Geschäftsmodell: KlageRäuberische Aktionäre
Berufskläger ziehen regelmäßig gegen Aktiengesellschaften vor Gericht. Ein lukratives Geschäft für Anwälte und Kläger. Nachahmen sollten Anleger es nicht.
30.04.2012, von NADINE OBERHUBER
Wenn Ihnen jemand sagt, mit Aktien ließe sich kein Gewinn mehr machen, lächeln Sie! Ab heute wissen Sie es besser: Es gibt Aktionäre, die haben mit Aktien im Nennwert von fünf Euro Hunderttausende Euro gemacht und das sogar häufiger in den vergangenen Jahren. Nicht, weil sie auf Firmen gesetzt hätten, deren Kurse wie Raketen in den Himmel schossen - sondern weil sie selbst ein einträgliches Geschäftsmodell entdeckt haben: das der Aktionärsklagen.
Sie verklagen Firmen für Fehler, die diesen bei Hauptversammlungen (HV) unterlaufen, wenn sie etwa ihre Aktionäre nicht ausreden lassen. Sie wehren sich dagegen, dass Kleinaktionäre bei Firmenübernahmen zu Dumpingpreisen aus dem Unternehmen gedrängt werden. Und sie weigern sich, Vorstände zu entlasten, die schlechte Ergebnisse eingefahren haben, dafür aber satte Gehälter kassieren. Auf den jährlichen Aktionärstreffen wird das alles oft von den Großaktionären durchgewunken, doch es gibt einige aufständische Aktionäre, die gegen solche Beschlüsse klagen. Und das ist ein höchst einträgliches Geschäft.
Eine halbe Million für den Kläger - oft sogar mehr
Normalerweise haben Klagende eine 50:50-Chance, den Prozess zu gewinnen. Die Chancen der Aktionärskläger aber stehen weitaus besser, auch weil viele Verfahren ganz ohne Richterspruch enden. In den meisten Fällen lenken die Firmen vorher ein und bieten einen Vergleich an, mit satten Abfindungssummen. In normalen Zivilprozessen passiert das in einem von fünf Verfahren, aber knapp zwei Drittel aller Aktionärsklagen enden so, hat der Frankfurter Rechtsprofessor Theodor Baums ermittelt. In mehr als der Hälfte der Fälle fließt über eine halbe Million Euro an die Kläger, oft sogar zwei Millionen und mehr. Die aufsässigen Aktionäre haben also bei Klagen „eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit der Kostenbefreiung und auch Aussicht auf einen erheblichen Gewinn“, sagt Baums.
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Einige wenige Aktionäre machen sich das seit ein paar Jahren zunutze. Seit 2000 landeten einige hundert solcher Fälle vor Gericht - mehr als 70 Prozent davon wurden aber nur von einem Dutzend Aktionäre angestrengt. Insgesamt gibt es etwa 40 besonders klagefreudige Anleger in Deutschland.
Berufskläger nennt die Branche sie und verweist namentlich auf den Speditionsunternehmer Klaus Zapf, Karl-Walter Freitag, Axel Sartingen oder Caterina Steeg. Einige haben sogar eigene Gesellschaften gegründet, die nun solche Prozesse führen. Manche nennen die Dauerkläger deshalb „räuberische Aktionäre“. Denn die Vergleiche, die sie erstreiten, kommen zwar allen Aktionären zugute. Etwa wenn sie erreichen, dass die Abfindung bei einer Übernahme (Squeezeout) nicht nur einen Euro pro Aktie beträgt, sondern zwei. Oder dass Anteilseigner bei einer Kapitalerhöhung großzügigere Bezugsrechte auf weitere Aktien eingeräumt bekommen.
