhandlung der Anleihebedingungen keine
Rolle gespielt hat. Vielmehr ist man damals wie selbstverständlich davon ausgegangen,
dass dem Schuldner durch diese Klausel nicht untersagt werden sollte, bestimmte
Verbindlichkeiten faktisch zu bedienen. Anderenfalls hätte man die Klausel
anders formuliert. Die Klausel sollte lediglich den rechtlichen Rang bestätigen.
Beweis: Stellungnahme des Herrn Dr. Hans-Dirk Krekeler, Anlage B 19.
Zeugnis des Herrn Dr. Hans-Dirk Krekeler, Simsonstraße 1, 60385
Frankfurt am Main.
Bei den Umschuldungen der Staatsschulden durch Mexiko, Russland, Ukraine, Pakistan
und Ecuador und anderen Ländern in den 1980ern und 1990ern, d.h. in den Jahren,
in denen die streitgegenständlichen Anleihen begeben wurden, hat kein Gläubiger
jemals angedeutet, dass er die Pari-Passu-Klausel anders verstehen würde als
im Sinne einer Bestätigung des formalen rechtlichen Gleichrangs.
In diesem Sinne hat sich auch die Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika,
der weltweit bedeutendste Emittent und Käufer von Staatsanleihen, in einer Stellungnahme
vom 04.04.2012 unmissverständlich geäußert:
„It is clear that the market does not understand the de facto actions
or policies of a sovereign regarding payment of its debt obligations
to affect the "rank" of debt within the meaning of the pari passu
clause. To the contrary, market understanding has consistently
reflected that a "borrower does not violate the [pari passu] clause by
electing as a matter of practice to pay certain indebtness in
preference to the obligations outstanding under the agreement in
which this clause appears."
„Es ist klar, dass der Markt tatsächliche staatliche Handlungen und
Maßnahmen hinsichtlich der Zahlung ihrer Verbindlichkeiten nicht
dahingehend versteht, dass durch sie der „Rang" der Schulden im
15
Sinne der Pari-Passu-Klausel berührt wird. Im Gegenteil, das
Marktverständnis hat stets widergespiegelt dass ein „Schuldner die
[Pari-Passu-]Klausel nicht verletzt, wenn er in tatsächlicher Hinsicht
entscheidet, bestimmte Schulden vorrangig vor anderen
ausstehenden Verbindlichkeiten zu bezahlen, die unter dem Vertrag
bestehen, in dem auch diese Klausel auftaucht."
Vgl.: Stellungnahme der Vereinigten Staaten von Amerika als Amicus
Curiae im Verfahren 12-105-cv(L) vor dem Berufungsgericht der Vereinigten
Staaten für den zweiten Gerichtsbezirk, S. 12. (Übersetzung
durch Unterzeichner; Literaturverweis ausgelassen, Anlage B 18.7).
Im Jahr 2005 hat sich ferner das von der englischen Zentralbank (Bank of England)
eingesetzte Financial Markets Law Committee („FMLC") mit der Bedeutung der Pari-
Passu-Klausel in Staatsanleihen auseinandergesetzt. Das FMLC ist mit führenden
Experten im Bereich des Bank- und Finanzrechts besetzt. Es kam ebenfalls zu dem
Ergebnis, dass die Klausel im Sinne der Bestätigung des formalen, rechtlichen
Gleichrangs ausgelegt werden muss. Eine Auslegung dieser Klausel, wie sie die Klägerin
nun vorschlägt, sei - so das FMLC - in der Finanzwelt vor dem Jahr 2000 nie
diskutiert oder sonst insinuiert worden.
Vgl.: FMLC, Pari Passu Clauses Working Group, Issue 79, Pari Passu Clauses:
Analysis of the role, use & meaning of pari passu clauses in sovereign
debt obligations as a matter of English law, März 2005, Anlage
B 18.8.
Auch die Clearing House Association L.L.C., ein Bankenverband, dem 17 der weltgrößten
Banken angehören, hat sich zur Auslegung der Pari-Passu-Klausel durch das
erstinstanzliche US-Gericht ablehnend geäußert:
„...the district court's interpretation of the standard pari passu clause
conflicts with longstanding market practice and understanding..."
"...die Interpretation des Bezirksgerichts der Standard-Pari-Passu-
Klausel widerspricht der seit langem bestehenden Marktpraxis und
dem Marktverständnis..."
Vgl.: Stellungnahme der Clearing House Association L.L.C. als Amicus
Curiae im Verfahren 12-105-cv(L) vor dem Berufungsgericht der Vereinigten
Staaten für den zweiten Gerichtsbezirk, S. 6, Anlage B 18.9.
Dies zeigt eindrücklich, dass die maßgeblichen Verkehrskreise (und nur auf diese
kommt es für die Auslegung an), einschließlich der weltweit größte Anleiheemittent
und Käufer von Staatsanleihen, die Vereinigten Staaten von Amerika, der Pari-
Passu-Klausel keinesfalls die von der Klägerin gewünschte Bedeutung beimessen.
Insoweit ist es kaum schlüssig, dass die relevanten Verkehrskreise der Klausel in den
90er Jahren (als die streitgegenständlichen Anleihen begeben wurden) der Standard
Por/-Posst/-Klausel eine ganz andere (nämlich die von der Klägerin ersehnte) Bedeutung
beigemessen haben, die im Wortlaut der Klausel nicht ansatzweise irgendeinen
16
Anklang findet. Würde man dieses allgemeine Verständnis der maßgeblichen Verkehrskreise
ignorieren, würde es zu einer schweren Vertrauenserschütterung der
für den Kapitalmarkt wichtigen Personenkreise führen. Denn dies würde erhebliche
ökonomische Verwerfungen bewirken, da die maßgeblichen Verkehrskreise, insbesondere
die großen Handelsteilnehmer, den Marktpreis basierend auf ihrem Verständnis
der Anleihebedingungen festgesetzt haben. Gäbe man den Anleihebedingungen
nunmehr eine ganz andere Bedeutung, würde auch die Preisbildung am
Markt plötzlich ganz erheblich beeinflusst.
Beweis: Sachverständigengutachen
Dies zeigt sich auch sehr eindrucksvoll anhand der Preisentwicklung für die noch
immer an der Börse gehandelten Alt-Schuldverschreibungen der Beklagten. Es ist
davon auszugehen, dass der Kurs der Schuldverschreibungen vor der - auch in der
deutschen Presse diskutierten - Entscheidung des U.S.-Berufungsgerichts auch das
allgemeine Marktverständnis dieser konkreten Pari-Passu-Klausel widerspiegelte.
Beweis: Sachverständigengutachten.
Anhand der Kursentwicklung ist eindeutig zu beobachten, dass der Börsenkurs der
Staatsanleihen der Beklagten, die alle die identische Pari-Passu-Klausel enthalten,
nach der Entscheidung des U.S.-Berufungsgerichts und der anschließenden Presseberichterstattung
Ende Oktober, Anfang November 2012 sprunghaft nach oben
schnellte und sich mehr als verdoppelte.
Vgl.: Übersicht der Kursentwicklungen der Anleihen zu den WKN 130 860,
134 091,130 020,131 950, 132 501, 134 810, 195 490, Anlage B 20.
