„Vermögensabgabe rechtmäßig“
Gutachter: Finanzkrise ist Notlage wie nach dem Krieg
„Statt Geld kann der Staat
auch das Eigentum an
Gegenständen verlangen.“
Joachim Wieland, Verfassungsrechtler
jja. BERLIN, 17. August. Eine einmalige
Zwangsabgabe auf hohe Vermögen wäre
verfassungsgemäß. Zu diesem Schluss
kommt der Verfassungsrechtler Joachim
Wieland von der Universität für Verwaltungswissenschaften
in Speyer in einem
Gutachten für die Gewerkschaft Verdi
und die gewerkschaftsnahe Hans-Böckler-
Stiftung. Das Deutsche Institut für
Wirtschaftsforschung (DIW) hatte kürzlich
eine solche Abgabe zum Abbau der
Staatsschulden in Europa vorgeschlagen.
Wieland wies in Berlin darauf hin, dass
das Grundgesetz in Artikel 106 ausdrücklich
„einmalige Vermögensabgaben“ vorsehe.
Der Plural sei ein Hinweis darauf,
dass die Väter des Grundgesetzes dabei
nicht nur an den Kriegslastenausgleich gedacht
hätten. Die gegenwärtige Finanzund
Bankenkrise sowie der angestrebte
Abbau von Staatsschulden stellten ebenfalls
einen Notstand dar und reichten zur
Rechtfertigung aus. Denn diese Umstände
begründeten einen außerordentlichen
Finanzierungsbedarf, der nicht aus den regelmäßigen
Steuereinnahmen gedeckt
werden könne. Nach Ansicht des Rechtswissenschaftlers
lässt sich die Abgabe
überdies mit der „Energiewende“ rechtfertigen
- nicht aber mit dem Klimawandel,
weil es sich bei dessen Bekämpfung um
eine Daueraufgabe handele.
Wieland zieht aus dem Vorbild des Lastenausgleichs
nach dem Zweiten Weltkrieg
den Schluss, dass die „einmalige“
Abgabe durchaus über einen längeren
Zeitraum auf mehrere Teilbeträge aufgeteilt
werden könne. Der Lehrstuhlinhaber
für Öffentliches Recht, Finanz- und Steuerrecht
hält es ferner für zulässig, gleichzeitig
auch die Vermögensteuer wieder zu
erheben. Diese ist ebenfalls im Grundgesetz
vorgesehen und vom Bundestag nie
abgeschafft worden. Sie wird aber seit
1997 nicht mehr erhoben, weil sich die politischen
Parteien nicht darauf einigen
konnten, Auflagen des Bundesverfassungsgerichts
für die Bewertung der Vermögen
umzusetzen. Nach dem Grundgesetz
steht das Aufkommen aus Vermögensabgaben
allein dem Bund zu, aus einer
Vermögensteuer hingegen den Ländern.
Von SPD und Grünen geführte Länder
machen sich derzeit im Bundesrat für
deren Wiedereinführung stark.
Vermögensteuer und Vermögensabgabe
dürften allerdings zusammengenommen
nicht die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit
der Steuerpflichtigen übersteigen,
schränkte Wieland ein. Eine Umverteilung
von Vermögenssubstanz ist nach seiner
Einschätzung aber erlaubt. Das Verfassungsgericht
habe dies in einer Nebenbemerkung
zu seinem Vermögensteuerurteil
für „staatliche Ausnahmelagen“ gebilligt.
Auch Betriebsvermögen dürfe mit der
Steuer und der Abgabe belastet werden.
Damit die Zahlungspflichtigen nicht in ihrer
Liquidität überfordert würden und
durch einen Verkaufsdruck die Preise sänken,
könne sich der Staat anstelle einer
Geldzahlung Eigentum an einzelnen Vermögensgegenständen
übertragen lassen.
FAZ Print Sa 18.8.2012 Nr 192 S 10
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