SteueroaseUnd ewig lockt Holland
01.09.2013 · Die Niederlande sind die neuen Bermudas: Keine Steueroase zieht mehrdeutsche Konzerne an. Und alles ganz legal.
Von GEORG MECK
Peer Steinbrück reitet wieder. Die Kavallerie werde er satteln, tönt der SPD-Kanzlerkandidat. Als letzte Waffe in einem stumpfen Wahlkampf hat die Partei den Kampf gegen Steueroasen entdeckt: Sumpf trocken legen! Schlupflöcher stopfen! Und was sonst noch an martialischer Metaphorik verballert wird. Das Geschrei ist - politisch gesehen - erst mal gefahrlos, die Verstärkung naht: Die Staats- und Regierungschefs der G-20-Staaten werden in ein paar Tagen auf ihrem Gipfel in St. Petersburg zum Feldzug gegen die Steuerparadiese blasen. Nur: Wo genau steht der Feind? Wohin soll die Kavallerie aufbrechen?
Die SPD-Strategen lassen dies wohlweislich offen, Oase klingt nach Karibik. In Wirklichkeit finden sich die schönsten Paradiese in Europa, genauer gesagt in einem Landstrich, zu dem Steinbrück, der Feldherr aus Bad Godesberg, fast mit dem Fernrohr blicken kann: Die Niederlande sind die neuen Bermudas. Die fruchtbarste Oase für deutsche Firmen, da sind sich die Experten einig, ist Holland, in den einschlägigen Handbüchern „für flexible Steuerzahler“ gefeiert dafür, wie „entgegenkommend“ ihre Steuerbehörden gegenüber ausländischen Konzernen auftreten.
Mit äußerst großzügigen Regeln, etwa bei der Besteuerung von Lizenzgewinnen und Zinsen, verstehen es die Holländer, Firmen - oder zumindest deren Briefkästen - anzuziehen. 12.000 mitarbeiterlose Finanzfirmen hat die Zentralbank registriert, Tausende Offshore-Unternehmen, deren „einziger Zweck es ist, die Steuerlast zu drücken“, wie Gerhard Schick, Finanzpolitiker der Grünen, moniert.
Holland hat den sicheren Hafen für Europas Konzerne errichtet
Holland hat den sicheren Hafen errichtet, von dem aus Europas Konzerne ihre Gewinne in Sicherheit bringen können. „Nahezu alle Zahlungsflüsse ins nichteuropäische Ausland erfolgen über Konzerneinheiten in den Niederlanden“, haben Ökonomen der Universität Nürnberg-Erlangen herausgefunden. Die Forscher um Professor Thiess Büttner haben aus Statistiken der Deutschen Bundesbank herausgefiltert, wo deutsche Konzerne Tochtergesellschaften aus vorrangig steuerlichen Motiven gründen. Wegen der Coffee-Shops bewegt sich kein Konzernchef nach Amsterdam, der Küche zuliebe vermutlich auch nicht. Und als Abnehmer spielen die nicht mal 17 Millionen Holländer eine überschaubare Rolle für Global Player aus Germany. Trotzdem liegen die Niederlande in diesem Ranking der Steueroasen unangefochten auf Platz eins; die Schweiz haben sie überrundet, Inseln in der Karibik erscheinen nur unter ferner liefen.
Die Zahl der Tochtergesellschaften deutscher Konzerne in den Niederlanden hat sich binnen zwölf Jahren mehr als versechsfacht. Damit liegt der Staat weit vorne im Wettbewerb, wer die meisten Unternehmer anwirbt, und sei es mit Steuergeschenken. „Holland ist ein Vorreiter, andere Staaten ziehen nach: Luxemburg, Belgien, Großbritannien“, bestätigt Professor Christoph Spengel vom ZEW in Mannheim.
© F.A.Z.Die Niederlande, die Schweiz und Polen als beliebteste Steueroasen deutscher Konzerne
Angefangen hat der Zuzug in den 80er Jahren, als Konzernchefs dort ihre Finanzierungsgesellschaften ansiedelten, was jedem Privatanleger auffällt, wenn er einem Dax-Konzern Geld borgt: Der Schuldner, der die Anleihe eines Tages zurückzahlen soll, sitzt nicht in Stuttgart oder Frankfurt, er heißt auch nicht Daimler oder Deutsche Bank. Nein, dahinter steht für gewöhnlich eine Institution, die ein „Finance B.V.“ oder „International Finance B.V.“ im Namen führt. Das Kürzel B.V. steht für „Besloten vennootschap“ und entspricht der deutschen GmbH, also einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung. Ob nun RWE oder Eon, BMW oder Daimler, ja sogar vom Staat als Großaktionär kontrollierte Betriebe wie die Deutsche Telekom begeben ihre Anleihen mit Tochterfirmen in Holland.
Der Grund dafür ist so simpel, dass es sich fast verbietet, ihn aufzuschreiben: Die Konzerne sparen Steuern, wenn sie die Finanzströme umleiten. Braucht ein Unternehmen in Deutschland Kapital und leiht es sich von der Tochterfirma in Holland, muss es dafür Zinsen zahlen. Diese sind Kosten, schmälern so den Gewinn in der Heimat - und damit die Steuer darauf. Die in Holland anfallenden Zinserträge dagegen rutschen ziemlich unberührt durch die Bilanz. Der niederländische Staat will es so.