Der Markt schreibt also der von der Klägerin und den Hedgefonds begehrten Auslegung
der Pari-Passu-Klausel einen eigenen Wert zu, der vor der für alle überraschenden
Entscheidung des U.S.-Berufungsgerichts überhaupt keine Rolle spielte.
Dies lässt nur den Schluss zu, dass die relevanten Verkehrskreise die Klausel nie so
verstanden haben, wie die Klägerin es nun gerne hätte. Im Übrigen belegt dieser
gewaltige Kurssprung, dass das Marktvertrauen nachhaltig erschüttert wurde - eine
Folge, die nach der Rechtsprechung des BGH zur Auslegung von Anleihebedingungen
gerade vermieden werden soll.
Eine Auslegung der Pari-Passu-Klausel, wie die Klägerin sie begehrt, würde nämlich
in letzter Konsequenz auch die Umschuldung von Staatsanleihen in Krisenfällen
praktisch unmöglich machen. Dies war weder von der Beklagten als Anleiheschuldnerin
noch von den Anleihegläubigern bzw. den (für die Auslegung) maßgeblichen
Verkehrskreisen gewollt.
Nahezu sämtliche Staatsanleihen enthalten eine Pari-Passu-Klausel.
Beweis: Sachverständigengutachten.
17
Da es im Falle von Staatsinsolvenzen kein formales Insolvenzverfahren gibt, sind
Staaten in hohem Maße auf die Kooperationsbereitschaft sämtlicher Gläubiger bei
der Umschuldung angewiesen. Nicht partizipierende Gläubiger (sog. Hold-Outs)
hätten bei einer Auslegung der Pari-Passu-Klausel, wie die Klägerin sie sich wünscht,
stets die Handhabe, einen mühsam international ausgehandelten Umstrukturierungsplan
zu vereiteln, indem sie mit einem einzigen Urteil die Zahlungsströme unter
dem Umstrukturierungsplan torpedieren. Die Gläubiger, die der Umstrukturierung
zugestimmt und auf einen erheblichen Teil ihrer Forderungen verzichtet haben,
hätten niemals Sicherheit, ob und in welchem Umfang der Staat ihre umgeschuldeten
Forderungen bedienen könnte. Sie würden dann von vornherein keinem
Umstrukturierungsplan zustimmen, mit entsprechend dramatischen Konsequenzen
für den in Not geratenen Staat.
Vgl.: Wood, Pari Passu Clauses - What do they mean?, in: Butterworths
Journal of International Banking and Financial Law, 2003, 371, 373;
FMLC, Pari Passu Clauses Working Group, Issue 79, Pari Passu Clauses:
Analysis of the role, use & meaning of pari passu clauses in sovereign
debt obligations as a matter of English law, März 2005, S. 14;
Stellungnahme der Vereinigten Staaten von Amerika als Amicus
Curiae im Verfahren 12-105-cv(L) vor dem Berufungsgericht der Vereinigten
Staaten für den zweiten Gerichtsbezirk, S. 17 ff.; Martinez,
US judges are jeopardising global finance, Financial Times vom
07.03.2013, vgl. Anlagenkonvolut B 18.
Beweis: Sachverständigengutachten.
Die Diskussion um die Auslegung der Pari-Passu-K\ause\ begann erst auf Betreiben
eines Hedgefonds, der im Jahr 2000 vor einem Brüsseler Gericht in einem einstweiligen
Rechtsschutzverfahren ohne Anhörung der anderen Parteien (damals Peru
sowie eine peruanische Staatsbank) eine einstweilige Verfügung erwirkte, die es einem
Dritten (Euroclear) untersagte, Zahlungen für Anleihegläubiger entgegenzunehmen
und zu verteilen. Das Gericht beschäftigte sich dabei nicht einmal ansatzweise
mit der Auslegung der Klausel und verließ sich in dieser Hinsicht im Wesentlichen
auf die - falsche - Angabe des Hedgefonds, dass die vorgetragene Bedeutung
der Klausel ständige Rechtsprechung der New Yorker Gerichte sei. Diese „erfundene"
Auslegung der Pari-Passu-Klausel ist und bleibt ein Konstrukt von Hedgefonds
und anderer Holdout-Gläubiger, die - wie die Klägerin - auf dieser „Welle" mitschwimmen
wollen. Mit den Grundsätzen der deutschen Vertragsauslegung und
der Rechtsprechung des BGH ist dies unvereinbar.
c) Keine Teilungsklausel vereinbart
Nach dem Begehren der Klägerin müsste man die Klausel als eine sogenannte
Saldenausgleichs- oder Teilungsklausel („sharing clause") verstehen. Das Ziel einer
solchen Teilungsklausel besteht darin, die Gläubiger in dem Sinne gleich zu behan18
dein, dass ihnen jegliche Zahlung proportional in einer Hohe zufließt, die ihrem Anteil
an dem fraglichen Kredit entspricht.
Vgl.: Weiter, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Handbuch, 4.
Aufl., § 118, Rn. 147.
Solche Teilungsklauseln finden sich in Konsortialverträgen zwischen mehreren Kreditgebern
(meist Banken) oder in Poolverträgen, nicht jedoch in Anleihebedingungen
von Staatsanleihen. Sie unterscheiden sich fundamental von einer Pari-Passu-
Klausel, was schon am unterschiedlichen Wortlaut und Regelungsumfang der Klauseln
deutlich sichtbar ist. Die Teilungsklausel hat (notwendigerweise) eine sehr viel
höhere Regelungsdichte, um sämtliche Modalitäten der Zahlungen zu regeln. Oft
geht sie über mehrere Seiten.
Vgl.: Hinsch/Horn, Das Vertragsrecht der internationalen Konsortialkredite
und Projektfinanzierungen, S. 167.
Wäre die Pari-Passu-Klausel als Teilungsklausel gedacht gewesen, hätte man die
Klausel daher offensichtlich ganz anders und sehr viel detaillierter formuliert und
formulieren müssen.
Vgl.: Wood, Pari Passu Clauses - What do they mean?, in: Butterworths
Journal of International Banking and Financial Law, 2003, 371, 373;
Stellungnahme der Clearing House Association L.L.C. als Amicus
Curiae im Verfahren 12-105-cv(L) vor dem Berufungsgericht der Vereinigten
Staaten für den zweiten Gerichtsbezirk, S. 11 ff., vgl. Anlagenkonvolut
B 18.
Bei Ausgabe der Schuldverschreibungen hat niemand in den maßgeblichen Verkehrskreisen
und auch nicht die Klägerin diese Klausel als Teilungsklausel verstanden.
Zumindest wäre - wie bei der erwähnten Anleiheemission der Republik Italien - als
Mindestinhalt ausdrücklich die faktische, gleiche und anteilsmäßige Zahlung aufgenommen
worden.
d) Die von der Klägerin begehrte Auslegung würde sie besser stellen als die
Umtauschgläubiger
Die Klägerin begehrt die Zahlung ihrer Forderungen in voller Höhe und bezieht sich
dabei auf eine Ungleichbehandlung durch die Beklagte, die die Umtauschgläubiger
angeblich bevorzuge. Die Klägerin vergisst dabei, dass die Umtauschgläubiger auf
einen Großteil ihrer Forderungen (ca. 70%) im Rahmen der Umtauschangebote verzichtet
und dadurch zu den Sanierungsbemühungen der Beklagten einen wesentlichen
Beitrag geleistet haben. Im Ergebnis verlangt die Klägerin, dass sie - anders als
die Umtauschgläubiger - in voller Höhe befriedigt wird und geht sogar so weit, dass
sie die Zahlungen an die Umtauschgläubiger unterbinden möchte, um selbst in vol19
ler Höhe befriedigt zu werden. Sinn und Zweck einer Gleichbehandlung (wenn eine
solche vereinbart wäre, quod non) würden dadurch in ihr Gegenteil verkehrt.
