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Mittwoch, 21. Januar 2015

"Ohne Schuldeneinigung droht neue Griechenland-Krise im Juli"

20.01.2015, 08:51  von APA

"Ohne Schuldeneinigung droht neue Griechenland-Krise im Juli"

Bild: REUTERS (ALKIS KONSTANTINIDIS)

Ökonomen der Linkspartei Syriza in Griechenland haben ein Wirtschaftsprogramm erarbeitet. Geplant ist ein 12-Milliarden-Hilfspaket für arme Griechen. "Im Juli hat Griechenland wieder Refinanzierungsbedarf. Ich glaube, wenn wir uns bis Juli nicht geeinigt haben, dann gibt es eine Krise", sagte Syriza-Wirtschaftsberater Theodoros Paraskevopoulos.

Athen. Die griechische Linkspartei Syriza will nach einem Sieg bei den Parlamentswahlen am Sonntag mit einem Maßnahmenpaket von knapp zwölf Milliarden Euro die Armut lindern und die Wirtschaft ankurbeln. Die ersten Gesetze dafür seien bereits vorbereitet, sagte Theodoros Paraskevopoulos, Syriza-Wirtschaftsberater und Freund von Parteichef Alexis Tsipras, im Gespräch mit der APA in Athen.
Paraskevopoulos hat als Teil einer Gruppe von Ökonomen der Linkspartei ein detailliertes Wirtschaftsprogramm erarbeitet. Die nächste Regierung soll demnach umstrittene Änderungen der Arbeitsgesetze zurücknehmen, die öffentliche Verwaltung reformieren und die Wirtschaft durch Konjunkturmaßnahmen ankurbeln.
Syriza werde als erste Maßnahme etwa den Mindestlohn anheben und ein Weihnachtsgeld für Niedrigrentner einführen, sagte Paraskevopoulos. Auch werde die Linke Hochschulgesetze der derzeitigen Regierung abschaffen und eine Bildungsreform vorbereiten. Die Kosten aller Maßnahmen betrügen nach Berechnung seiner Partei 11,8 Milliarden Euro.
Zur Finanzierung werde man jedoch keine neuen Budgetlöcher aufreißen, beteuerte der Ökonom. Vielmehr werde man "etwas über zwölf Milliarden" an neuen Geldern auftreiben. Neue Einnahmen will die Partei etwa durch die Bekämpfung von illegalem Heizölverkauf lukrieren. Diese koste den griechischen Staat allein vier Milliarden Euro im Jahr, sagte Paraskevopoulos. "Davon meinen wir, dass wir drei Milliarden eintreiben können."
Bekämpft werden soll auch die Korruption in Griechenland. In einer ersten Gesetzesinitiative werde man darum auch die Beschaffung des Militärs neu regeln und dabei Schmiergeldflüsse abdrehen, sagte Paraskevopoulos.
Seine Parteikollegen sprechen davon, den Einfluss der Oligarchen - einflussreicher Unternehmer - in Griechenlands Wirtschaft und Medien einzudämmen. Den Widerstand mächtiger Wirtschaftstreibender sehen die Linken auch hinter der Ankündigung von vier griechischen Banken, wenige Tage vor der Wahl bei der Notenbank in Athen Liquiditätshilfe zu beantragen. Dies sei an sich ein normaler Vorgang. "Ungewöhnlich ist, dass dies publik wird", erklärte Paraskevopoulos.
Den Informationen der Partei nach sei auch die Europäische Zentralbank wegen der Indiskretion verärgert über die Führung der Notenbank in Athen. "Ich nehme an, dass die Bekanntmachung mit den Wahlen zu tun hat, und die alten Banker Angst haben, dass der griechische Staat seine Eigentumsrechte wahrnimmt bei den Banken."
Griechenland-Krise im Juli?
Syriza drängt die Euro-Staaten zu einer raschen Lösung des griechischen Schuldenproblems. "Im Juli hat Griechenland wieder Refinanzierungsbedarf. Ich glaube, wenn wir uns bis Juli nicht geeinigt haben, dann gibt es eine Krise", sagte Syriza-Wirtschaftsberater Theodoros Paraskevopoulos der APA in Athen.
Laut Umfragen steht ein Sieg der Linkspartei bei der Parlamentswahl am Sonntag bevor. Einmal an der Regierung will Syriza mit den Eurozonen-Gläubigern über die Umschuldung Griechenlands verhalten. Die Partei sei dabei aber bei einer Erleichterung kompromissbereit, sagte Paraskevopoulos, der im Beraterstab der Partei sitzt. "Ich sage nicht, dass wir alle unsere Ziele erreichen werden."
Griechenland ist derzeit mit 177 Prozent seiner Wirtschaftsleistung überschuldet. Gläubiger sind nach Schuldenschnitten für Investoren größtenteils die Euro-Länder, Österreich hat sich an den zwei Griechenland-Hilfspaketen mit insgesamt 5,8 Milliarden Euro an Krediten beteiligt.