Ein offenes Geheimis: das Geld wird geteilt
Das große Geld aber, sagen Anwälte, fließt an anderer Stelle: „Bei der Anwaltsvergütung spielt die Musik“, erklärt Hans-Ulrich Wilsing, Partner der Großkanzlei Linklaters. „Wenn der klageführende Rechtsanwalt für so einen Fall eine pauschale Vergütung von 300 000 Euro erhält, liegt die Vermutung nahe, dass es ein abgekartetes Spiel ist und das Geld hintenrum an den Kläger zurückfließt.“
Es gilt in der Branche als offenes Geheimnis, dass sich die Klagenden und ihre Anwälte das Geld teilen. Die Berufskläger selbst streiten das freilich ab. Doch für einen Aktionär lohnt es sich kaum, für einen Euro pro Aktie in einen aufwendigen Prozess zu ziehen. Er profitiert nur davon, wenn er einen Teil des Anwalthonorars abbekommt. Und da der Anwalt ohne ihn den Prozess nicht hätte führen können, schlägt der in den Deal ein. Deshalb findet Wilsing: „Das Räuberische dieser Aktionärsklagen liegt in der Pauschalvergütung der Anwälte. Wenn die mit zehn Klagen gegen ein Unternehmen vorgehen, ziehen die aus einem Fall locker 3 Millionen Euro.“
Oft nicke der Anwalt der Gegenseite die Vergleiche deshalb so schnell ab, weil er ebenfalls einen Teil vom Kuchen abbekomme, sagen Branchenkenner. Im Prinzip gibt es eine Deckelung für Anwaltshonorare, die aber lässt sich umgehen, wenn eine Barzahlung an alle Aktionäre verabredet wird. Die Zeche zahlen am Ende die Unternehmen oder deren Mehrheitseigner.
Klagen kann jeder
Nun seien Aktionärsklagen an sich ja nichts Unrechtes, betonen viele Juristen. Sie sind ein Instrument, um Unternehmen zu zeigen, dass Kleinaktionäre sich nicht alles gefallen lassen. Wenn Versammlungsleiter ihnen bei der HV arrogant das Wort abschneiden oder die Firma bei der Einladung zur HV Fehler macht - was bei kleineren Unternehmen öfter passiert, weswegen die öfter verklagt werden -, dann ist es in Ordnung, dass solche Fehler auch vor Gericht landen. Klagen kann jeder. Er muss nur bereits bei der HV Widerspruch einlegen und innerhalb von vier Wochen mit Hilfe eines Anwalts die Klage einreichen. Solche Fälle werden meist bis zum Urteil durchgefochten und oft von Kleinanlegern gewonnen.
Das Tückische aber sind Prozesse um Beschlüsse, die ins Handelsregister eingetragen werden müssen oder bei denen Sanierungskonzepte abgenickt werden sollen wie jetzt bei Pfleiderer. Da lähmen die Prozesse eine Firma oft ein halbes Jahr oder länger und führen damit sogar zur Insolvenz. Genau das ist der Grund, weswegen Firmen den Klägern dann schnell einen Vergleich anbieten, um den Streit beizulegen. Das sind die Fälle, mit denen Berufskläger reich werden.
Juristischer Sachverstand erforderlich
Nun könnte manch einer auf die Idee kommen, es auch mal mit einer Aktionärsklage zu versuchen. Juristen warnen aber: Seit 2009 das neue Gesetz ARUG in Kraft trat, seien die Einstiegshürden für Kläger höher geworden, sagt Ulrich Hocker von der Schutzvereinigung DSW. „Früher konnte sich jeder einfach an Klagen hängen, jetzt muss man sie einzeln begründen. Das erfordert juristischen Sachverstand.“
Hinzu kommt laut Rechtswissenschaftler Walter Bayer von der Universität Jena: „Die Aussichten für Kläger sind schlechter geworden, das Geschäftsmodell der räuberischen Aktionäre hat einen deutlichen Dämpfer erhalten. Die Gerichte bewerten die Erpressung der gewerblichen Berufskläger neuerdings häufiger als sittenwidrige Schädigung.“
Und verdonnern sie öfter zu Schadensersatz. Klaus Zapf hat das schon erfahren. Auch die Unternehmen wehren sich zunehmend und erheben „Eventualwiderklage“. Für den Aktionär bedeutet das: Unterliegt er vor Gericht, wird es für ihn richtig teuer. Zur Nachahmung eignet sich das Geschäftsmodell also wahrlich nicht.
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