Wohlgemerkt: Nicht von Steuerhinterziehung ist hier die Rede, sondern von Steueroptimierung, „aggressiver Steuergestaltung“, wie die Fachleute sagen. Dies ist, auch das gilt es zu betonen, völlig legal. Zum öffentlichen Thema wurde das Phänomen, als sich herumgesprochen hat, wie extensiv gerade die Giganten des Internetzeitalters, Firmen wie Apple oder Google, diese Tricks nutzen. Amazon hat zuletzt so gut wie keine Steuern in Deutschland bezahlt, Starbucks keinen einzigen Cent.
„Double-Irish-Dutch-Sandwich“
Da diese multinationalen Konzerne keine Mehlsäcke oder Motoren um den Globus schieben, sondern Patente und Markenrechte, ist schwierig zu entscheiden, wo der Wert entsteht, in welchem Land der Gewinn vom Fiskus abzuschöpfen ist. Dies fordert den Erfindungsgeist der Steuerabteilungen heraus, die Holländer sind gerne behilflich.
Legendär sind Konstrukte wie das „Double-Irish-Dutch-Sandwich“: Patent-Holdings und Briefkastenfirmen in den Niederlanden bewirken, dass „Gewinne, die in Europa erwirtschaftet werden, den Kontinent verlassen, ohne dass darauf ein Cent Steuern erhoben wird“, erläutert ZEW-Forscher Christoph Spengel. Sogar innerhalb Europas läuft dieses Spiel prima, für das sich der Fachbegriff „Patent-Box“ eingebürgert hat: Überträgt ein Konzern sein intellektuelles Eigentum an eine Firma mit Sitz in Holland, bleiben deren Einnahmen daraus vom Finanzamt so gut wie unbehelligt. Die Mutter in Deutschland zahlt fortan für die Nutzung der Rechte, das mindert zu Hause den Gewinn, die entsprechenden Erträge in Holland fallen durch den Rost: „Die Steuern bewegen sich oft nur im einstelligen Prozentbereich“, sagt Christoph Spengel.
© F.A.Z.Double Irish Dutch Sandwich
Die Masche ist so lukrativ, dass sie in Scharen prominente Marken und deren Rechteinhaber anzieht, inklusive der Stars aus dem Showbusiness. Sangesbarde Elton John, obwohl von der Queen zum Ritter geschlagen, spart in Holland Steuern (während die britische Regierung daheim gegen Steueroasen polemisiert), ebenso treibt es Bono, Sänger von U2 und für das Gute in der Welt zuständig.
Wie viele Einnahmen den Heimatländern so verloren geht, ist seriös kaum zu schätzen. Die entsprechenden Zahlen, die gehandelt werden, variieren, je nach damit verbundener politischer Botschaft. Wer am liebsten die Steuersätze, wie alles in Europa, harmonisieren will, hantiert naturgemäß mit höheren Beträgen. Ebenso Parteien wie SPD und Grüne, welche höhere Steuern generell als Ziel der Volksbeglückung ausgegeben haben.
Im Namen von Solidarität und darbenden Staatsfinanzen würden sie den Steuerwettbewerb innerhalb Europas am liebsten ausmerzen. Schließlich diszipliniert dieser den spendierfreudigen Staat: Solange dem Bürger oder dem Unternehmer die Notwehr bleibt, in ein günstigeres Land zu wechseln, muss er sich nicht jedes Schröpfen bieten lassen.
Wann aber wird der Steuerwettbewerb anrüchig? Oder gar volkswirtschaftlich schädlich, wenn Staaten um die Ansiedlung von Firmen konkurrieren? Subventionen werden von Ökonomen verdammt, wie aber steht es um Steuergeschenke? Hier wird's unscharf. Wenn ein Staat es so wie Holland anstellt, indem er nicht generell die Steuern für Unternehmen senkt, sondern einzelne Sektoren - im konkreten Beispiel solche mit Lizenzeinnahmen - bevorzugt, sind die steuerlichen Anreize „nichts anderes als eine Beihilfe“, urteilt Christoph Spengel. Der Bäcker um die Ecke wird diskriminiert, wie alle Holländer, die keine Patente zu verwerten haben. So sieht es auch die Kölner Steuerprofessorin Johanna Hey, die deshalb die EU-Kommission zum Ausritt auffordert: „Brüssel soll einschreiten. Die geschenkten Steuern sind nichts anderes als eine Subvention. Und die ist verboten.“
Im Extremfall müsste der holländische Staat dann die ersparte Steuer von den Unternehmen zurückfordern. Aber wie wahrscheinlich ist das? Warum sollte sich Brüssel mit den Holländern, noch dazu Nettozahlern, anlegen? Von sich aus werden die Niederlande kaum einknicken.
Der internationale Druck aber ist inzwischen zumindest so groß, dass die Regierung in Verträgen mit zwei Dutzend Schwellenländern Klauseln gegen den „Missbrauch des Steuerrechts“ einbauen will - mit der Begründung, dass dadurch ärmeren Ländern Steuereinnahmen entgehen, „die diese dringend für Infrastruktur und Bildung benötigen“.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen