Hans-Werner Sinn„Der Grexit ist die Rettung“
Ifo-Präsident Hans-Werner Sinn fordert, endlich offen den Konkurs der Griechen zu erklären. Deutschland habe genug gezahlt. Der Grexit sei für alle die bessere Lösung, sagt er im Interview.
22.06.2015, von CHRISTIAN SIEDENBIEDEL
Herr Sinn, am heutigen Montag wollen Europas Regierungschefs zu einem großen Sondergipfel zum Thema Griechenland zusammenkommen. Was wäre die sinnvollste Lösung?
Aufhören, Geld zu verbrennen. Seit fünf Jahren betreiben wir Konkursverschleppung. So darf es nicht weitergehen.
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Das Sekretariat auf dem Handy
Wäre es vernünftig, die Griechen jetzt aus dem Euro zu werfen?
Nein. Griechenland muss das selbst entscheiden. Nur kann es nicht verlangen, dass es mit immer mehr Geld im Euro gehalten wird. Wenn Alexis Tsipras keinen Konkurs will, muss er die staatlichen Renten kürzen, die höher als die gesetzlichen Renten in Deutschland sind und einen riesigen Posten im Budget ausmachen. Sie sind höher, als das, was das Land finanzieren kann. Wenn er stur bleibt, macht der Internationale Währungsfonds (IWF) nicht mehr mit, und die Troika kann keinen Kredit mehr geben. Dann tritt der Konkurs ein. Der ist extrem unschön.
Wer sollte denn aus Ihrer Sicht den Stecker ziehen?
Keiner. Nur sollte auch kein neuer Stecker in die Dose gesteckt werden. Die Südländer und Frankreich wollen, so hört man, den IWF rauskegeln. Die Euroländer sollen nun dessen Forderungen mitbedienen und Griechenland neuen Kredit geben. Davor warne ich mit Nachdruck, weil Giannis Varoufakis dann sein Ziel erreicht hätte, die Troika zu zerstören. Ohne den IWF wird sich der Druck der Krisenländer und Frankreichs gegenüber Deutschland ins Unermessliche steigern. Dann folgt ein Griechenland nach dem anderen.
Es gibt viele Leute, die Angst vor einem Grexit haben. Könnte sich das zu einer menschlichen Tragödie für Griechenland entwickeln?
Nein, der öffentliche Diskurs ist da völlig verzerrt und falsch. Der Staatsbankrott wird für die Griechen hart, aber der Grexit nach dem Bankrott ist die Rettung. Das Ifo-Institut hat jene 70 Staaten untersucht, die in der Zeit nach dem Krieg in den Konkurs gingen und dann abwerteten. Das Ergebnis war eindeutig. Es gibt zunächst eine harte Phase, aber nach etwa ein bis zwei Jahren wächst die Wirtschaft wieder. Eine neue Studie von Oxford Economics hat das gerade noch mal bestätigt.
Die Aktienmärkte scheinen vor dem Grexit zu zittern...
Sie sind erstaunlich ruhig. Die Risikoaufschläge der Staatsanleihen der anderen südlichen Eurostaaten sind gefallen, während sie für Griechenland explodierten.
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Wie würde der Grexit denn konkret verlaufen? Müsste man eine Parallelwährung einführen, wie unser Kolumnist Thomas Mayer der griechischen Regierung vorgeschlagen hat?
Wenn ich ihn recht verstehe, will er eine schleichende Umstellung auf dem Wege über handelbare Schuldscheine, mit denen der griechische Staat seine Gehälter bezahlen könnte, während der Euro das gesetzliche Zahlungsmittel bleibt. Das wird das Wettbewerbsproblem nicht lösen. Man muss es umgekehrt machen. Nach dem Konkurs führt die griechische Regierung per Gesetz die Drachme wieder als virtuelles gesetzliches Zahlungsmittel ein, während Eurobanknoten als Parallelwährung in Umlauf bleiben. Alle Preise, Löhne, Konten und Kontrakte, auch die Miet- und Kreditkontrakte, werden über Nacht auf Drachme umgestellt. Die Drachme wird sofort abwerten, vielleicht um 50 Prozent. Die Euroscheine dienen dann noch für Bargeschäfte, während die Rechnungen schon auf Drachme laufen.
Wäre es klug, die neue Währung wieder Drachme zu nennen? Wären die alten Scheinen wieder gültig?
Natürlich werden die alten Drachmen-Scheine nicht wieder gültig. Auch der alte Umrechnungskurs funktioniert nicht mehr. Er wäre bei der Umstellung eins zu eins, doch dann würde die Drachme abwerten und deutlich billiger werden. Der Name spielt aber keine Rolle.
Wie schnell könnte so etwas gehen?
Der Grexit wäre sofort möglich. Bis man die Scheine dann physisch zur Verfügung hat, könnten Wochen und Monate vergehen. Es sei denn, die griechische Regierung hat Vorkehrungen getroffen und heimlich Geld gedruckt, was ich nicht weiß.
