Euro-KriseReform-Aufschub für Griechenland
13.11.2012 · Griechenland soll zwei Jahre mehr Zeit bekommen für die Reformen und den Umbau seiner Wirtschaft. Jetzt beginnt der Streit darüber, wer das bezahlen soll. Doch bald muss eine Lösung her, denn die griechischen Banken wackeln.
Von WERNER MUSSLER, STEFAN RUHKAMP, BETTINA SCHULZ
Bis zum nächsten Treffen der Eurogruppe am kommenden Dienstag wollen sich die Euro-Staaten und der Internationale Währungsfonds (IWF) darauf verständigen, wie dieFinanzierungslücke von 32,6 Milliarden Euro im laufenden Hilfsprogramm für Athen geschlossen werden kann. Die Lücke entsteht, weil Griechenland nach dem Willen der internationalen Gläubiger zwei Jahre mehr Zeit erhalten soll, um seine Sparziele zu erreichen.
Bevor Einigkeit über die Schließung der Finanzierungslücke und die Wiederherstellung der griechischen Schuldentragfähigkeit besteht, kann die nächste Kredittranche von 31,5 Milliarden Euro nicht ausgezahlt werden. Ein Teil dieses Geldes wird rasch für die Kapitalisierung der griechischen Banken benötigt.
Eurogruppe will Athen zwei Jahr mehr Zeit geben
Mit der Schließung der Finanzierungslücke hängt zusammen, dass die griechische Staatsschuld wieder tragfähig werden muss, dass Athen also seine Schulden ohne abermalige Liquiditätsprobleme bedienen kann. Griechenland verfügt derzeit über Staatsschulden von etwa 340 Milliarden Euro. Es gilt als ausgeschlossen, dass Athen – wie im bisherigen Programm festgelegt – bis zum Jahr 2020 eine Schuldenquote von 120 Prozent des Bruttoinlandsprodukts erreicht. Für das laufende Jahr wird mit etwa 175 Prozent gerechnet.
Zwischen dem Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Eurogruppe gibt es Streit darüber, wie sich die Schuldentragfähigkeit wiederherstellen lässt. Die Eurogruppe favorisiert eine Verlängerung des Ziels bis 2022, der IWF lehnt das ab. Fest steht bereits, dass die Finanzierungslücke mit einer Kombination aus mehreren Maßnahmen geschlossen werden wird.
Schäuble lehnt Schuldenerlass öffentlicher Gläubiger ab
Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) schloss am Dienstag in Brüssel abermals einen Schuldenschnitt unter Beteiligung öffentlicher Gläubiger aus. Es werde nichts beschlossen, was sich „unmittelbar“ auf die öffentlichen Haushalte auswirke. Es könne allenfalls sein, dass es durch die Senkung von Zinsen oder eine Streckung von Zahlungszielen zu „Änderungen in den Einnahmen“ der Staatshaushalte komme.
In Londoner Bankenkreisen heißt es dagegen, in den längst laufenden Verhandlungen zur Schließung der Finanzierungslücke bestehe Einigkeit, dass die öffentlichen Gläubiger jedenfalls mittelfristig in eine Umschuldung einbezogen werden. Das sehe auch die Bundesregierung inoffiziell nicht anders.
Schuldenrückkaufprogramm und „Streckung von Zahlungszielen“
Schäuble bestätigte aber Überlegungen über ein Schuldenrückkaufprogramm. In der Londoner City wird bereits an einem solchen Programm gebastelt, mit dem die noch am Markt im Umlauf befindlichen Anleihen mit einer Prämie zurückgekauft werden. Dies hätte den Vorteil, dass die Schulden von Athen gesenkt würden und die restlichen Schulden vollends bei der öffentlichen Hand lägen und dann mit viel längerem Atem eine Umschuldung angegangen werden kann.
Mit Sicherheit werden die Geberländer die Zinsen auf ihre bilateralen Kredite im Rahmen des EFSF deutlich reduzieren oder aussetzen. Einen Schuldenverzicht auf die Kredite wird es zunächst nicht geben, um den Reformdruck auf Athen aufrecht zu erhalten. Schäuble sprach davon, dass es einen „verlässlichen Mechanismus“ geben müsse, der ausschließe, dass das griechische Anpassungsprogramm bald abermals aus der Spur gerate. Eine Streckung von Zahlungszielen wollte Schäuble nicht ausschließen. Allerdings könnte über eine Laufzeitenverlängerung verhandelt werden.
Verständnis für Ausfall der „Restanleihen“
Von privaten Banken und Investoren, die sich an der ersten Umschuldung Griechenlands im Februar beteiligt haben, werden nach Bankenangaben 62 Milliarden Euro neue Anleihen gehalten, die vom Jahr 2022 an langsam amortisiert werden und die bis 2015 nur mit 2 Prozent und danach mit langsam steigendem Sätzen verzinst werden. Diese Zinszahlungen machen für Athen nicht viel aus.