In den vergangenen Tagen mehren sich die Rufe nach Verhandlungen über Griechenlands Schulden. Es sei "absolut fair und legitim", dass eine neue griechische Regierung und die EU darüber redeten, sagte etwa Frankreichs Finanzminister Michel Sapin laut der "Financial Times" vom Montag. Deutschland und auch Finnland, wo heuer gewählt wird, stellen sich hingegen vehement gegen einen solchen Schritt.
Ein Schuldenschnitt für Griechenland war bereits 2012 beim zweiten Hilfspaket der Eurostaaten im Rahmen des Rettungsfonds EFSF debattiert worden. Österreich stellte sich damals klar dagegen. Die damalige ÖVP-Finanzministerin Maria Fekter erklärte im November 2012, "es wäre ja Amtsmissbrauch", einem Land Kredite zu geben, das diese nicht zurückzahlen könne.
Der Widerstand von Eurostaaten gegen einen Schuldenschnitt sei nachvollziehbar, sagte Paraskevopoulos. Seine Partei habe bereits vor den ersten Griechenland-Hilfen 2010 vor "Rettungsringen aus Blei" und einem Fass ohne Boden gewarnt, weil das Geld zu den vereinbarten Bedingungen niemals zurückgezahlt werden könne. "Die damalige griechische Regierung hat das gemacht, und jetzt müssen wir eine Lösung finden."
An einer Lösung der griechischen Probleme müsse aber auch Europa Interesse haben, glaubt der Ökonom. Das zeige die Debatte über einen Euro-Austritt Griechenlands, die dem Zusammenhalt schade und auch weitere Schuldenstaaten gefährde. "Das wollen wir nicht und das wollen unsere Partner nicht", sagte Paraskevopoulos.
Deutschland und Frankreich größte Kreditgeber
Angesichts der bevorstehenden Wahlen in Griechenland hat Raiffeisen Research in einer aktuellen Analyse auch eine Aufstellung der Kreditgeber des südeuropäischen Landes angegeben. Demnach sind im ersten (2010 bis 2011) und zweiten (2012 bis 2014) Hilfspaket insgesamt 194,8 Milliarden Euro für Griechenland vergeben worden.
Größter Kreditgeber unter den Euro-Ländern ist laut Raiffeisen-Analyse Deutschland, das 56,5 Milliarden Euro vergeben hat, gefolgt von Frankreich mit 42,4 und Italien mit 37,3 Milliarden Euro. Spanien steuerte 24,8 Milliarden Euro bei, die Niederlande 11,9 Milliarden Euro. Von Österreich kamen 5,8 Milliarden Euro.
Im ersten Hilfspaket ging es um 52,9 Milliarden Euro, im zweiten Paket flossen dann 141,9 Milliarden Euro. Das erste Hilfspaket wird unter "bilaterale Kredite" der Euro-Länder verbucht und macht rund 17 Prozent der Gesamtschuld Griechenlands aus. Das zweite Hilfspaket lief über die EFSF (Europäische Finanzstabilisierungsfazilität - European Financial Stability Facility) und beläuft sich auf rund 44 Prozent der Gesamtschulden Griechenlands.
Auf die EZB (Europäische Zentralbank) entfallen mit 27 Milliarden Euro rund acht Prozent der griechischen Gesamtschuld, beim IWF (Internationaler Währungsfonds) sind mit 32 Milliarden Euro rund 10 Prozent der Griechen-Schulden. Auf private Anleihegläubiger entfallen mit 39 Milliarden  Euro "nur" noch 12 Prozent. 14 Milliarden Euro bzw. 4 Prozent seiner Schulden hat Griechenland über kurzfristige Geldmarktpapiere. 15 Milliarden bzw. rund 5 Prozent über andere Kredite.
Raiffeisen rechnet mit Verlängerung der Hilfe
Die Raiffeisen-Research erwartet nach den Griechenland-Wahlen eine Verlängerung des mit Ende Februar auslaufenden Hilfsprogramms, und zwar egal welches Szenario bei den bevorstehenden Wahlen eintritt. Die Reaktion der Märkte auf die politische Entwicklung in Griechenland sei diesmal wohl geringer als beim Schuldenschnitt 2012.
Zwar würden die Verhandlungen nach den Wahlen am 25. Jänner zwischen einer neuen Regierung und der Troika einige Zeit in Anspruch nehmen - umso mehr, da es sich in diesem Fall wahrscheinlich um eine von der Linkspartei SYRIZA geführte Regierung handeln dürfte, doch auch für den unwahrscheinlichen Fall einer ND-Regierung. "So oder so" erscheine eine weitere Verlängerung des am 28. Februar auslaufenden Hilfsprogramms notwendig, heißt es in der Analyse.
