Studie zu Kaufempfehlungen„Fundamentale Aktienanalyse ist praktisch wertlos“
Fragwürdige Hellseher oder Heilsbringer für das Portfolio? Eine empirische Studie bricht eine Lanze für die umstrittene technische Chartanalyse.
09.09.2015, von NORBERT KULS, NEW YORK
Ryan Detrick von der Analysegesellschaft Schaeffer’s Investment Research war im April des vergangenen Jahres nicht gut auf Aktien des amerikanischen Autokonzerns Ford Motor zu sprechen. „Wir mögen sie schon seit geraumer Zeit nicht, und wir finden noch immer keinen Gefallen daran“, sagte der Analyst in der Sendung „Talking Numbers“ des Wirtschaftssenders CNBC. Als Begründung führte er allerdings keine Absatzzahlen der neuesten Ford-Kleinlaster an. Er verwies einzig auf einen Kurschart der Ford-Aktien, auf dem sich eine Kurve, der gleitende Durchschnitt des Kurses über einen Zeitraum von 200 Tagen, merklich abflachte. Detrick sollte mit seiner Empfehlung recht behalten. In den neun Monaten seit der Sendung fiel der Kurs von Ford um etwa 15 Prozent – und entwickelte sich damit deutlich schwächer als der Aktienindex S&P 500, der im gleichen Zeitraum sogar leicht zulegte.
Detricks Methode, die sogenannte technische Analyse, ist an der Wall Street immer noch umstritten. Seit Jahrzehnten gibt es dort einen harten ideologischen Wettbewerb zwischen zwei Lagern. Auf der einen Seite stehen traditionelle Analysten, die Aktien und andere Wertpapiere nach sogenannten fundamentalen Gesichtspunkten wie Umsatz oder Gewinn begutachten. Auf der anderen Seite stehen Charttechniker wie Detrick, die sich ausschließlich auf die Eigenheiten des Kursverlaufs von Aktien oder Indizes konzentrieren. Technische Analyse galt bei renommierten Kommentatoren aber lange als eine Art „schwarze Kunst“. Vertreter der Zunft wurden als fragwürdige Gesellen abgetan, die in den Linien der Kurscharts lesen wie Hellseher in einer Hand. Das liegt vielleicht daran, das harte Umsatz- und Gewinnzahlen leichter nachzuvollziehen sind als Begriffe wie Widerstand oder Kopf-Schulter-Formation.
Hellseher schlagen Fundamentalisten
Eine Studie von drei israelischen Finanzprofessoren bricht jetzt aber eine große Lanze für die technischen Analysten. Im direkten Vergleich von Aktienempfehlungen aus beiden Lagern schlagen die Charttechniker die Fundamentalisten geradezu vernichtend. „Techniker stellen ziemlich beeindruckende Fertigkeiten bei der Auswahl von Aktien zur Schau, während Fundamentalisten in keinerlei Art einen Nutzen bieten“, schreiben die Autoren der Studie, Doron Avramov und Haim Levy von der Hebrew University in Jerusalem und ihr Kollege Guy Kaplanski von der Bar-Ilan University. Der vielleicht vernichtendste Satz an die Adresse der Fundamentalisten: „Wenn überhaupt, dann erzeugen Verkaufsempfehlungen eine höhere überdurchschnittliche Rendite als Kaufempfehlungen.“ In anderen Worten: Anleger, die von Fundamentalanalysten zum Verkauf empfohlene Aktien erwerben – also das Gegenteil machen –, haben gute Gewinnaussichten.
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Die Studie mit dem Titel „Talking Numbers: Technical versus Fundamental Recommendations“ untersucht Empfehlungen von Analysten von November 2011 bis Ende Dezember 2014. Die Grundlage der Daten ist die Sendung „Talking Numbers“, die gemeinsam vom CNBC und dem Internetkonzern Yahoo produziert wird. In der Sendung treten jeweils ein Charttechniker und ein Fundi gegeneinander an. Neben Aktien geben Analysten auch Prognosen zur erwarteten Kursentwicklung von Marktbarometern wie dem Aktienindex S&P 500, für Staatsanleihen, Rohstoffe oder Währungen ab. Insgesamt werteten die drei Forscher 1000 Doppelempfehlungen für 262 Aktien und 620 Doppelempfehlungen für andere Vermögenswerte aus. Kurioserweise liegen Charttechniker aber nur bei Aktien vorne. „In Bezug auf Marktindizes, Staatsanleihen und Rohstoffe machen beide Schulen mangelhafte Prognosen“, heißt es in der Studie.
Die Studie misst unter anderem die Kursentwicklung von Aktien über einen Zeitraum von neun Monaten. Die Kurse von Aktien, die technische Analysten „stark zum Verkauf“ empfohlen hatten, gaben im Vergleich zur Marktentwicklung um 8,85 Prozent nach. Fachleute bezeichnen diese Abweichung vom Markttrend als „Cumulative Abnormal Return“ oder CAR. Starke Verkaufsempfehlungen von Fundamentalanalysten führten im gleichen Zeitraum zu einem negativen CAR von 2,33 Prozent. Aktien, für die Fundis eine normale Verkaufsempfehlung ausgesprochen hatten, entwickelten sich allerdings um 6,18 Prozent besser als der Marktdurchschnitt.

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Auch mit Kaufempfehlungen von Fundamentalanalysten sind Anleger schlecht gefahren. Sowohl starke als auch normale Kaufempfehlungen führten in den neun Monaten nach der Sendung zu einem negativen CAR. Die von technischen Analysten empfohlenen Aktien entwickelten sich dagegen besser als der breite Aktienmarkt. Auch Ryan Detricks fundamentalistischer Gegenspieler aus der Talking-Numbers-Sendung vom April 2014 lag daneben. Ron Dottin, der damals für die kanadische Bank RBC arbeitete, gab sich mit Blick auf die unsicheren Auswirkungen neuer Investitionen zwar zurückhaltend, erwartete dennoch eine marktneutrale Kursentwicklung der Ford-Aktie – was einem Kursplus von 3 Prozent entsprochen hätte, nicht 15 Prozent Verlust.


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