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Mittwoch, 25. September 2013

Über Portugal braut sich ein Sturm zusammen

Über Portugal braut sich ein Sturm zusammen

    Von SIMON NIXON
Getty Images
Das dreijährige Rettungsprogramm für Portugal endet bald, und nächstes Jahr werden 14 Milliarden Euro an Staatsanleihen fällig.
Die Bundestagswahlen in Deutschland sind vorbei – jetzt muss sich die Euro-Zone wieder darauf konzentrieren, ihre Krise zu beenden. Ganz oben auf der Liste der dringenden Probleme steht Portugal.
Das Land ist unter den Krisenstaaten einzigartig: Die Wahrnehmung der Eurozone hat sich zwar aufgehellt, doch in Portugal ist davon nichts zu spüren. Das Bruttoinlandsprodukt ist im zweiten Quartal zwar um 1,1 Prozent gewachsen, so stark wie sonst nirgends in der Währungsunion. Und trotzdem sind die Zinsen für zehnjährige portugiesische Staatsanleihen von 5,23 Prozent im Mai auf über sieben Prozent gestiegen. Vergangene Woche hat die Ratingagentur Standard & Poor's die Regierung gewarnt, dass Portugal womöglich herabgestuft werden könne. Vor dem Sommer konnte das Land noch fünf- und zehnjährige Anleihen ausgeben, mittlerweile ist es wieder vom Markt ausgeschlossen.
Schuld daran ist unter anderem die politische Krise im Juni, als die Regierung über den Haushalt stritt und so den Rücktritt des angesehenen Finanzministers Vitor Gaspar herbeiführte. Zwei Wochen lang war unklar, ob die Regierungskoalition überleben würde. Der Minderheitsparteiführer Paulo Portas verkündete seinen „unwiderruflichen" Rücktritt, Präsident Aníbal Cavaco Silva versuchte währenddesseneine neue parteiübergreifende Regierung zu erzwingen.
Letztendlich änderte sich an der Regierungskoalition unter Premierminister Pedro Passos Coelho nichts. Doch die Zuversicht der Investoren war deutlich geschädigt. Das Timing hätte kaum schlechter sein können: Das dreijährige Rettungsprogramm für Portugal endet bald, und nächstes Jahr werden 14 Milliarden Euro an Staatsanleihen fällig. In den kommenden Wochen muss die Eurozone einenWeg finden, die Finanzierung Portugals wieder auf ein stabiles Fundament zu stellen – sonst könnte die Krise wieder aufflammen.
Man kann das Dilemma Portugals auf zwei Weisen betrachten. Einerseits ist es wie ein multidimensionales Schachspiel, an dem die Regierung, die Märkte und die Troika aus EZB, EU-Kommission und IWF teilnehmen. Ziel ist es, den Marktzugang Portugals wiederherzustellen, ohne den Anleihebesitzern Verluste aufzubürden, da so portugiesische Banken geschädigt und andere Teile der Währungsunion womöglich angesteckt werden könnten.
Der Erfolg hängt von einigen sensiblen Entscheidungen ab. In Portugal stellt sich die Frage, ob die Troika das Defizitziel für 2014 lockern wird, auf das man sich im Juni geeinigt hatte. Genau dieses Thema hatte die politische Krise im Sommer ausgelöst. Ist dieses Ziel wirklich erreichbar, vor allem wenn das Verfassungsgericht weiterhin Kürzungen von Renten und Gehältern im öffentlichen Dienst blockiert? Wie würden die Märkte auf die Entscheidung reagieren, die Sparpolitik zu entschärfen? Welches Signal würde eine solche Entscheidung an andere Eurostaaten wie Spanien und Italien senden? Was wären in Portugal die politischen Konsequenzen, wenn das Defizitziel nicht gelockert wird?

Schuldenlast: 124 Prozent des BIP

Für Investoren, die Troika und die Märkte ist die dringendere Frage, ob die Schuldenlast Portugals, die dieses Jahr auf einen Höhepunkt von 124 Prozent des BIP ansteigen dürfte, nachhaltig ist. Die Antwort hängt teilweise auch davon ab, wie schnell die Wirtschaft wachsen kann.
Die portugiesische Privatwirtschaft hat zwar durch Stellenstreichungen und strukturelle Reformen an Wettbewerbsfähigkeit zurückgewonnen. Doch kann eine Volkswirtschaft, die zwischen 2000 und 2010 durchschnittlich nur um ein Prozent in Jahr gewachsen ist, wirklich bis 2016 wieder ein Wachstum von 1,8 Prozent pro Jahr erreichen und vor Zinskosten einen Haushaltsüberschuss von fast zwei Prozent erzielen?
Die Nachhaltigkeit der Schuldenlast hat aber auch damit zu tun, wie hoch die Zinsen sind, die Portugal zahlen muss. Es wäre dazu wichtig, die Zinsen für zehnjährige Anleihen wieder auf fünf Prozent zu reduzieren. Doch wie kann man die Märkte dazu überzeugen?
Würde ein offizielles Sicherheitsnetz helfen, wie zum Beispiel Zugang zu den Offenmarktgeschäften der EZB, oder eine vorsorgliche Kreditlinie ähnlich der, die derzeit mit Irland für die Zeit verhandelt wird, wenn dessen Rettungsprogramm ausläuft? Oder werden Investoren verlangen, dass öffentliche Gläubiger erst die Schuldenlast lindern, indem sie die Laufzeit der Papiere verlängern und die Zinsen auf ihre Kredite kürzen? Wäre die beste Lösung am Ende doch, Portugal durch ein neues Rettungsprogramm vom Markt fernzuhalten?