Etwa 5,7 Milliarden Euro-Anleihen werden von Investoren und Banken gehalten, die sich an der Umschuldung im Februar 2012 nicht beteiligen wollten und hoffen, dass sie die alten Anleihen voll ausgezahlt bekommen. Diese Anleihen werden weitgehend 2016 fällig. Die griechische Regierung zögert noch, wie sie mit diesen Schulden umgehen soll.
In der Londoner City gäbe es aber großes Verständnis für einen Zahlungsausfall Athens auf diese Restanleihen. Die Gläubiger dieser Anleihen seien selbst schuld, weil sie sich an der Umschuldung nicht beteiligt hätten. Ein solcher Zahlungsausfall werde auch keine größeren Turbulenzen an den Kapitalmärkten auslösen. Etwa 15 bis 18 Milliarden Euro sind kurz laufende Schatzwechsel, die von den griechischen Banken gehalten werden und mit Hilfe dieser Banken auch erneuert werden könnten.
45 Milliarden Euro bei der EZB
Entscheidend sind hingegen nominal 45 Milliarden Euro Griechenland-Anleihen, die die Europäische Zentralbank seit 2010 im Rahmen ihres ESM-Programms am Markt aufgekauft hat. Weitere 10 Milliarden Euro Anleihen halten die nationalen europäischen Zentralbanken in ihren Beständen.
Für Athen geht es maßgeblich darum, diese Anleihen bedienen und tilgen zu können. Hinter der EZB und den nationalen Notenbanken stehen freilich die Länder der Währungsunion. Jeder Verlust der EZB schlägt letztlich als Verlust auf die nationalen Notenbanken des Euroraums der Währungsunion und damit die Mitgliedsländer durch.
Ein weiterer dicker Posten der griechischen Schuld sind die bilateralen Kredite von Euro-Staaten und IWF aus dem ersten Hilfspaket von 110 Milliarden Euro, die bereits ausgezahlt wurden, sowie die erste Auszahlung des zweiten Rettungspaketes.
Was machen die Notenbanken des Euroraums?
Als Kernfrage gilt, ob die EZB und die nationalen Notenbanken darauf pochen, dass ihnen die in ihrem Bestand befindlichen griechischen Anleihen pünktlich zurückgezahlt werden. Die EZB und das Notenbanksystem finanzieren die griechischen Banken bereits mit 100 Milliarden Euro Notliquidität: Im Prinzip sind die EZB und die nationalen Notenbanken der Währungsunion also mit etwa 150 Milliarden Euro gegenüber Griechenland „im Risiko“.
Theoretisch könnte die EZB etwas von diesem gewaltigen Risiko auf die Euro-Staaten abwälzen, in dem zum Beispiel der Rettungsschirm ESM von der EZB Griechenland-Anleihen abkaufen würde, was die EZB bisher als Staatsfinanzierung ablehnt. Eine für Athen spürbare Erleichterung bei der Schuldentragfähigkeit ist aber nur bei den von den Notenbanken gehaltenen Anleihen und bei den bilateralen Krediten zu erreichen, also im öffentlichen Sektor. In Brüssel wie in London gilt eine Umschuldung mit Einbeziehung des Öffentlichen Sektors deshalb als unausweichlich.
Griechenland leiht sich 4 Milliarden Euro
Der griechische Staat hat sich am Dienstag 4 Milliarden Euro über die Ausgabe von kurzlaufenden Schuldtiteln verschafft. Die mit rund 4Prozent verzinsten Titel seien zu einem guten Teil an Londoner Banken verkauft worden, hieß es in Finanzkreisen. Vor dort sollten sie nach und nach an griechische Banken weiterverkauft werden. Durch die Emission ist die ärgste Finanznot des griechischen Staats wohl behoben, der am Freitag 5 Milliarden Euro für die Tilgung von auslaufenden Schuldtiteln aufbringen muss, die er im Sommer unter ähnlich schwierigen Umständen begeben hatte.
Anders als in der vergangenen Wochen vermutet, hat die Europäische Zentralbank nicht den Rahmen für das Notkreditprogramm der griechischen Notenbank ausgeweitet, um den griechischen Banken Spielraum für den Kauf der Staatstitel zu verschaffen. Gleichwohl werden die neuen Schuldtitel zu einem hohen Anteil bei der Zentralbank landen. Denn die griechischen Banken müssen sich refinanzieren und können die Kurzläufer als Sicherheit bei ihren Finanzierungsgeschäften mit der Athener Notenbank verwenden. (ruh./bes.)
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