Rahmenabkommen mit EU
Drei Zwergstaaten spuren vor
Andorra, Monaco und San Marino verhandeln mit der EU über ein Rahmenabkommen. Das könnte das geplante institutionelle Abkommen mit der Schweiz beeinflussen.
Im April haben Andorra, Monaco und San Marino formelle Verhandlungen mit der Europäischen Union über ein Assoziierungsabkommen aufgenommen. Zwei Runden haben bereits stattgefunden, die dritte ist im Herbst geplant. Zunächst sollen jene institutionellen Fragen geregelt werden, über die sich die Schweiz und die EU seit einem Jahrzehnt nicht einig werden: Übernahme und Auslegung von EU-Recht, Überwachung der Anwendung und Streitschlichtung.
Über den Verlauf der Gespräche wurde offiziell nicht kommuniziert. Die EU äussere sich nicht zu laufenden Verhandlungen, sagt ein Sprecher der Delegation in Bern. Mehrere Quellen bestätigen aber, dass die Verhandlungen in Bezug auf die Institutionen weit fortgeschritten sind. In den Mikrostaaten sind die institutionellen Fragen weniger umstritten als in der Schweiz. Dafür fordern die drei Stadtstaaten Ausnahmeregelungen bei der Wohnsitznahme oder Regulierungen für bestimmte Berufsgruppen.
Das Assoziierungsabkommen mit Andorra, Monaco und San Marino wird allein schon wegen der Grössenverhältnisse nicht identisch sein mit dem Rahmenabkommen, über das Bern und Brüssel seit Mai 2014 verhandeln. Der EU-Rat hat jedoch für beide Verhandlungen im institutionellen Bereich ähnliche Leitplanken vorgegeben.
Verbindlicher EU-Gerichtshof
Anders als die Schweizer haben die insgesamt 150 000 Einwohner der drei Zwergstaaten wenig Berührungsängste mit supranationalen Institutionen. Alle drei wollten dem EWR beitreten, was die EU unterstützt hatte. Sie wären dann dem Efta-Gerichtshof sowie der Efta-Überwachungsbehörde unterstellt gewesen und hätten sich mit eigenen Vertretern an diesen Institutionen beteiligen können. Weil sich Norwegen aber gegen eine Erweiterung aussprach, schlugen die Kleinststaaten den Weg ein, den die Schweiz freiwillig wählte: eine Regelung, bei der Auslegungsfragen dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) unterbreitet werden – dem Gericht der Gegenpartei.
Ursprünglich hatte der Bundesrat die Illusion verbreitet, der EuGH erstelle in diesem Modell lediglich unverbindliche Gutachten zuhanden des Gemischten Ausschusses Schweiz - EU – als ob das oberste EU-Gericht eine Universität wäre. Die Frage stellt sich jetzt in den konkreten Verhandlungen anders: Was passiert, wenn die Schweiz in einem Streitfall ein EuGH-Urteil nicht akzeptiert? Von punktuellen Gegenmassnahmen bis zur Auflösung eines ganzen Vertragspakets ist vieles denkbar. In diesem Punkt hat bisher keine Annäherung stattgefunden.
In den Verhandlungen mit den Mikrostaaten herrscht über die Verbindlichkeit von EuGH-Urteilen offenbar Konsens. Dasselbe gilt für die dynamische Übernahme von neuem EU-Recht. Einen Automatismus gibt es nicht: Rechtsakte aus Brüssel müssen gemäss den innerstaatlichen Prozeduren ins nationale Recht übergeführt werden. Die Überwachung der Rechtsanwendung wird der EU-Kommission übertragen. Das ist souveränitätspolitisch ein Unterschied zum EWR, wo die Nicht-EU-Mitglieder die Überwachung auf ihrem Territorium gemeinsam organisieren. Der Bundesrat strebt in den institutionellen Verhandlungen eine Lösung an, bei der die Schweiz sich selbst überwachen kann und der Gemischte Ausschuss die «allgemeine Aufsicht» übernimmt. Die EU hat dieses Konzept zumindest nicht abgelehnt. Die Kommission kann sich über den Gemischten Ausschuss einbringen. Die EU gesteht der Schweiz analog zu den EWR-Staaten zu, bei der Erarbeitung neuen EU-Rechts ohne Stimmrecht mitzuwirken («decision shaping»). Die Mikrostaaten haben dafür nicht die nötigen Kapazitäten.
Arbeiten, aber nicht wohnen
Spuren die drei kleinen Länder auch bei der Personenfreizügigkeit vor? Die EU möchte diese Binnenmarktfreiheit in das Rahmenabkommen integrieren. Inwiefern Abweichungen vom Prinzip möglich sind, wird sich weisen. Mehrere Kleinstaaten haben entsprechende Forderungen erhoben. Ein Entgegenkommen wäre aber keine Premiere: Liechtenstein konnte sich vor dem EWR-Beitritt ausbedingen, dass EU-Bürger zwar frei als Grenzgänger in Liechtenstein arbeiten dürfen, dort aber aufgrund der Kleinräumigkeit kein Recht auf Wohnsitznahme erhalten. Eine ähnliche Regelung für die Schweiz würde allein schon wegen der Distanzen zur Landesgrenze nicht funktionieren.


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