Eine Auslegung der Pari-Passu-K\ause\, so wie die Klägerin sie im Sinn hat, führte also
letztlich immer zu einer groben Ungleichbehandlung, nämlich einer Besserstellung
der Holdouts zu Lasten der umgeschuldeten Gläubiger. Einerseits soll nach Ansicht
der Klägerin die Klausel so gedeutet werden, dass tatsächliche Zahlungen
„gleich" geleistet werden sollen. Andererseits postuliert die Klägerin, in tatsächlicher
Hinsicht einen viel größeren Anteil zu fordern, als die Umtauschgläubiger erhalten.
Eine solche Auslegung entspricht weder dem Parteiwillen noch dem Verständnis der
maßgeblichen Verkehrskreise. Das hat auch ein prominenter Hedgefonds-Manager
bestätigt.
Vgl.: Martinez, US judges are jeopardising global finance, Financial Times
vom 07.03.2013, Anlage B 18.10.
Im Ergebnis ist die Klausel somit ohne Zweifel dahingehend auszulegen, dass durch
sie nur der formale, rechtliche Gleichrang bestätigt wird. Diesen rechtlichen Gleichrang
hat die Beklagte nicht verletzt. Sollte das Gericht zum allgemeinen Verkehrsverständnis
der Pari-Passu-Klausel und deren Auslegung weiteren Vortrag für erforderlich
halten, bitten wir um richterlichen Hinweis.
e) Hilfsweise: Die klägerische Auslegung der Klausel ist nicht die objektiv
gläubigerfreundlichste Auslegung
Selbst wenn man der Klägerin folgte und der Pari-Passu-Klausel eine Mehrdeutigkeit
zuspräche, wäre die von der Klägerin begehrte Auslegung der Pari-Passu-Klausel
nicht die gläubigerfreundlichste Auslegung. Es gilt ein objektiver Maßstab für die
Beurteilung der gläubigerfreundlichsten Auslegung. Der Klausel ist bei Anwendung
der Unklarheitenregelung derjenige Bedeutungsgehalt beizumessen, der sich im
Zeitpunkt der Anleihebegebung - generalisierend betrachtet - typischerweise am
stärksten zu Gunsten der relevanten Adressaten der Anleihebedingungen auswirkt.
Zum relevanten Adressatenkreis für die Bestimmung der gläubigerfreundlichsten
Auslegung gehören sämtliche Inhaber der streitgegenständlichen Schuldverschreibungen,
also nicht lediglich die heutigen Holdout-Gläubiger, sondern ebenfalls die
heutigen Umtauschgläubiger, die bis zum Umtausch Schuldverschreibungen dieser
Serien hielten.
Dabei ist auch bei der Anwendung von § 305c Abs. 2 BGB eine einheitliche Auslegung
der Anleihebedingungen - insbesondere bei fungiblen, börsengehandelten
Wertpapieren wie den streitgegenständlichen Schuldverschreibungen - zwingend.
Die Unklarheitenregelung hat also nicht zur Folge, dass sich jeder Anleihegläubiger
die für ihn günstigste Auslegung heraussuchen kann und der Verwender eine Viel20
zahl von Auslegungsvarianten gegen sich gelten lassen muss. Vielmehr kann es Vorkommen,
dass sich die objektiv adressatenfreundlichste Auslegung im Einzelfall für
einzelne Anleger faktisch nachteilig auswirkt.
Vgl.: OLG Hamm, NJW 1986, 2888, 2890; Ulmer/Schäfer, in: Ulmer/
Brandner/Hensen, AGB-Recht, 11. Aufl., § 305c, Rn. 90, 92a; Präve,
in: Graf von Westphalen, Vertragsrecht und AGB-Klauselwerke, 32. Erg.-
Lfg. 2012, AVB, Rn. 252.
Die Klägerin möchte mit ihrer Auslegung der Klausel in die Verteilung der für die
Umtauschgläubiger bestimmten Gelder eingreifen. Die Umtauschgläubiger, die die
überwältigende Mehrheit (mehr als 92%) der Anleihegläubiger darstellen und der
Par/'-Passu-Klausel ersichtlich nicht die Bedeutung zugemessen haben, die die Klägerin
ihr plötzlich beimisst, erhielten bei gleichzeitiger Befriedigung der Klägerin
zwangsläufig weniger aus den der Treuhänderin zur Verfügung stehenden Mitteln;
dies droht zu einem erneuten Zahlungsausfall zu führen. Die angebliche Gläubigerfreundlichkeit
der Auslegung erweist sich somit als Trugschluss, da sie unmittelbar
zu Lasten der ganz überwiegenden Mehrheit der Anleger ginge und für diese überaus
nachteilig wäre. Eine solche Auslegung zu Lasten des für diese Anleihebedingungen
maßgeblichen Anlegerkreises ist auch die Anwendung der AGB-rechtlichen
Unklarheitenregel nicht erlaubt.
2. Jedenfalls: Kündigung wäre einzige Rechtfolge im Falle einer Klauselverletzung
Selbst wenn man hier eine Verletzung der Pari-Passu-Klausel annähme (quod non),
wäre die Klage unbegründet. Eine - für die folgenden Ausführungen lediglich unterstellte
- Verletzung der Pcrri-Passu-Klausel würde nicht zu der von der Klägerin begehrten
Rechtsfolge der Erfüllung führen. Die Verletzung führt allenfalls zu einem
Kündigungsrecht.
a) Kündigungsrecht als vertraglich vereinbarte Rechtsfolge einer Verletzung
der Pari-Passu-Klausel
Die Bedingungen der streitgegenständlichen Teilschuldverschreibungen enthalten
eine Kündigungsklausel, die jedem Gläubiger das Recht zur außerordentlichen Kündigung
einräumt, wenn die Anleiheschuldnerin gegen die Anleihebedingungen verstößt.
Die Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen die Pari-Passu-Klausel sind bei allen
Anleihen als Kündigungsrecht geregelt (z.B. § 8 Abs. 1 lit. (b) der Anleihebedingungen
zur WKN 130 020). Das Kündigungsrecht ist die einzige vertraglich vereinbarte
Rechtsfolge eines etwaigen Verstoßes. Diese Regelung ist abschließend.
Vgl.: Hartwig-Jacob, Die Vertragsbeziehungen und die Rechte der Anleger
bei internationalen Anleiheemissionen, S. 517; Rohr, Grundzüge des
Emissionsrecht, S. 330 f.; Arpagaus, Die Besicherung von Anleihen,
21
S. 248; Siebel, Rechtsfragen internationaler Anleihen, S. 474; Berger,
in: MüKo BGB, 6. Aufl., § 488, Rn. 66.
b) Keine Erfüllungsansprüche aus der Pari-Passu-Klausel
Selbst nach der gesetzlichen Regelung stünden der Klägerin nur Sekundäransprüche
bei Verletzung der Pari-Passu-Klausel zu, da es sich um eine bloße Bestätigung oder
Zusicherung handelt.
