Verkauf von WährungsreservenDie Leiden der reichen Ölstaaten
Neben vielen anderen Staaten greifen vor allem Saudi-Arabien und Norwegen auf Währungsreserven zurück. Dies bringt erhebliche Unruhe in die Märkte.
29.09.2015, von GERALD BRAUNBERGER
Statistiken zu lesen, kann mühsam sein, aber auch erhellend. Für den August 2014 weist die Zentralbank Saudi-Arabiens Sama (Saudi Arabian Monetary Authority) Fremdwährungsreserven im Wert von knapp 2,8 Billionen Riyal aus – umgerechnet rund 665 Milliarden Euro. Im Juli 2015 betrugen diese Anlagen nur noch 2,5 Billionen Rial, also rund 595 Milliarden Euro, und nach Vermutungen an den internationalen Finanzmärkten haben die Saudis seitdem weiter verkauft. Die als unermesslich reich geltenden Saudis bauen Währungsreserven ab.
Sie sind nicht die einzigen Ölförderer, die auf Reserven zurückgreifen. In der vergangenen Woche senkte die Bank von Norwegen ihren Leitzins von 1 auf 0,75 Prozent. Ihr Gouverneur Oeystein Olsen stellte bei dieser Gelegenheit gleich weitere Leitzinssenkungen in Aussicht. Als Grund wurde die Sorge vor einer wirtschaftlichen Schwäche wegen des niedrigen Ölpreises genannt. Die Arbeitslosenquote befindet sich auf dem höchsten Stand seit 2006.
Gleichzeitig ließ die Regierung in Oslo erkennen, dass sie für den Staatshaushalt des kommenden Jahres vermutlich auf zusätzliche Mittel aus dem riesigen staatlichen Ölfonds zurückgreifen will. Dieser bei der Bank von Norwegen angesiedelte Fonds gehört mit einem Volumen von rund 800 Milliarden Euro zu den größten Anlegern in der Welt. Rund 40 Prozent seiner Mittel sind in Aktien angelegt, knapp 60 Prozent in Anleihen und ein kleiner Teil in Immobilien.
Eigentlich dient der Fonds der langfristigen Altersabsicherung der norwegischen Bevölkerung, aber die Regierung kann auf einen Teil der Gelder zugreifen. „Obwohl wir wegen des niedrigen Ölpreises vor Herausforderungen stehen, haben wir ein gutes Modell, um den Ölreichtum zu verwalten und gleichzeitig der Finanzpolitik Spielraum zu geben“, sagte Olsen vor wenigen Tagen. Mit Geldern aus dem Ölfonds könnte die Regierung zusätzliche Staatsausgaben finanzieren, ohne den Kapitalmarkt mit zusätzlichen neuen Staatsanleihen zu belasten.
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Die beiden Beispiele zeigen: Auch die reichsten Ölförderer haben Schwierigkeiten, mit dem niedrigen Ölpreis umzugehen, ohne sich einschränken zu müssen. Früher hieß es an den Märkten, Saudi-Arabien benötige langfristig einen Ölpreis von rund 100 Dollar je Barrel, um seinen Wohlfahrtsstaat und seine erheblichen Militärausgaben zu erhalten. Aktuell liegt der Ölpreis unter 50 Dollar. Auch andere Ölförderer wie Russland und Brasilien stehen unter erheblichem Anpassungsdruck.
Vor allem Schwellenländer verkaufen
Seit dem vergangenen Jahr verkaufen vor allem Schwellenländer erhebliche Bestände an Währungsreserven, die sie überwiegend in den vergangenen 15 Jahren aufgebaut hatten. Für diesen Aufbau gab es vor allem zwei Ursachen. Zum einen bauten Rohstoffländer aus dem Erlös von Öl und Gas und weiteren Rohstoffen erhebliche Geldvermögen auf, die in Zentralbanken oder Staatsfonds geparkt werden. Der norwegische Ölfonds könnte mit seinen rund 800 Milliarden Euro der größte dieser durch Rohstoffverkäufe gespeisten Fonds sein. Auf ein ähnliches Volumen könnte der Staatsfonds aus Abu Dhabi kommen, der allerdings keine offiziellen Zahlen ausweist und zu dem weit auseinandergehende Schätzungen vorliegen.
