Folgen der Staatsschuldenkrise Der riskante Kurswechsel der EZB
07.09.2012 ·
Bislang beruhte die Krisenpolitik der Europäischen Zentralbank
vor allem auf der großzügigen Versorgung des Bankensystems mit
Liquidität. Nun will sie im großen Stil Staatsanleihen kaufen.
Von
Stefan Ruhkamp und Werner Mussler
© dapd
Die EZB hat schon mehrfach
versucht, per Anleihenkauf die Krise zu dämpfen und zugleich die Staaten
zu Reformen zu drängen - ohne Erfolg. Dieses Mal sei alles anders,
behauptet Mario Draghi
Auf die Frage, ob der Kauf von
Staatsanleihen Staatsfinanzierung sei, hatte EZB-Präsident Mario Draghi
im vergangenen Dezember eine klare Antwort: „Egal, welcher rechtliche
Trick es ist, was für die Menschen und die Glaubwürdigkeit der
Institution zählt, ist der Geist des Vertrages.“ Draghi bezog sich dabei
auf Artikel 123 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen
Union, der den direkten Kauf von Staatsanleihen aus erster Hand
verbietet.
Insofern konnte Draghi auch auf den Vertrag
verweisen, als er am Donnerstag den potentiell unbegrenzten Kauf von
Staatsanleihen der Krisenländer ankündigte. Denn diese sollen ja - so
sein Argument - nicht den Staaten, sondern aus zweiter Hand anderen
Investoren abgekauft werden, was ausdrücklich erlaubt ist. Das
Kaufprogramm sei also durch das Mandat gedeckt. Das sieht
Bundesbankpräsident Jens Weidmann etwas anders. Er stimmte gegen das
Programm und bezeichnete es als „zu nah an einer Staatsfinanzierung
durch die Notenpresse“. Weidmann vermied es jedoch zu sagen, dass der
Anleihenkauf Staatsfinanzierung und ein Verstoß gegen das Mandat der EZB
sei.Regeln wurden Zug um Zug aufgeweicht
Sicher ist, dass die EZB einen drastischen Kurswechsel vollzieht. Bislang beruhte ihre Krisenpolitik vor allem darauf, dass sie das angeschlagene Bankensystem mit immer mehr Kredit versorgte. Die Regeln für die Sicherheiten, die Banken einreichen und beleihen dürfen, wurden Zug um Zug aufgeweicht. Außerdem dürfen sich die Banken so viel Geld von der Notenbank leihen, wie sie wünschen. Das führte im Laufe der nun fünf Krisenjahre dazu, dass sich die Bilanz des Eurosystems auf mehr als 3000 Milliarden Euro verdreifacht hat. Käufe von Schuldtiteln spielten bisher allerdings eine relativ kleine Rolle. Die Euro-Notenbanken kauften zwar für mehr als 200 Milliarden Euro Anleihen finanzschwacher Euroländer und für mehr als 60 Milliarden Euro Pfandbriefe. Das ist im Vergleich mit der amerikanischen Federal Reserve und der Bank von England jedoch wenig.Doch diese Relationen könnten sich schon bald verschieben, wenn das gerade beschlossene Programm umgesetzt wird. Die EZB begründet die Käufe mit dem Auseinanderdriften der Kreditkonditionen in den einzelnen Euroländern. Kleine Unternehmen kommen in Deutschland durchschnittlich zum Beispiel zu etwa 4 Prozent an Kredite mit bis zu fünf Jahren Laufzeit. In den Krisenländern betragen die Zinsen dagegen durchschnittlich mehr als 6 Prozent. Diese zunehmende Fragmentierung könne die Notenbank nicht hinnehmen, argumentiert die EZB. Sie müsse das Zinsniveau auf dem Anleihemarkt beeinflussen, weil an diesem alles andere hänge.
Nun hat die EZB schon mehrfach versucht, per Anleihenkauf die Krise zu dämpfen und zugleich die Staaten zu Reformen zu drängen - ohne Erfolg. Dieses Mal sei alles anders, behauptet Draghi. Ein entscheidender Fortschritt seien die Auflagen des neuen Programms, die das alte noch nicht hatte. In den Genuss von Interventionen kämen nur Länder, die sich den Auflagen des Stabilisierungsfonds ESM und einem Anpassungsprogramm unterwerfen. „Dieses Programm muss von allen Parlamenten der 17 Euro-Mitgliedstaaten dann beschlossen werden“, sagte der deutsche EZB-Direktor Jörg Asmussen am Freitag, um dem Vorwurf zu begegnen, die Interventionen seien ohne demokratische Legitimation.
Ein genauer Blick zeigt jedoch, dass die Krisenländer zwischen einem vollständigen Anpassungsprogramm und einer weniger strikten Variante - der Precautionary Creditline, auf deutsch vorsorgliche Kreditlinie - wählen können. In EU-Kreisen heißt es, es sei so gut wie sicher, dass sich die EZB an den Konditionen für letztere orientieren werde. Schon deshalb, weil ein Land unter den Bedingungen eines Vollprogramms vom Markt genommen würde. Dies werde im Fall Spaniens oder Italiens gerade nicht angestrebt.
Ob die Bedingungen erfüllt sind, entscheidet die EZB
In der Definition der Konditionen bleibt der EZB Spielraum. Draghi hat gesagt, dass sich die Zentralbank an den Bedingungen für die Kreditlinien unter „erweiterten Konditionen“ orientieren werde. Als Mindestbedingung ist darin formuliert, dass sich das betroffene Land an die Vorgaben des Defizitverfahrens hält und eine „nachhaltige“ Verschuldung aufweist. Außerdem müssen die Länder die Vorgaben der EU-Verfahren bei „makroökonomischen Ungleichgewichten“ einhalten und über einen „nachhaltigen Außenbeitrag“ verfügen.Ob die Bedingungen erfüllt sind, müsste die Zentralbank selbst entscheiden. Sie kann in der Formulierung der Auflagen auch über die Mindestbedingungen hinausgehen. In Brüssel wird vermutet, dass es in dieser Frage noch zu Konflikten zwischen Empfängerländern und der EZB kommen könnte. „Die Spanier sind sicher der Meinung, dass sie keine zusätzlichen Bedingungen erfüllen müssen. Die EZB sieht das wohl anders“, sagte ein EU-Beamter. Das dürfte zu einer der offenen Flanken für die EZB werden. Denn als Antwort auf eine Verletzung der Kreditauflagen des Stabilisierungsfonds ESM durch ein Krisenland könnte die Zentralbank nur mit dem Einstellen der Intervention reagieren. Das würde jedoch sogleich die Risikoprämien des Staates und die Kreditzinsen für dessen Wirtschaft in die Höhe treiben.
Quelle: F.A.Z.
http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/wirtschaftspolitik/folgen-der-staatsschuldenkrise-der-riskante-kurswechsel-der-ezb-11882881.html
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