Dies ergibt sich schon aus ihrem Wortlaut. In keiner Weise übernahm die Beklagte
mit dieser Klausel irgendeine Erfüllungspflicht. Es wurde einzig bestätigt, dass die
Schuldverschreibungen den gleichen rechtlichen „Rang" haben. Eine besondere Erfüllungsverpflichtung
ergibt sich aus der Klausel folglich nicht. In der herrschenden
Literatur wird die Pari-Passu-Klausel daher unter „représentations and warranties",
also unter Bestätigungen und Zusicherungen gefasst.
Vgl.: Castor, in: Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-
Kommentar, 16. Kapitel, Rn. 127; Rossbach, in: Kümpel/Wittig,
Bank- und Kapitalmarktrecht, 4. Aufl., Rn. 11.108; Hartwig-Jacob,
Die Vertragsbeziehungen und die Rechte der Anleger bei internationalen
Anleiheemissionen, S. 512; Hinsch/Horn, Das Vertragsrecht
der internationalen Konsortialverträge und Projektfinanzierungen,
S. 106; Arpagaus, Die Besicherung von Anleihen, S. 245;
Gooch/Klein, Documentation for Loans, Assignments and Participations,
S. 70 f. („représentations and warranties", Anlage 18.11.).
Die Verletzung einer Bestätigung oder Zusicherung stellt nach allgemeiner Ansicht
allenfalls einen Kündigungsgrund dar.
Vgl.: Castor, in: Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-
Kommentar, 16. Kapitel, Rn. 117.
Ein Erfüllungsanspruch lässt sie aus ihnen nicht ableiten.
3. Verstoß gegen allgemeine Regeln des Völkerrechts
Die von der Klägerin begehrte Befriedigung unter Inkaufnahme des Zahlungsausfalls
gegenüber den Umtauschgläubigern verstieße im Übrigen gegen allgemeine Regeln
des Völkerrechts. Gemäß Prinzip Nr. 7 der UNCTAD Principles on Promoting
Responsible Sovereign Lending and Borrowing („UNCTAD-Prinzipien") haben sich
sämtliche Gläubiger von Staatsanleihen in Krisensituationen (wie der hier vorliegenden)
nach Treu und Glauben und kooperativ zu verhalten. Dies beinhaltet unter anderem
auch das allgemeine Rechtsprinzip, dass ein Gläubiger rechtsmissbräuchlich
handelt, wenn er versucht, für sich eine gegenüber anderen Gläubigern bevorzugte
Behandlung durchzusetzen. Insoweit verweisen wir auf unsere Ausführungen zur
Berufung unten unter B.
22
Dies muss erst recht gelten, wenn der Holdout-Glaubiger, wie die Klägerin hier, es
gerade darauf anlegt, in die Zahlungen an die kooperativen Umtauschgläubiger einzugreifen
und teilweise für sich „abzuzweigen".
4. Hilfsweise: Verjährung und Verwirkung
Hilfsweise beruft sich die Beklagte auf Verjährung und Verwirkung. Die Schuldverschreibungen
der Klägerin waren bereits im Jahre 2003 zur Rückzahlung fällig. Die
erste Umschuldung fand 2005 statt. Die Klägerin kam offensichtlich erst acht Jahre
später auf ihre Idee der „kreativen Auslegung" der Pari-Passu-Klausel. Unterstellt
man, dass durch die Nichtzahlung unter Verstoß gegen ein Gleichbehandlungsverbot
die Rechte der Klägerin aus der Pari-Passu-Klausel tatsächlich beeinträchtigt
werden, läge eine dauernde Beeinträchtigung vor. Der Anspruch auf deren Beseitigung
entsteht dann einmalig mit Entstehung der (Dauer-)Beeinträchtigung.
Vgl.: Ellenberger, in: Palandt, 72. Aufl., § 199, Rn. 22.
III. Klageerweiterung
Der Klageerweiterung wird widersprochen. Sie ist damit unzulässig, jedenfalls aber
unbegründet.
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Ersatz angeblicher Kosten für außergerichtliche
Tätigkeiten ihrer Prozessbevollmächtigten.
Es wird bestritten, dass die Prozessbevollmächtigte der Klägerin über ihre angebliche
Tätigkeit Rechnung gelegt und diese die Rechnung bezahlt hat. Erstattungsfähig
wären außerdem nur die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung erforderlichen
Kosten. Ein anwaltliches Schreiben der Klägerin zur Kündigung der Anleihen
war nicht erforderlich. Der so einfach gelagerte Sachverhalt einer Kündigung erforderte
keine anwaltliche Hilfe, zumal die Klägerin in der Vergangenheit entsprechende
Kündigungsschreiben auch ohne anwaltliche Hilfe verschickte.
Da die Beklagte rechtmäßig die Bedienung der Anleihen von Holdout-Gläubigern
verweigert, stand der Klägerin im Übrigen kein Kündigungsrecht zu.
Zudem ist die Gebührenforderung völlig überzogen. Bei dem Kündigungsschreiben,
das die Klägerin in der Vergangenheit auch sehr gut ohne anwaltliche Hilfe versenden
konnte, handelt es sich allenfalls um ein Schreiben einfacher Art.
24
Völkerrechtsregeln sichern; es ist insofern ein Element der
Völkerrechtsoffenheit des Grundgesetzes. Das
Bundesverfassungsgericht stellt sich damit mittelbar in den Dienst
der Durchsetzung des Völkerrechts und vermindert dadurch das
Risiko der Nichtbefolgung internationalen Rechts."
Vgl.: BVerfGE 109,13, 23 f. (Verweise ausgelassen).
Um diese Zwecke (Schutz vor Völkerrechtsverletzungen und Sicherung der Völkerrechtsregeln)
zu erreichen, haben die Fachgerichte nach der ständigen Rechtsprechung
des Bundesverfassungsgerichts
„keinen Vertretbarkeitsspielraum bei der Würdigung objektiv
ernstzunehmender Zweifel".
Vgl.: BVerfGE 109,13, 24. Ebenso: BVerfGE 96, 68, 78.
Eine Vorlage ist bereits dann geboten, wenn das erkennende Gericht auf ernstzunehmende
Zweifel stößt und nicht nur dann, wenn das Gericht selbst Zweifel hat.
Vgl.: BVerfGE 23, 288, 316.
Selbst wenn das Gericht von der Nicht-Existenz der hier vorgetragenen allgemeinen
Regel des Völkerrechts überzeugt ist, besteht die Pflicht zur Vorlage an das Bundesverfassungsgericht.
Vgl.: Dederer, in: Maunz/Dürig, GG, 70. Erg.-Lfg. 2013, Art. 100 GG, Rn.
306.
Das erkennende Gericht ist daher weder befugt, Aussagen über Inhalt, Umfang und
Tragweite allgemeiner Regeln des Völkerrechts zu treffen, noch objektiv bestehende
Zweifel auf ihre Vertretbarkeit zu überprüfen. Es kann allenfalls darüber entscheiden,
dass die von der Beklagten vorgebrachten allgemeinen Regeln des Völkerrechts
evident nicht existieren. Das erkennende Gericht dürfte ohne Verstoß gegen das
Recht auf den gesetzlichen Richter aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG nur dann über den
Vortrag der Beklagten hinsichtlich der Existenz bzw. Tragweite der völkerrechtlichen
Regel hinwegsetzen, wenn diesbezügliche Zweifel eindeutig und nach jeder Betrachtungsweise
ausgeschlossen sind. Eine solche Evidenz dürfte - auch nach der Einschätzung
des Bundesverfassungsgerichts-eher selten anzutreffen sein.