Eine zweite Gruppe von Ländern baute Währungsreserven durch Fremdwährungskäufe am Devisenmarkt mit dem Ziel auf, die Landeswährung nicht zu sehr aufwerten zu lassen. Aus dieser Quelle speisen sich unter anderem die Währungsreserven Chinas und Singapurs. Gewöhnlich versuchten diese Länder, eine Aufwertung ihrer Währungen gegenüber dem Dollar zu verhindern. Eine Ausnahme aus jüngerer Zeit bildete die Schweiz, die mehrere Jahre ihren Wechselkurs gegenüber dem Euro mit erheblichen Euro-käufen durch die Schweizerische Nationalbank stabilisiert hatte.
Lässt man die Schweiz beiseite, haben die meisten Länder, die in den vergangenen 15 Jahren erhebliche Währungsreserven aufgebaut haben, ursprünglich Dollar angesammelt. Dies gilt für die Rohstoffländer, weil Rohstoffe rund um den Globus überwiegend in Dollar bezahlt werden. Aber auch die meisten Länder, die zum Zwecke der Wechselkursmanipulation Fremdwährungen erwarben, kauften überwiegend zunächst Dollar.
Hat sich der Aufbau der Bestände gelohnt?
Im Laufe der Jahre haben diese Zentralbanken und Staatsfonds ihr Fremdwährungsanlagen diversifiziert, um nicht alles auf den Dollar zu setzen. In dieser Phase kauften sie viele Wertpapiere, überwiegend wohl Staatsanleihen, aus den Euro-staaten und zu einem geringeren Teil aus Großbritannien und Japan. Seit dem vergangenen Jahr werden solche Papiere wohl eher verkauft. Dies dürfte gerade für Anleihen aus dem Euroraum zutreffen, da die Investoren eher eine Zinserhöhung in den Vereinigten Staaten erwarten und sich daher eher von Euro- als von Dollaranleihen getrennt haben. Wie zu hören ist, hat die Europäische Zentralbank in den vergangenen Monaten viele Staatsanleihen von anderen Zentralbanken und von Staatsfonds erworben.
Eine interessante Frage ist, ob sich der Aufbau erheblicher Wertpapierbestände auf westliche Währung aus finanzieller Sicht für die Zentralbanken und Staatsfonds gelohnt hat. Das hängt zum einen von der Wechselkursentwicklung ab. Die Schweizerische Nationalbank hat im ersten Halbjahr einen Bewertungsverlust von knapp 48 Milliarden Franken erlitten, weil ihre Währung in diesem Zeitraum gegenüber Euro und Dollar aufwertete.
Die Tschechische Zentralbank wies über rund zehn Jahre ein negatives Eigenkapital als Folge einer Aufwertung der Krone aus, die ihr Bewertungsverluste auf ihre Währungsreserven bescherte. Aber solche Bewertungsverluste sind vielleicht nur vorläufig, weil sich die Wechselkurse in den kommenden Jahren in eine andere Richtung entwickeln können. Wechselkurse lassen sich nach aller Erfahrung nicht zuverlässig vorhersagen.
Gefühl trügerischer Sicherheit
Die Analysten der amerikanischen Großbank BNY Mellon kommen zu einer differenzierten Bewertung. Nach der Asien-Krise des Jahres 1997 hatten asiatische Schwellenländer hohe Währungsreserven aufgebaut, um einen Puffer für künftige Krisen zu bilden. Dies hat bisher funktioniert und kann als eine positive Entwicklung betrachtet werden. Die Analysten äußern aber klare Zweifel daran, dass die heftigen staatlichen Interventionen am Devisenmarkt, die zunächst zum Aufbau von Währungsreserven führten und jetzt zu ihrem Abbau beitragen, den Finanzmärkten gut getan haben.
Die Diversifizierung dieser Währungsreserven habe zur Glättung von Kursbewegungen geführt und die Marktteilnehmer in ein Gefühl trügerischer Sicherheit versetzt. Die heftigen Kursbewegungen der vergangenen Monate, die mit dem Abbau von Währungsreserven einhergehen, haben im Gegenzug eine ausgeprägte Verunsicherung in die Märkte getragen. Nach Schätzungen hat der Staatsfonds von Qatar allein in den vergangenen Tagen mit seinen Beständen an VW- und Glencore-Aktien mehrere Milliarden Euro verloren.
Rohstoffländer mit hohen Auslandsvermögen gehen noch ein anderes Risiko ein. Das Gefühl von Sicherheit kann sie für die sogenannte „holländische Krankheit“ anfällig machen. Das ist die Vernachlässigung anderer potentiell attraktiver und technisch hochstehender Wirtschaftszweige im Vertrauen auf das einfach verdiente Geld aus Rohstoffverkäufen. Die Niederlande machten diese Erfahrung vor einigen Jahrzehnten nach der Entdeckung von Gasfeldern in der Nordsee. Seitdem hat sie sich ausgebreitet.
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