SchuldenkriseEs geht nicht nur um Griechenland
04.09.2013 · Im Wahlkampf verkürzt sich die Euro-Krise auf die neuen Hilfen für Griechenland. Dabei kommen im Herbst weitere Krisenherde auf die Tagesordnung - und damit weitere Kosten.
Von WERNER MUSSLER, BRÜSSEL
© REUTERSWachwechsel vor dem portugiesischen Parlament: Noch ist unklar, ob das Land künftig alleine zurecht kommt
Die Aufregung über die abermalige Hilfe für Griechenland währte nur kurz. Die Kontrahenten im Bundestagswahlkampf, Angela Merkel und Peer Steinbrück, liegen offensichtlich inhaltlich viel zu nahe beieinander, um ernsthaft über die richtige Strategie in der Euro-Krisenpolitik zu streiten. Vielleicht liegt es daran, dass im Wahlkampf der Eindruck vorherrscht, abgesehen von der griechischen Malaise sei im Euroraum alles in Ordnung. Doch das Gegenteil ist der Fall. In Brüssel herrscht Einigkeit, dass spätestens nach der Bundestagswahl die Ruhe an etlichen Euro-Krisenherden vorbei sein und die Diskussion über neuen Hilfsbedarf hier und dort wieder beginnen dürfte. Ein Überblick über mögliche Konfliktherde.
Portugal:
Das internationale Kreditprogramm für Portugal von 78 Milliarden Euro läuft Mitte 2014 aus. Gegen Jahresende müssen die Kreditgeber - also die Eurogruppe und der Internationale Währungsfonds (IWF) - entscheiden, wie es dort weitergehen soll. Seit der Regierungskrise im Juli ist ungewisser denn je, ob die Regierung die Reformauflagen des Programms erfüllt und der Abbau der Staatsverschuldung nach Plan verläuft. Die Troika aus IWF, EU-Kommission und EZB hat ihre zunächst für Juli geplante Prüfmission verschoben und kehrt erst jetzt nach Lissabon zurück. Zwar ist die portugiesische Wirtschaft im zweiten Quartal überraschend stark (um 1,1 Prozent) gestiegen. Die Staatsschuld ist aber im Verlauf des Programms ebenfalls gewachsen, sodass es erhebliche Zweifel an der Schuldentragfähigkeit gibt. Dass sich der portugiesische Staat von Mitte 2014 an wieder komplett an den Kapitalmärkten finanzieren kann, gilt als ausgeschlossen.
Die Zweifel weiter genährt hat das jüngste Urteil des portugiesischen Verfassungsgerichts. Die Richter hatten in der vergangenen Woche schon zum zweiten Mal ein Sparprogramm gekippt. Wie die Sparvorgaben nun erfüllt werden können, weiß die Regierung offenbar noch nicht. Der portugiesische Vertreter hatte auf dem Treffen der Euro-Finanzstaatssekretäre am Freitag auf entsprechende Fragen seiner Kollegen keine Antwort. Die Andeutung von Ministerpräsident Pedro Passos Coelho vom Wochenende, das Land brauche möglicherweise ein zweites Hilfsprogramm, war zunächst als innenpolitische Drohung zu verstehen. Die Regierung will ihren Reformkurs fortsetzen und ein zweites Vollprogramm vermeiden. Allerdings wird das immer schwieriger. In Brüssel heißt es, nach Rückkehr der Troika werde sich wohl offenbaren, dass das Land 2014 zusätzliche Hilfe brauchen werde. Der Bedarf werde sich kaum allein dadurch decken lassen, dass die Kreditgeber noch einmal - wie schon im April - die Laufzeiten laufender Kredite verlängern und die Zinsen senken. Als wahrscheinliche Option gilt eine vorsorgliche Kreditlinie des ESM, also eine Art Vorsorgekredit.
Irland:
Das irische Programm endet zum Jahresende, sodass die Eurogruppe schon bald - wohl im Oktober - entscheiden muss, wie es weitergeht. Anders als in Portugal gilt es als möglich, dass sich Irland von 2014 an wieder am Kapitalmarkt finanzieren kann. Sicher ist das aber nicht, und deshalb ist auch für Irland eine vorsorgliche ESM-Kreditlinie im Gespräch. Prinzipiell wäre es auch möglich, dass der ESM vom Herbst 2014 an irische Banken direkt rekapitalisiert, auch wenn der Bundesfinanzminister das derzeit noch ausschließt.