Vgl.: BVerfGE 23, 288, 317; Dederer, in: Maunz/Dürig, GG, 70. Erg.-Lfg.
2013, Art. 100 GG, Rn. 280, 307.
Im Gutachten von Dr. Goldmann wird ein von den Kulturvölkern anerkannter allgemeiner
Rechtsgrundsatz des rechtsmissbräuchlichen Verhaltens im Kontext von
Staatsumschuldungen substantiiert hergeleitet und dargelegt. Dieser Rechtsgrundsatz
ist als allgemeine Regel des Völkerrechts unmittelbar in diesem Rechtsstreit zu
berücksichtigen und bringt den geltend gemachten Anspruch zu Fall. Angesichts der
wohlbegründeten, auf Rechtsvergleichung sowie auf der Heranziehung von zahlrei25
chen Völkerrechtsquellen beruhenden Analyse von Herrn Dr. Goldmann ist das erkennende
Gericht nicht befugt, den Rechtsstreit ohne eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht
zum Nachteil der Beklagten zu entscheiden - auch wenn es sich
den Ausführungen der Beklagten nach subjektiver ÜBerzeugung im Ergebnis nicht
anschließen würde. Das erkennende Gericht kann die Vorlagepflicht schließlich
auch nicht mit einer (bislang) fehlenden Rechtsprechung begründen. Gerade das
Fehlen höchstrichterlicher Rechtsprechung vermag solche Zweifel zu begründen.
Vgl.: BVerfGE 118,124,133; Dederer, in: Maunz/Dürig, 70. Erg.-Lfg. 2013,
Art. 100 GG, Rn. 280, 306; Müller-Terpitz, in: Maunz/Schmidt-
Bleibtreu/Klein/Bethge, Bundesverfassungsgerichtsgesetz, 43. Erg.-
Lfg. 2014, § 83, Rn. 20.
Eine entsprechende Vorlagepflicht ergibt sich aus den Ausführungen der Herren
Prof. Dr. Tietje und Prof. Dr. Lehmann.
II. Der Klage stehen allgemeine Regeln des Völkerrechts entgegen
Der vorliegenden Klage stehen allgemeine Regeln des Völkerrechts entgegen. Die
Frage des Umgangs mit Holdout-Gläubigern im Kontext einer Staatsinsolvenz ist eine
der wichtigsten und drängendsten ungelösten Fragen sowohl auf internationaler
als auch auf nationaler Ebene. Das Problem der Holdout-Gläubiger ist in seinem
Ausmaß letztlich erst Anfang des 21. Jahrhunderts in seiner ganzen Brisanz sichtbar
geworden. Begünstigt durch das Fehlen eines formellen Insolvenzverfahrens für
Staaten und der dadurch bedingten Rechtsunsicherheit bildete sich ein Feld für spekulative
Investoren, die diese planwidrige Lücke für ihre Zwecke ausnutzen. Im Ergebnis
führt diese planwidrige Lücke dazu, dass Holdout-Gläubiger das mit den
Staatsanleihen verbundene (erhebliche) Kreditrisiko nicht tragen und sich stattdessen
auf Kosten der Gläubigermehrheit bereichern, die mit ihrer Zustimmung zu einem
Schuldenschnitt einen wesentlichen Beitrag zur Sanierung des Staatshaushaltes
beigetragen haben. Bedingt durch Erfolge der Holdout-Gläubiger in jüngerer Vergangenheit
hat sich der Anreiz für Gläubiger, sich an einer geordneten Umschuldung
zu beteiligen, erheblich verringert.
In der internationalen Staatengemeinschaft besteht die Überzeugung, dass das Verhalten
von Holdout-Gläubigern rechtlich zu missbilligen ist. Ungeachtet der Tatsache,
dass es über verschiedene Lösungsansätze Meinungsverschiedenheiten geben
mag, hat sich zumindest diese Kern-Überzeugung inzwischen zu völkerrechtlichen
Regeln verdichtet. Diese stehen den Ansprüchen von Holdout-Gläubigern entgegen.
Die Beklagte hat zur Frage des in dieser Hinsicht existierenden Völkerrechts zwei
Rechtsgutachten von Völkerrechtsexperten eingeholt. Diese Rechtsgutachten weisen
in der Begründung und hinsichtlich des genauen Inhalts einer solchen völkerrechtlichen
Regel zwar durchaus Unterschiede auf, gleichwohl kommen sie beide zu
dem Ergebnis, dass dem Erfüllungsverlangen von Holdout-Gläubigern aus dem Völkerrecht
hergeleitete Einwendungen entgegen gehalten werden können.
26
Die Beklagte stützt ihre Rechtsverteidigung in diesem Verfahren auf drei eigenständige
Argumentationslinien. Jede der Argumentationslinien bringt für sich betrachtet
die geltend gemachten Ansprüche zu Fall:
• Erstens hat die Beklagte vorgebracht, dass die Durchsetzung der Forderungen
durch Holdout-Gläubiger rechtsmissbräuchlich ist. Die Verfolgung von
Ansprüchen aus notleidenden Staatsanleihen außerhalb eines hierfür vorgesehenen
Umschuldungsprozesses zur Erlangung eines Sondervorteils wird
von der internationalen Staatengemeinschaft rechtlich missbilligt. Dieses
Ergebnis lässt sich aus allgemeinen Rechtsgrundsätzen im Sinne des Art. 38
Abs. 1 lit. c IGH-Statut ableiten. Die Rechtsauffassung der Beklagten, dass
Staaten denjenigen ihrer Gläubiger, die sich einer notwendigen Umschuldung
verweigern und ihre Forderungen in vollem Umfang durchzusetzen
versuchen, die Einrede des Rechtsmissbrauchs als allgemeinen Rechtsgrundsatz
entgegenhalten können, wird durch das Rechtsgutachten von Dr.
Goldmann bestätigt, (siehe dazu I.)
• Zweitens hat die Beklagte vorgebracht, dass allgemeine Regeln des Völkerrechts
gegenüber den geltend gemachten Forderungen ein Leistungsverweigerungsrecht
dergestalt begründen, dass Holdout-Gläubiger ihre (Anleihe-)
Forderungen nicht mehr individuell durchsetzen können, weil sie rechtlich
an den durch Mehrheitsentscheidung gefundenen Kompromiss gebunden
sind. Dieses Ergebnis wird von Prof. Dr. Tietje im bereits vorgelegten
Rechtsgutachten bestätigt, (siehe dazu II.)
• Drittens steht der klägerischen Forderung das gesetzlich angeordnete argentinische
Zahlungsmoratorium entgegen, das nach internationalprivatrechtlichen
Grundsätzen auch im deutschen Recht zu berücksichtigen
ist. Auch diese Argumentationslinie wird durch das Rechtsgutachten der
Herren Prof. Dr. Tietje und Prof. Dr. Lehmann untermauert, (siehe dazu III.)