Was ist mit der Endphase?

Das sind dringende Fragen. Doch wenn sich die Schachspieler zu sehr auf den nächsten Zug Portugals konzentrieren, verlieren sie womöglich die Endphase aus den Augen. Die Wahrheit ist, dass in Portugal – und in Europa insgesamt – langfristig nicht wichtig ist, ob das Defizitziel nächstes Jahr bei vier oder bei viereinhalb Prozent liegt, sondern ob Portugal sich je wieder in eine dynamische Volkswirtschaft verwandeln und der Geschichte aus immer wiederkehrenden Schuldenkrisen entkommen kann. Nur so kann jeder Zweifel ausgeräumt werden, dass Portugal einen Platz in der Eurozone verdient hat.
Diese Herausforderung könnte größer sein, als offizielle Daten vermuten lassen. Zwar haben sich einige Exportindustrien wie die Textilbranche während der Krise neu strukturiert und schlagen sich inzwischen gut. So konnte Portugal eine Lücke von zehn Prozent in der Leistungsbilanz innerhalb von zwei Jahren schließen.
Das überraschend gute Wachstum im zweiten Quartal wurde vor allem durch einmalige Faktoren herbeigeführt, darunter die Bonuszahlungen im öffentlichen Dienst, die das Verfassungsgericht wieder in Kraft gesetzt hatte. Die Arbeitslosigkeit würde deutlich über 17 Prozent liegen, wenn nicht so viele Menschen auswandern würden. Das Wachstum der Produktivität gehört unter dem Strich weiterhin zu den schwächsten in der Eurozone.

Probleme sind weiterhin groß

Coelho wird international dafür respektiert, dass er das Troika-Programm so überzeugt umsetzen und die langfristigen strukturellen Probleme Portugals angehen will. Doch diese Probleme sind weiterhin groß. Sie verhindern auch dringen notwendige Investitionen. Der öffentliche Sektor ist nach wie vor zu umfangreich, Beamte werden im Vergleich zum Privatsektor zu gut bezahlt, sie arbeiten zu ineffizient und sind anfällig für Vetternwirtschaft.
An vielen Stellen sind Reformen nötig: Derzeit müssen 40.000 Haushaltsausgaben vom Parlament abgesegnet werden. Das Ziviljustizsystem ist chaotisch. Die Regierung hat es den Portugiesen leicht gemacht, ein Unternehmen zu gründen, eines zu schließen ist jedoch viel schwieriger. Der Arbeitsmarkt ist zu unflexibel, wodurch Unternehmen eher Stellen streichen als Löhne zu kürzen. Bildungsstandards zählen hier zu den niedrigsten in der Eurozone. Der Anteil der Bürger, der sich für ein Studium entscheidet, ist jüngst gefallen.

Beförderung zum stellvertretenden Premierminister

Kann die portugiesische Politik diese Herausforderungen bewältigen? Portas hat sich diesen Sommer durch seine Possen zwar eine Beförderung zum stellvertretenden Premierminister gesichert, doch das nur auf Kosten von Portugals Glaubwürdigkeit. Die Sozialistische Partei stachelt eine populistische Opposition gegen politische Linien auf, die höchstwahrscheinlich von der Regierung umgesetzt werden. Die ungeheuerlichen Entscheidungen des Verfassungsgerichts lassen vermuten, dass dieses eher daran interessiert ist, die Privilegien von Beamten zu schützen, als Verantwortung gegenüber der breiteren Wirtschaft und den jüngeren Generationen zu übernehmen.
Das Risiko besteht darin, dass die portugiesische Elite durch die Krise nur noch mehr vor einem nötigen radikalen Wandel zurückscheut. So gesehen ist das multidimensionale Schachspiel das kleinste Problem Portugals. Es wird sich sicher eine Lösung für die kurzfristigen Finanzierungsprobleme des Landes finden. Dadurch gewinnt Portugal etwas Zeit. Die Frage ist jedoch: Wozu?
Kontakt zum Autor: redaktion@wallstreetjournal.de

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