Bräuchte man Kapitalverkehrskontrollen?
Die braucht man in der Zeitspanne zwischen Konkurs und Austritt. Nach dem Austritt braucht man sie nicht mehr, weil das Fluchtkapital nach einer Abwertung sofort zurückkehrt.
Wie das? Im Augenblick bringen alle Griechen ihr Geld in Sicherheit...
Ja, wir sind ja noch vor dem Ereignis. Nach einem Austritt gibt es sofort drei Effekte: Erstens würden Importe nach Griechenland teurer, das würde einen Anreiz für die Griechen schaffen, mehr heimische Waren zu kaufen. Zurzeit importieren sie 23 Prozent mehr Lebensmittel, als sie exportieren, obwohl sie gute Böden haben. Zweitens würden die Touristen aus der Türkei zurückkommen: gleiches Wasser, gleiche Tempel, gleiches Essen. Da kann man nicht teurer sein. Und drittens würde das Fluchtkapital nach Griechenland zurückkommen, weil Investoren die billiger gewordenen Immobilien kaufen. Das würde zu einem Bauboom führen.
Was passiert mit den Schulden von Staat, Unternehmen und Privatleuten in Griechenland, die auf Euro lauten?
Die muss man dem Staat und den Banken wegen ihres Konkurses ohnehin teilweise erlassen. Ich würde sie alle auf Drachme umstellen. Ich glaube nicht, dass es viele private Institutionen gibt, die Auslandsschulden haben.
Ist das Geld weg?
Nein, denn die Drachme geht ja nicht auf null.
Was würde Deutschland der Grexit kosten?
Der Grexit kostet Deutschland vermutlich nichts. Eher im Gegenteil: Wenn Griechenland im Euro bliebe, müssten wir immer mehr neue Kredite geben, um die alten abzulösen und die fehlende griechische Wettbewerbsfähigkeit zu finanzieren. Die Verluste würden immer größer. Wenn Griechenland seinen Staatsbankrott offiziell zugibt, würde das nur die Verbuchung von Verlusten erzwingen, die heute ohnehin da sind. Das maximale Verlustrisiko für Deutschland bei einem Konkurs von Staat und Banken liegt bei 87 Milliarden Euro; aber nur ein Teil davon wird anfallen. Bei einem Austritt kämen allerdings noch Verluste durch die später zurückfließenden Eurobanknoten hinzu.
Würde Griechenland nach dem Grexit ein neues Hilfsprogramm brauchen – und, wenn ja, in welcher Größenordnung?
Man sollte überlebenswichtige Importe für Griechenland, die durch die Abwertung teurer werden, über ein Hilfsprogramm subventionieren: Medizin und Energie vor allem. Das ist aber weitaus weniger Geld, als man für eine Fortsetzung des jetzigen Kurses brauchen würde.
Könnte es notwendig werden, dass die Europäische Zentralbank die neue griechische Währung durch Devisenmarktinterventionen stützt, damit sie nicht abstürzt, wie es die Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht vorgeschlagen hat?
Ja, das würde mir auch sinnvoll erscheinen. Wenn Griechenland die Drachme einführt, könnte die Europäische Zentralbank helfen, den Wechselkurs zu stabilisieren.
Kann es passieren, dass Griechenland nach dem Grexit dann Drachmen ohne Ende druckt und so immer weiter in den Schlamassel hineingerät?
Um die Gefahr zu bannen, wäre es gut, wenn Griechenland nach dem Euroaustritt eine Rückkehroption und den Status eines Landes erhält, das den Euro-beitritt anstrebt, EWS 2 genannt. Dann wäre das Land gehalten, sich an den Maastricht-Kriterien zu orientieren, den Wechselkurs zu stabilisieren und Reformen anzugehen.
Glauben Sie im Ernst, die Griechen würden nach dem ganzen Theater wieder Mitglied im Euro werden wollen, wenn sie einmal draußen sind – und die anderen würden sie wieder aufnehmen?
Ich weiß es nicht. Das müssen die Griechen entscheiden.
Wäre aus Ihrer Sicht der Grexit der letzte Schritt in diesem Drama – oder der erste Schritt in einem Prozess der Entflechtung der Eurozone?
Viele fürchten den Austritt, weil er funktionieren könnte. Das finde ich zynisch. Wenn wir in Europa eine gemeinsame Währung haben, aber keinen gemeinsamen Staat, brauchen wir unbedingt eine Exitoption. Also eine Regel, wie ein Land aus dem Euro austreten kann, wenn es sonst nicht wettbewerbsfähig werden kann. Genauso, wie wir Regeln für die Insolvenz von Staaten brauchen. Anders kann man nur denken, wenn man den Euro selbst als Ziel der Wirtschaftspolitik sieht – und nicht als Instrument, um Frieden und Wohlstand zu erreichen.
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