1. Das klägerische Erfüllungsverlangen ist rechtsmissbräuchlich
Das klägerische Erfüllungsverlangen stellt sich als rechtsmissbräuchlich dar. Dies
ergibt sich aus einer nach Art. 25 GG zu berücksichtigenden allgemeinen Regel des
Völkerrechts, und zwar auf Grundlage der von den Kulturvölkern anerkannten allgemeinen
Rechtsgrundsätze gemäß Art. 38 Abs. 1 lit. e IGH-Statut.
Die Einrede des Rechtsmissbrauchs gegen Holdout-Gläubiger gründet sich auf den
universal anerkannten Grundsatz von Treu und Glauben, der situationsbedingt unterschiedliche
Ausprägungen erfahren kann, instruktiv für den vorliegenden Fall
sind die Ausprägungen dieses Grundsatzes in der Insolvenz oder in insolvenznahen
Situationen. Insoweit lassen sich in den Rechtsordnungen der Kulturvölker zwei
27
verallgemeinerungsfähige Prinzipien identifizieren: Die Gleichbehandlung aller
Gläubiger und die Integrität eines geordneten Insolvenzverfahrens.
a) Das klägerische Erfüllungsverlangen widerspricht dem insolvenzrechtlichen
Gleichbehandlungsgebot
Demnach gehört zu den tragenden Prinzipien einer jeden Rechtsordnung die
Gleichbehandlung aller Gläubiger innerhalb eines Ranges (par conditio creditorum).
Dadurch soll verhindert werden, dass sich einzelne Gläubiger einen Sondervorteil zu
Lasten der anderen Gläubiger verschaffen können. Eine von Gläubigern außerhalb
eines Insolvenzregimes oder vergleichbarer Praktiken angestrebte Durchsetzung ihrer
Forderungen wird als rechtsmissbräuchlich erachtet
Vgl.: Rechtsgutachten von Herr Dr. Goldmann, S. 24 ff.
Dieser Gedanke ist auf die völkerrechtliche Bewältigung von Staatsschuldenkrisen
übertragbar, wenn sich sogenannte Holdout-Gläubiger einen Sondervorteil zu Lasten
derjenigen Gläubiger zu verschaffen suchen, die sich an der Umschuldung der
Staatsfinanzen des insolventen Staates beteiligten und dadurch erst die Sanierung
überhaupt ermöglichten. Auch wenn es auf internationaler Ebene kein formelles
Insolvenzrecht für Staaten gibt, hat sich in den letzten Jahrzehnten auf völkerrechtlicher
Ebene eine dezentral organisierte, von den Staaten anerkannte Ordnung für
die Bewältigung von Staatsschuldenkrisen herausgebildet (ausführlich Goldmann,
Teil II.).
Vgl.: Rechtsgutachten von Herr Dr. Goldmann, Teil II., S. 5 ff.
Im Rahmen dieser Ordnung gefährden nicht kompromissbereite Gläubiger, die sich
gegenüber anderen Gläubigern einen Sondervorteil verschaffen wollen, den gesamten
Umschuldungsprozess und nicht zuletzt den Umschuldungserfolg.
b) Das klägerische Erfüllungsverlangen widerspricht dem globalen öffentlichen
Interesse an einer geregelten und nachhaltigen Lösung von Staatsfinanzkrisen
Die Rechtsmissbräuchlichkeit des Verhaltens der Holdout-Gläubiger ergibt sich auch
unter einem weiteren Blickwinkel. Die internationale Staatengemeinschaft hat spätestens
seit den 1980er-Jahren erkannt, dass die Bewältigung von Staatsschuldenkrisen
mit privaten Gläubigern keine rein privatrechtliche Angelegenheit ist, sondern
hierfür ein globales öffentliches Interesse besteht (sog. öffentlich-rechtlicher
Ansatz). Staaten und andere völkerrechtliche Institutionen haben bis heute ein
engmaschig verzahntes, sich kontinuierlich weiterentwickelndes Netzwerk gebildet,
das der Umsetzung des globalen öffentlichen Interesses an einer zügigen und nachhaltigen
Lösung von Staatsschuldenkrisen dient. Dahinter steht das Bestreben nach
einer Absicherung der „Resolvenz" des Schuldners, da staatliche Schuldner nicht liquidiert
werden.können.
28
Das hinter dem öffentlich-rechtlichen Ansatz stehende globale öffentliche Interesse
erschöpft sich jedoch nicht nur in der Notwendigkeit einer zügigen und nachhaltigen
Lösung der Krisen. Der Gedanke der Nachhaltigkeit wird auf öffentlicher Ebene immer
stärker auch mit der Verpflichtung zur zunehmenden Verwirklichung von Menschenrechten,
insbesondere auch den wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen
Rechten verknüpft.
Vgl.: Rechtsgutachten von Herr Dr. Goldmann, S. 12 f.
Die Strategie der Holdout-Gläubiger widerspricht den Intentionen des öffentlichrechtlichen
Ansatzes und hat schwerwiegende politische und finanzielle Konsequenzen.
Die Holdout-Gläubiger versuchen, aus der bestehenden Rechtsunsicherheit
im Umgang mit Staatsschuldenkrisen Kapital zu schlagen. So hat sich insbesondere
im letzten Jahrzehnt eine regelrechte „Holdout-Kultur" herausgebildet, die
zwingend notwendige Umschuldungen verzögert, erschwert, verteuert und sogar
scheitern lassen kann.
c) Anerkennung der Einrede des Rechtsmissbrauchs im Kontext von Staatsfinanzkrisen
Die internationale Staatengemeinschaft ist sich einig, dass Gläubiger-Holdouts eine
Fehlentwicklung bei der Bewältigung von Staatsschuldenkrisen darstellen. Letztlich
sind sie eine (ungewollte) Folge der öffentlich-rechtlichen Lösungsansätze, nach denen
bestehende Staatsschulden unter Inanspruchnahme des Kapitalmarkts umgeschuldet
und somit eigentlich „gelöst" werden sollten.
Vgl.: Rechtsgutachten von Herr Dr. Goldmann, S. 14.
Aus diesem Grund ist die internationale Staatengemeinschaft auch nicht länger bereit,
die Strategie von Holdout-Gläubigern im Kontext von Staatsinsolvenzen als
rechtskonform hinzunehmen. Dies kommt sowohl auf völkerrechtlicher als auch auf
innerstaatlicher Ebene deutlich zum Ausdruck.
Auf völkerrechtlicher Ebene ist insoweit in erster Linie das UNCTAD-Prinzip Nr. 7 zu
nennen. Insgesamt kommt dort eine Grundregel nationaler Insolvenzrechtsordnungen
dahingehend zum Ausdruck, dass es zu einer bestmöglichen Befriedigung unter
Beachtung des Gleichbehandlungsgebots aller Gläubiger kommen soll. Insbesondere
mit der Vorgabe des letzten Spiegelstrichs wird zum Ausdruck gebracht, dass die
internationale Staatengemeinschaft das Verhalten von Holdout-Gläubigern als
rechtsmissbräuchlich qualifiziert. Die dort enthaltene Ratio lässt sich verallgemeinern.
Denn letzten Endes wird dort nur eine mögliche Schlussfolgerung präzisiert,
die aus dem allgemeinen Kooperationsgebot gemäß den Prinzipien 7 und 15 folgt.
