PestizideNützliches Gift
14.09.2013 · Pestizide sind Chemikalien, die Insekten töten, Pflanzenpilze töten oder „Unkraut“ töten. Das würde nicht funktionieren, wären sie nicht irgendwie giftig. Ohne sie wären die Ernten aber deutlich geringer.
Von JAN GROSSARTH
Das Wort Gift - oder seine Ableitungen wie vergiftet oder giftig - kommt in den Wahlprogrammen der Parteien zur Bundestagswahl unterschiedlich oft vor. CDU, FDP, Piraten und AfD benutzen es nicht. Linke und SPD jeweils nur einmal, wenn vom Fracking die Rede ist. Die Grünen aber benutzen es achtmal und in alter Gewohnheit und als Einzige auch an den Stellen, wo es um die Landwirtschaft geht.
In der Sprachwelt der Grünen und Umweltaktivisten handelt es sich insbesondere bei Pestiziden um „Gift“. Die Wortwahl verdeutlicht, dass sie Politik gegen diese Chemikalien für ein Gebot der Vernunft halten. Pestizide sind, anders als Rindersteaks, Tabak oder Schnaps, aber keine Genussmittel. Sie sind Betriebsmittel. Das heißt, Verbote sägen nicht nur am Ast der Lebensfreude, sondern an der wirtschaftlichen Basis für die große Mehrheit der Landwirte.
Pestizide sind Chemikalien, die Insekten töten, Pflanzenpilze töten oder „Unkraut“ töten. Das würde nicht funktionieren, wären sie nicht irgendwie giftig. Ihre flächendeckende Verwendung steht allerdings in ursächlichem Zusammenhang zu den guten Ernten, die Landwirte seit Jahrzehnten einfahren. Weil die Agrarchemie seit den fünfziger Jahren auf weiten Flächen diese Mittel einsetzt, stiegen Ernten. Man spricht von der ersten grünen Revolution. Weil der sogenannte Ökolandbau auf Pestizide wie künstlich erzeugte Düngemittel verzichtet, sind seine Erträge deutlich niedriger. Deshalb benötigt ein Biobauer, um gleich viel zu ernten, ungefähr doppelt so viel Fläche, je nach Fruchtart.
Pestizide müssen geprüft werden
Pestizide passen nicht ins grüne Idealbild einer Landwirtschaft, die „natürlich“ sein und idealerweise auch ohne fossile Energien auskommen soll. Da passen aber auch Benzin-Autos, Ölheizungen und Gaskraftwerke nicht rein. Und sind nicht auch die Pillen, die Millionen vor Bluthochdruck, Kopfweh und Depression schützen sollen, „Gift“? Warum heißen sie im grünen Wahlprogramm nicht auch so?
Auf Pestizide kann, wer sich menschenfreundlich nennt, auf Basis der heutigen Technik genauso wenig verzichten wie auf Gas und Benzin. Um ein Pestizid verkaufen zu dürfen, müssen Hersteller viele Tests durchführen und dann mit wissenschaftlichen Studien beweisen, dass es ungefährlich für Menschen ist. Auch Auswirkungen auf Fische, Frösche und Böden müssen dokumentiert werden. In großen Mengen eingesetzt, können zum Beispiel Pestizide aus der Gruppe der Neonikotinoide den Orientierungssinn von Bienen stören.
Daher hatte im Frühjahr die EU-Kommission den Staaten verordnet, drei Mittel zu verbieten. Die Agrarchemie gab sich entsetzt. Erstmals, so behaupteten ihre Vertreter, habe eine EU-Behörde in Sachen Agrartechnik eine „ausschließlich politisch motivierte“ Entscheidung getroffen. Studien, die zeigen, warum Neonikotinoide in üblichen Maßen nicht schaden, hätten in Brüssel nicht interessiert.
Geringere Ernten durch Ökolandwirtschaft
Es ist schwierig zu urteilen, ob das wahr ist oder Lobbygetöse. Es klang ehrlich. Man müsste Dutzende Studien lesen. Das müssen Fachbehörden wie die europäische Efsa leisten. Wenn es stimmen sollte, dass diese politisch motiviert urteilen - um der Mehrheit der Wähler und Abgeordneten zu gefallen -, wäre das fatal. Im Fall der Neonikotinoide war es jedenfalls so, dass vorherige Untersuchungen der deutschen Zulassungsbehörden keinen negativen Einfluss auf Bienen fanden.
Die von den Grünen popularisierte Agrarchemie-Hysterie schürt Emotionen. Die Gesundheitsgefahr für Menschen scheint tatsächlich aber geringer denn je - die Rückstände von Pestiziden in Lebensmitteln sind marginal.
Angesichts der zunehmenden Attacken gegen chemische Pflanzenschutzmittel sind die Argumente, die für sie sprechen, kaum zu hören. Der Berliner Agrarökonom Harald von Witzke hat (im Auftrag der Industrie, trotzdem erwähnenswert) berechnet, was sie bringen: Gäbe es in Deutschland nur Ökolandwirtschaft, fielen die Ernten zwischen 17 Prozent (Zuckerrübe) und 54 Prozent (Weizen) geringer aus. Deutschland ist schon jetzt Nettoimporteur von Agrargütern. Vor allem Grüne beklagen die „Flächenimporte“ aus ärmeren Regionen. Pestizide, macht Witzke deutlich, machen weniger dieser Importe notwendig.
Vergiftete Vernunft
Im kommenden Frühjahr werden Rapsbauern die verbreiteten Neonikotinoide nicht mehr nutzen dürfen. Ökologisch hat das auch Nachteile. Sie werden mehrere Mittel sprühen müssen, um das eine zu ersetzen, also mehr Ressourcen verbrauchen, um das nun nicht mehr erlaubte Verfahren der Saatgutbeizung zu ersetzen.
Schon rufen Umweltaktivisten nach dem nächsten Verbot. Aktivisten von Greenpeace erreichten, dass Baumarktketten den Verkauf von Pflanzenschutzmitteln an Hobbygärtner einstellten. „Pestizide töten Bienen“, hieß es vor Filialen von Hornbach, Obi, Toom und Praktiker.
Schon ist das verbreitete Mittel Glyphosat auf der Abschussliste. Es geht nicht darum, Milliardengeschäfte von Monsanto, Syngenta, Bayer oder BASF abzusichern. Wenn aber das Umwelt-Ass im politischen Kartenspiel pauschal sticht, weil Risiken von Techniken massentauglich überzeichnet werden, könnte das die Vernunft vergiften
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