NikosiaWahlen in Zypern? Davon nahm früher im Ausland kaum jemand Notiz. Diesmal ist das anders. Wenn am heutigen Sonntag die rund 550.000 wahlberechtigten griechischen Zyprer zu den Urnen gehen, um einen neuen Präsidenten zu wählen, blickt ganz Europa auf die kleine Insel. Diese Wahl ist eine Weichenstellung. Denn Zypern steckt in einer existenzbedrohenden Finanzkrise. Stürzt die Insel in den Staatsbankrott, könnte das schwere Schockwellen in der ganzen Eurozone auslösen
Als Favorit geht der Konservative Nikos Anastasiadis in die Wahl. Er wolle die „Negativspirale“, in der sich die Insel befinde, durchbrechen, sagt Anastasiadis und verspricht Haushaltsdisziplin, einen schlankeren öffentlichen Sektor und Anreize für private Investitionen. In den Umfragen liegt er mit mehr als 40 Prozent Stimmenanteil deutlich vor seinen beiden wichtigsten Rivalen, dem Kommunisten Stavros Malas und dem Zentrumspolitiker Giorgos Lillikas. Jeder fünfte Wähler ist allerdings noch unentschieden.
Der 66-jährige Anastasiadis ist ein politisches Urgestein Zyperns. Seit 32 Jahren gehört er dem Inselparlament an, 1997 übernahm er den Vorsitz der pro-europäischen Demokratischen Sammlungsbewegung (Disy).Anastasiadis hat lange warten müssen – jetzt ist das Amt des Staatschefs in greifbare Nähe gerückt. Politische Beobachter in Nikosia schließen nicht aus, dass der Konservative schon im ersten Durchgang am Sonntag über 50 Prozent der Wählerstimmen erhält.
Verfehlt er die absolute Mehrheit, muss er sich am kommenden Sonntag einer Stichwahl stellen. Doch vielen Zyprer wissen: Sie haben keine Zeit zu verlieren. Die Insel braucht so schnell wie möglich eine handlungsfähige Regierung, die mit der EU und dem Internationalen Währungsfonds ein Rettungspaket schnüren kann. Das könnte Anastasiadis helfen, sich schon im ersten Wahlgang durchzusetzen.
Zypern steckt tief im Strudel der griechischen Schuldenkrise. Die zyprischen Banken haben im Nachbarland Milliarden verloren und drohen, die gesamte Volkswirtschaft mit in den Abgrund zu reißen. Zypern braucht dringend Hilfskredite, für die Rekapitalisierung der Banken ebenso wie für die Refinanzierung fälliger Staatsanleihen und den Ausgleich des Haushaltsdefizits. Doch die EU zögert. Vor allem Deutschland fordert mehr Transparenz im zyprischen Bankensektor, der angeblich russischen Oligarchen als Waschanlage für Schwarzgelder dient.
Man könnte meinen, dass unter diesen widrigen Vorzeichen der Präsidentenjob nicht sehr begehrt ist. Dennoch bewerben sich elf Kandidaten um das Amt, das seinem Inhaber eine beträchtliche Machtfülle gibt. Er ist Staatsoberhaupt und Regierungschef, kann weitgehend unabhängig von den Mehrheitsverhältnissen im kleinen Inselparlament regieren. Acht Bewerber gelten allerdings von vornherein als chancenlos. Neben Anastasiadis kann nur Malas oder Lillikas hoffen, in eine Stichwahl zu kommen.
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