Rechtsmissbräuchlich handeln nach dieser Ratio auch sämtliche Gläubiger, die versuchen
eine Bevorzugung im Kontext einer Staatsschuldenkrise zu erlangen, in dem
29
sie sich unkooperativ verhalten, weil sie sich dadurch einen Sondervorteil gegenüber
den anderen Gläubigern versprechen.
Zielsetzung der UNCTAD Prinzipien war nicht die Schaffung neuen Rechts, sondern
die Ermittlung international anerkannter Grundsätze für eine verantwortliche
Staatsschuldenpolitik. In ihnen bilden sich also, zumindest im Hinblick auf Prinzip
Nr. 7 und 15, bereits bestehende Rechtssätze ab. Die UNCTAD Prinzipien tragen insoweit
zur Entstehung von Völkerrecht bei, als sie wie ein Kristallisationskern Überzeugungen
über die Existenz von entsprechendem Gewohnheitsrecht bzw. allgemeinen
Rechtsprinzipien hervorbringen und bestätigen. Insbesondere die Einheitlichkeit
entsprechender innerstaatlicher Rechtsvorschriften zeigt, dass die Prinzipien,
insbesondere Nr. 7 und 15, von den Kulturvölkern anerkannte allgemeine
Rechtsgrundsätze zum Ausdruck bringen. Dies lässt sich auch aus deren Entstehungsgeschichte
entnehmen: Die UNCTAD, ein ständiges Organ der Generalversammlung
der Vereinten Nationen, hatte im Jahr 2009 die Initiative ergriffen und international
anerkannte Grundsätze für eine verantwortliche Staatsschuldenpolitik
ermittelt. Sie konnte sich dabei u.a. auf die Resolution 65/144 der Generalversammlung
stützen, in der die Bedeutung eines verantwortungsvollen Umgangs mit
Staatsschulden auf Gläubiger- und Schuldnerseite hervorgehoben worden war. Die
UNCTAD Prinzipien wurden daraufhin vier Jahre lang von einer Expertengruppe, die
weltweit Rechtsordnungen untersucht hatte, entwickelt. Der erste Entwurf aus
dem Jahr 2011 wurde mit mehr als 75 Staaten diskutiert, deren Anmerkungen im
Rahmen der finalen Fassung, die schließlich auf der UNCTAD Ministerkonferenz im
April 2012 vorgestellt wurde, Berücksichtigung fanden. Unter den ersten Ländern,
die die UNCTAD-Prinzipien offiziell und öffentlich billigten und für deren Unterstützung
eintraten, befand sich die Bundesrepublik Deutschland.
Daneben gibt es auf völkerrechtlicher Ebene zahlreiche weitere Anzeichen für die
Rechtsmissbräuchlichkeit des Verhaltens von Holdout-Gläubigern, so beispielsweise
Resolutionen der UN-Generalversammlung.
Vgl.: Rechtsgutachten von Herr Dr. Goldmann, S. 29 f.
Auf innerstaatlicher Ebene lassen sich sowohl gesetzliche Vorschriften als auch
Rechtsprechung finden, die - auch wenn sie bislang den Streitgegenstand nicht
exakt treffen - derselben Ratio des öffentlich-rechtlichen Ansatzes folgen.
Vgl.: Rechtsgutachten von Herr Dr. Goldmann, S. 31 ff.
d) Ausgestaltung und Inhalt der Einrede des Rechtsmlssbrauchs im Kontext
von Staatsfinanzkrisen
Rechtsmissbräuchlich sind sämtliche Verhaltensweisen, die den Zwecken der Gläubigergleichbehandlung
und dem öffentlichen Interesse an einer geordneten und effizienten
Bewältigung der Staatsschuldenkrise zuwiderlaufen. Hierzu gehören zum
30
Beispiel die unbegründete Verweigerung von Umschuldungsverhandlungen, die Zurückweisung
eines Umschuldungsangebots ohne triftigen Grund, die gerichtliche
Durchsetzung der Forderung außerhalb des Umschuldungsprozesses oder der Erwerb
von Forderungen, zum Zweck sie - unter Realisierung hoher Gewinne - später
zum vollen Nominalwert gerichtlich durchzusetzen. Hiermit ist selbstverständlich
nicht gemeint, dass Gläubigern von Staatsanleihen der Weg zu den Gerichten abgeschnitten
werden soll. Staatlichen Gerichten kommt vielmehr eine entscheidende
Rolle bei der Beurteilung der Rechtsmissbräuchlichkeit des Verhaltens der Gläubiger
im Einzelfall zu. Entscheidend für diese Beurteilung ist das Verhalten der Gläubigermehrheit,
das als gewichtiges Indiz dafür heranzuziehen ist, ob der Schuldnerstaat
willkürlich auf eine Umschuldung gedrängt hat, die Umschuldungsbedingungen
fair waren und sich der Schuldner im Rahmen der Umschuldung selbst nach
Treu und Glauben verhalten hat. So haben im vorliegenden Fall 92,4% der Gläubiger
(gemessen an den Nominalbeträgen) die Umtauschangebote der Beklagten in
den Jahren 2005 und 2010 angenommen.
Die Rechtsmissbräuchlichkeit des Verhaltens der Holdout-Gläubiger kann nicht
dadurch beseitigt werden, dass der Schuldnerstaat zwischenzeitlich durch einen
Schuldenerlass der kompromissbereiten Gläubigermehrheit ganz oder teilweise saniert
worden ist. Dies würde der Ratio der Einrede des Rechtsmissbrauchs widersprechen
und sie im Ergebnis untergraben, da sie deri Anreiz für einen Gläubiger-
Holdout nicht beseitigen würde.
Die intertemporale Anwendbarkeit der Einrede des Rechtsmissbrauchs bestimmt
sich nach völkerrechtlichen Grundsätzen.
Vgl.: Rechtsgutachten von Herr Dr. Goldmann, S. 33 f.;
Dahm/Delbrück/Wolfrum, VölkerR, Bd. 1/3, 2. Aufl. 2002, S. 880.
Die Entstehung dieses allgemeinen Rechtsgrundsatzes lässt sich auf den Anfang des
21. Jahrhunderts taxieren, so dass sie im vorliegenden Fall anwendbar ist.
Vgl.: Rechtsgutachten von Herr Dr. Goldmann, S. 34 f.
2. Der Beklagten steht ein Leistungsverweigerungsrecht zu, da die Mehrheitsentscheidung
der Gläubiger zur Umschuldung bindend ist
Prof. Dr. Tietje hat ebenfalls bestätigt, dass das Völkerrecht dem klägerischen Begehren
entgegensteht (Gutachten vom 20.08.2013). Aus den allgemeinen Regeln
des Völkerrechts, die u.a. in den vorstehend erörterten UNCTAD-Prinzipien sowie
Collective Action Clauses (CACs) ihren Ausdruck gefunden haben, folgt ein Leistungsverweigerungsrecht,
das im Rechtsverhältnis zwischen dem Schuldnerstaat
und dem Anleihegläubiger gemäß Art. 25 S. 2, 2. Hs GG unmittelbar anwendbar ist.