Denn einerseits würde das Auslaufen ohne Abschluss der laufenden Überprüfungsmission einem Verzicht auf die noch ausstehende Hilfstranche in Höhe von 7,2 Mrd. Euro gleichkommen. Wichtiger sei jedoch, dass Banken seit Mai 2010 griechische Staatsanleihen (bzw. Anleihen, die vom griechischen Staat garantiert werden) unabhängig vom Rating bei den geldpolitischen Operationen der EZB als Sicherheiten verwenden dürfen, was de facto den griechischen Banken den Zugang zur EZB-Liquidität offen hält.
Per Ende November hielten griechische Banken EZB-Liquidität in Höhe von 45 Milliarden Euro. Die EZB hat bereits angekündigt, dass die Aussetzung des Mindestratings für griechische Staatsanleihen von einem erfolgreichen Abschluss der laufenden Überprüfung sowie der Einigung auf ein Folgeprogramm in Zusammenarbeit mit dem IWF abhängt. Auch vor diesem Hintergrund erscheint den Raiffeisen-Analysten eine weitere Verlängerung des Hilfsprogramms geboten.
Besonders große Turbulenzen auf den Finanzmärkten nach den griechischen Wahlen erwartet Raiffeisen offenbar nicht. Verglichen mit 2012, als der Schuldenschnitt Griechenlands zu erheblichen und sich verstärkenden Turbulenzen an den (Staatsanleihen-)Märkten geführt hatte, sei die Reaktion der Märkte auf die politische Entwicklung in Griechenland der vergangenen Wochen geradezu "vernachlässigbar" bzw. auf Griechenland beschränkt gewesen.
Dafür gebe es auch Gründe: So wurden auf institutioneller Ebene Fortschritte gemacht. Mit dem ESM wurde ein Auffangnetz geschaffen, das Staaten bei nicht vorhandenem Marktzugang die Finanzierung ermöglicht. Mindestens genauso wichtig sei die mit dem OMT (Anleihenkaufprogramm) herausgestrichene Bereitschaft der EZB, ein Auseinanderbrechen der Eurozone zu verhindern, wodurch eben dieses Risiko erst ausgepreist worden ist. Zweitens hält der Privatsektor heute (39 Milliarden Euro) viel weniger griechische Staatsanleihen als noch 2011. Ein Zahlungsausfall des griechischen Staates, der auch private Gläubiger umfasste, hätte daher weniger Auswirkungen als früher.
Und drittens befinden sich die übrigen Peripherie-Staaten laut Raiffeisen-Analyse in einer ungleich besseren konjunkturellen und strukturellen Situation als damals. So hätten Portugal und Spanien die Rezession hinter sich gelassen und seien 2014 genauso stark oder noch stärker gewachsen als die gesamte Eurozone. Überdies seien die Budgetdefizite rückläufig und die Leistungsbilanzsalden ausgeglichen oder positiv.
Grexit unwahrscheinlich
Für den laut Raiffeisen-Analyst Matthias Reith unwahrscheinlichen Fall eines "Grexit", also eines Ausscheiden Griechenlands aus der Eurozone, werden zwar schon erhebliche Turbulenzen in Griechenland und in der Eurozone erwartet. So wäre mit deutlich steigenden Risikoaufschlägen vor allem in den übrigen Peripherie-Staaten zu rechnen, diese müssten also mehr Zinsen für ihre Anleihen bezahlen. Derartige Bewegungen auf den Finanzmärkten wären jedoch eher kurzfristig. Eine sich selbst beschleunigende und längerfristige Ansteckung anderer Euro-Länder wäre eher unwahrscheinlich, wofür die Fortschritte auf institutioneller Ebene, der geringe Bestand an Staatsanleihen in privater Hand sowie die bessere Verfassung der übrigen Peripherie Staaten sprechen.
Viel schwerer würde hingegen ein "Grexit" Griechenland selbst treffen. Denn neben dem Staat könnte auch der Privatsektor seine in Euro bezifferten Verbindlichkeiten nicht mehr oder nur noch schwer bedienen. Zwar verfüge der griechische Staat mittlerweile über einen Primärüberschuss, wodurch für die laufende Finanzierung der Staatsausgaben theoretisch keine externen Finanzierungsquellen (Anleiheemissionen, Gelder öffentlicher Gläubiger) notwendig wären. Allerdings sei aufgrund der nach Austritt aus der Eurozone mit hoher Wahrscheinlichkeit folgenden tiefen Rezession abermals mit Primärdefiziten zu rechnen.

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