Geierfonds gegen renitenten
Schuldner - so lässt sich der
Streit um Argentiniens Umschuldung
zuspitzen. Präsidentin
Kirchner hofft auf Hilfe
von amerikanischen Richtern.
mos. BUENOS AIRES, 24. September.
Knapp zwölf Jahre nach Argentiniens
Staatsbankrott von 2001 müssen viele
Gläubiger des südamerikanischen Landes
abermals Zahlungsausfälle befürchten.
Andere Gläubiger machen sich dagegen
Hoffnungen, nach Jahren des Wartens
und Prozessierens endlich kassieren zu
können. Grund dafür ist ein bereits 2012
in New York ergangenes Gerichtsurteil,
das bald vollstreckt werden könnte.
Das Gericht verpflichtet Argentinien
dazu, Gläubigern, die alle bisherigen Umschuldungsangebote
des Landes abgelehnt
haben, ihre vollen Ansprüche auszuzahlen.
In dem konkreten Fall geht es um
Forderungen von Hedgefonds und einigen
Privatanlegern, die sich inklusive Verzugszinsen
auf rund 1,33 Milliarden Dollar addieren.
Argentiniens Regierung lehnt jede
Zahlung an die Umschuldungsverweigerer
(Holdouts) ab. Doch der New Yorker
Richter Thomas Griesa will die Zahlung
erzwingen. Solange Argentinien nicht
zahlt, sollen die den Holdouts zustehenden
Beträge von den Überweisungen an
andere Gläubiger des Landes abgezweigt
werden. Explizit nimmt der Richter dabei
die mit der Zahlungsabwicklung beauftragte
Bank of New York und andere Intermediäre
in die Pflicht. Erst wenn die Holdouts
bedient sind, dürfen die übrigen Gläubiger
ihr Geld erhalten.
Im August wurde Griesas Urteil von einem
Berufungsgericht bestätigt. Argentinien
will trotzdem nicht zahlen, obgleich
dies nach Stand der Dinge zu Zahlungsausfällen
bei den umgeschuldeten Anleihen
führen würde. Die Prämien für Kreditausfallversicherungen
(CDS) auf argentinische
Staatsanleihen sind mit 2500 Basispunkten
eineinhalb mal so hoch wie für
Griechenland. Als letzten Ausweg beantragte
die argentinische Regierung eine
Prüfung des Urteils durch den Obersten
Gerichtshof der Vereinigten Staaten.
Die Obersten Richter werden kommenden
Montag beraten, ob sie den Fall zur
Revision annehmen. Da das Berufungsgericht
einzelne Aspekte in zwei getrennten
Urteilen abgehandelt hat, bleibt Argentinien
zudem noch eine Chance für eine
zweite Anrufung des Supreme Court. Bis
zu einer Entscheidung des Verfassungsgerichts
soll die Vollstreckung des New Yorker
Urteils ausgesetzt bleiben.
Ende 2001 hatte Argentinien mit der
Zahlungseinstellung auf mehr als 100 Milliarden
Dollar Anleiheschulden eine der
größten Staatspleiten erklärt. In zwei Umschuldungsrunden
2005 und 2010 haben
insgesamt 93 Prozent der Gläubiger einen
Verzicht auf mehr als zwei Drittel ihrer
Forderungen akzeptiert. Zu den 7 Prozent
der Gläubiger, die den Forderungsverzicht
nicht akzeptiert haben, gehören
Hedgefonds, die die notleidenden Staatspapiere
zu einem Bruchteil des Nennwertes
aufgekauft hatten. So auch der Fonds
NML Capital des amerikanischen Milliardärs
Paul Singer, der die erfolgreiche Klage
in New York führte, um Argentiniens
Zahlung zu erzwingen. Nun ist Singer womöglich
bald am Ziel.