Holdout-Gläubiger können ihre (Anleihe-) Forderungen nicht mehr individuell
durchsetzen, weil sie an den durch Mehrheitsentscheidung gefundenen Kompromiss
gebunden sind. Das Völkerrecht ist mittlerweile derart verdichtet und konkre31
tisiert, dass es „im Ergebnis anspruchsvernichtend oder zumindest anspruchshemmend"
wirkt.
Vgl.: Rechtsgutachten der Herren Prof. Dr. Tietje und Prof. Dr. Lehmann,
S. 26.
Eine entsprechende völkerrechtliche Regel im Sinne von Art. 38 Abs. 1 IGH-Statut ist
inzwischen anerkannt und durch eine weltweite und ausnahmslose Staatenpraxis
belegt. Insoweit verweisen wir auf die Darstellung im Gutachten von Prof. Dr. Tietje
und Prof. Dr. Lehmann. Verschiedene Kammern des Landgerichts Frankfurt am
Main haben sich in der Auseinandersetzung mit dem vorgelegten Gutachten darauf
beschränkt, aus der weltweiten Verwendung von Collective Action Clauses (CACs)
den unzutreffenden Schluss zu ziehen, dies stehe der Annahme eines völkerrechtlichen
Gewohnheitsrechts entgegen, da es anderenfalls der Einführung solcher Klauseln
als Grundlage späterer Schuldenumstrukturierungen nicht bedurft hätte, um
eine solche rechtliche Konsequenz und Möglichkeit im Rahmen solcher Staatsanleihen
zu schaffen.
Dies ist in mehrfacher Hinsicht rechtsirrig: Diese Erwägungen verkehren die Argumentation
der Beklagten letztlich in ihr Gegenteil. Bei der nunmehr universell verbreiteten
Verwendung von CACs in Anleihebedingungen von Staatsanleihen handelt
es sich um eine Manifestation eines weltweit gültigen Rechtsgedankens. Die weltweite
Verbreitung zeigt die Bedeutung der CACs in der Staatenpraxis und manifestiert
die Überzeugung der Staatengemeinschaft, dass bei Umschuldungen von
Staatsschulden Mehrheitsentscheidungen mit Bindungswirkung für die Minderheitsgläubiger
zu akzeptieren sind. Die Verwendung von CACs ist folglich nicht
gleichsam aus einem rechtsfreien Raum im Rahmen der Privatautonomie heraus
entstanden, sondern hat aufgegriffen, was inzwischen weltweit als gültige Rechtsregel
anerkannt ist. Den Manifestationscharakter der CACs, die ein allgemeines
Rechtsprinzip lediglich ausformulieren, hat das Landgericht Frankfurt am Main bislang
nicht hinreichend gewürdigt.
Das Argument, die Einführung von CACs sei überflüssig, wenn es schon eine solche
allgemeine Regel des Völkerrechts gegeben hätte, ist zudem deshalb nicht überzeugend,
weil im Rahmen individuell ausgestalteter CACs die Möglichkeit eröffnet ist,
Einzelheiten detaillierter zu regeln als bei einem Rückgriff auf das allgemeine Völkerrecht.
Nur so lassen sich z.B. konkrete Mehrheitserfordernisse und Fristen bereits
im Vorhinein festlegen. Insoweit dient die explizite Aufnahme von CACs auch
der Rechtsklarheit. Überdies lässt sich generell aus der Verwendung von Vertragsklauseln,
die lediglich bestehendes Recht widerspiegeln, nicht ableiten, dass es dieses
bereits geltende Recht nicht gäbe. In der Rechtspraxis werden tagtäglich Verträge
abgeschlossen, die ausdrücklich auch zwingendes Recht aufnehmen und wiedergeben.
Hieraus lassen sich keine Schlüsse in eine bestimmte Richtung ziehen.
32
Der Argumentation des Landgerichts Frankfurt in den ergangenen Entscheidungen
liegt ein Fehlverständnis von der Entstehung von Völkerrecht zugrunde. Das Völkerrecht
ist ständiger Weiterentwicklung unterworfen. Deshalb ist Art. 25 GG auch als
dynamische Verweisung auf die jeweils aktuell geltende Völkerrechtsregel ausgestaltet,
um dem völkerrechtlichen Wandel gerecht zu werden. Art. 25 GG dient daher
fortlaufend als Scharnier, so dass die Modifizierung bestehenden Rechts wie
auch die Herausbildung neuer Normen jeweils nach dem aktuellen Stand der
Rechtsentwicklung zu berücksichtigen ist.
Vgl.: Herdegen, in: Maunz/Dürig, GG, 70. Erg.-Lfg. 2013; Art. 25, Rn. 12;
Rojahn, in: von Münch/Kunig, GG, 6. Aufl. 2012, Art. 25 Rn. 25 f.;
Graf Vitzthum/Proelß, Völkerrecht, 6. Auff. 2013, S. 117 f.
Aufgrund des ständigen Wandels, dem das Völkerrecht unterworfen, der aber auch
zu beachten ist, konnte im Streitfall die bereits bestehende allgemeine Regel des
Völkerrechts, die der heutigen Erfüllung der klägerischen Ansprüche entgegensteht,
gleichsam als Abschluss der Rechtsentwicklung ihren Ausdruck in der Verwendung
der CACs finden, ohne dass dies den Rückschluss zuließe, vorher habe die Rechtsregel
nicht existiert. Sie hatte sich bereits als allgemeines Rechtsprinzip in der Staatengemeinschaft
herausgebildet, bevor sie in expliziter Ausformulierung Eingang in
die Vertragsgestaltung fand.
3. Entgegenstehende Eingriffsnorm nach international-privatrechtlichen
Grundsätzen
Die Beklagte hält schließlich die Einrede eines Leistungshindernisses durch das argentinische
Zahlungsmoratorium aufrecht. Hierzu wird auf die Ausführungen von
Prof. Dr. Lehmann in seinem Rechtsgutachten vom 20.08.2013 sowie auf die Ausführungen
in den vorangegangenen Schriftsätzen verwiesen. Nach den Regeln des
internationalen Privatrechts steht der Beklagten ein Leistungsverweigerungsrecht
zu. Das von der Beklagten verhängte Zahlungsmoratorium ist als drittstaatliche Eingriffsnorm
anzusehen, der nach dem Europäischen SchuldVertragsübereinkommen
und den Art. 27 ff EGBGB a. F. Wirkung zukommt. Dies ergibt sich aus für ausländische
Eingriffsnormien entwickelten Sonderanknüpfungstheorie zu Art. 34 EGBGB
a.F., die nicht nur in der Lehre herrschend war, sondern durch die Rom-l-VO bestätigt
wurde.
Jedenfalls ist das Zahlungsmoratorium auf der Ebene des deutschen Sachrechts zu
berücksichtigen. Als Anknüpfungsnormen eignet sich zum einen § 313 BGB (Störung
der Geschäftsgrundlage), dessen zugrunde liegender Rechtsgedanke anlässlich einer
fundamentalen Änderung der wirtschaftlichen Verhältnisse entwickelt wurde. Zum
anderen kann das argentinische Zahlungsmoratorium auf Grundlage von § 242 BGB
im deutschen Recht berücksichtigt werden; dieser Ansatz drängt sich vor dem insbesondere
in UNCTAD-Prinzip Nr. 7 zum Ausdruck gebrachten Verbot rechtsmissbräuchlichen
Verhaltens geradezu auf. Das Ergebnis der Anwendung des argentini-
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