Slowenien:
Im Mai haben die Ratingagenturen slowenische Staatsanleihen auf Ramschniveau herabgestuft, und die EU-Kommission hat ein Verfahren wegen eines „makroökonomischen Ungleichgewichts“ eingeleitet. Passiert ist seither wenig. Weder die kostspielige Bankensanierung noch die Konsolidierung des Staatshaushalts haben größere Fortschritte gemacht. In Brüssel heißt es, das Land werde in absehbarer Zeit ein Hilfsprogramm benötigen, um die Überschuldung abzuwenden, aber auch, weil die notwendigen Reformen offenbar nur so in Gang kämen. Zeitpunkt und Umfang sind aber noch offen.
Zypern:
Im Entwurf des ersten Troika-Berichts zum Reformfortschritt in Zypern heißt es, das Land habe die Auflagen des im März beschlossenen Hilfsprogramms im wesentlichen erfüllt. Der Auszahlung der nächsten Kredittranche von 1,5 Milliarden Euro dürfte insofern nichts im Wege stehen. In dem Bericht wird aber auch Unzufriedenheit mit dem Tempo angedeutet, mit dem die Bank of Cyprus bisher umstrukturiert wurde. Die Bank soll stark verkleinert werden und zugleich die werthaltigen Vermögensgegenstände der Laiki Bank übernehmen, die abgewickelt wurde. Erst nach Abschluss der Umstrukturierung können die immer noch bestehenden Kapitalverkehrskontrollen aufgehoben werden. Ein erhebliches Risiko für das Hilfsprogramm bleibt die scharfe Rezession in Zypern.
Spanien:
Die neben Deutschland größten Euro-Staaten Spanien, Frankreich und Italien sind nicht vergleichbar mit den klassischen „Programmländern“. Aus unterschiedlichen Gründen bleiben sie aber Risikostaaten, in denen das Bewusstsein für die nötigen Reformen unverändert unterentwickelt ist. Für Spanien, das vor einem Jahr Hilfskredite für seine Banken bekommen und nur zu einem Teil ausgeschöpft hat, bestehen derzeit zwar keine Finanzierungsprobleme, und die Eurogruppe ist auch halbwegs zufrieden mit dem dortigen Reformfortschritt. Freilich ist noch längst nicht klar, ob spanische Banken wirklich keinen zusätzlichen Kapitalbedarf mehr haben. Und größere Teile der spanischen Wirtschaft haben unverändert keine Perspektive.
Frankreich:
Das Land gilt auch in der EU-Kommission zunehmend als schwieriger bis hoffnungsloser Fall. „Das Land ist offenbar komplett reformunfähig, und niemand in Frankreich scheint fähig, das zu ändern“, heißt es in der Brüsseler Behörde. Die jüngst verkündete Rentenreform ist nicht nur hinter den Erwartungen zurückgeblieben, sondern auch hinter den EU-Reformvorgaben, die die Kommission im Mai formuliert hatte. Wenn die Regierung so weitermache, drohe die Kreditwürdigkeit des Landes weiter zu sinken, heißt es in Brüssel.
Italien:
Noch stärkere Brüsseler Sorgen weckt Italien, nicht zuletzt, weil der italienische Staat 2014 erheblichen Refinanzierungsbedarf hat. Das jüngste Manöver von Ministerpräsident Enrico Letta, der mit der Abschaffung der Grundsteuer für die erste selbstbewohnte Immobilie den vorläufigen Bestand seiner Regierung gesichert hat, wird in der EU-Hauptstadt kritisch gesehen, weil die Refinanzierung der Maßnahme komplett offen geblieben ist. Letta hatte kürzlich ein Ende des von ihm als „deutsch“ eingestuften Brüsseler „Spardiktats“ gefordert. Wenn die Regierung weiter laviere, drohe ein abermaliger Anstieg der Risikoprämien auf italienische Anleihen, wird in der Eurogruppe befürchtet.
Niemand in Brüssel weiß, welcher Konflikt wann und wie stark zu Buche schlagen wird. Deshalb lässt sich auch nicht abschätzen, wofür und in welchem Umfang der Krisenfonds ESM wieder aktiv werden muss. Dass er aber in absehbarer Zeit wieder gebraucht wird, darf als sicher gelten. Der Tenor unter EU-Diplomaten ist einhellig: Nach der Bundestagswahl wird es mit der derzeitigen Ruhe vorbei sein.
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