Die Richter in New York verständigten
sich auf eine weite Auslegung der sogenannten
Pari-Passu-Klausel, die in vielen
. Anleiheverträgen die Gleichbehandlung
der Gläubiger sicherstellen soll. Mit seiner
Politik, die umgeschuldeten Anleihen
pünktlich zu bedienen, den Umschuldungsverweigerern
jedoch jegliche Zahlung
zu verwehren, verstoße Argentinien
gegen diese Klausel: Die ursprünglichen
Anleiheverträge seien ohne weiteren Verzug
ebenso vollständig zu erfüllen wie die
freiwillig restrukturierten Verträge, bestimmten
die Richter. Mit dem Präzedenzfall
des Singer-Fonds könnten mehr als
20 Milliarden Dollar ähnlicher Forderungen
auf Argentinien zukommen. Das würde
mehr als die Hälfte der Devisenreserven
des Landes ausmachen.
Die argentinische Regierung erklärt,
die Entscheidung der Richter könne nicht
nur ihr eigenes Land in eine neue Schulderikrise
stürzen, sondern auch künftige
Umschuldungen in anderen Krisenländern
blockieren. In Einlassungen vor dem
New Yorker Gericht haben auch Außenstehende
wie die Regierung Frankreichs
oder die ehemalige Vizechefin des Internationalen
Währungsfonds (IWF), Anne
Krueger, für Argentinien Partei ergriffen.
Gläubiger könnten künftig nicht mehr zu
einem Forderungserlass für notleidende
Schuldner bereit sein, wenn andere Gläubiger
100 Prozent plus Zinsen kassierten,
warnen sie.
Solche Einwände wollen die Richter
nicht gelten lassen. Zum einen hätten sie
ausschließlich dafür Sorge zu tragen, dass
amerikanische Gesetze eingehalten würden,
denen sich Argentinien bei Ausgabe
der Anleihen freiwillig unterworfen habe.
Zum anderen seien in neueren Anleiheverträgen
meist sogenannte Kollektivklauseln
enthalten, wonach Vertragsänderungen,
die von einer großen Mehrheit der
Gläubiger vereinbart werden, auch für die
restlichen Gläubiger verbindlich sind.
Überdies sei Argentinien ein „besonders
renitenter Schuldner“ und daher ein mit
anderen Ländern kaum vergleichbarer
Sonderfall. Argentiniens Staatspräsidentin
Cristina Kirchner hatte immer wieder
bekräftigt, ihr Land werde den von ihr als
„Geierfonds“ bezeichneten Holdouts „keinen
Cent zahlen“ und anderslautende Gerichtsurteile
nicht anerkennen.
Nach den Niederlagen in New York versucht
Argentinien nun im Vorfeld der Entscheidung
des Obersten Gerichtshofes für
bessere Stimmung zu sorgen. So wird eilig
die abermalige Eröffnung eines Umschuldungsangebotes
mit ähnlichen Bedingungen
wie 2005 und 2010 vorbereitet, obgleich
dies die klagenden Umschuldungsverweigerer
kaum interessieren dürfte.
Auch bisher ignorierte Schulden aus Verfahren
vor einem Weltbank-Schiedsgericht
sollen endlich beglichen werden. Zudem
sagte Argentinien zu, die vom IWF gerügten
Mängel bei der Messung der Inflation
zu beheben'.
Doch all dies sei möglicherweise „zu
wenig, zu spät“, heißt es in einer Analyse
der Deutschen Bank. Es bestehe „ein ernstes,
hochwahrscheinliches und unmittelbares
Risiko, dass der Oberste Gerichtshof
eine Revision des argentinischen Falls ablehnt“.
Staatschefin Kirchner sagte, sie
bete zu Gott, er möge die Richter „erleuchten“.
Andernfalls, so kündigte Kirchner
bereits an, werde man den Inhabern der
umgeschuldeten Anleihen den Wechsel
von amerikanischem in argentinisches
Recht anbieten und die Fälligkeiten über
Buenos Aires auszahlen. „Wir werden
nicht erlauben, dass man uns nicht zahlen
lässt“, sagte Kirchner. Doch nicht alle Anleger
dürften sich auf den Wechsel der Jurisdiktion
einlassen wollen. Die Ratingagentur
Standard & Poor’s hat argentinische
Anleihen darum kürzlich bereits von
B- auf CCC+ abgestuft. Die Wahrscheinlichkeit,
dass es in den nächsten zwölf Monaten
zu einem „selektiven Zahlungsausfall“
Argentiniens komme, liege bei mindestens
einem Drittel.
FAZ Print Mi 25.9.2013
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