BerlinSigmar Gabriel kann mitreißen, er kann poltern, er kann taktieren, er kann unterhalten, aber auch nachdenklich sein – und er kann verwundern. Wie bei seinem jüngsten Steuer-Zickzackkurs. Da rückt der SPD-Chef am Sonntag von den Steuererhöhungsplänen seiner Partei ab, um am Montagnicht mehr ganz so sicher zu sein. Und am Abend? Da ist er zu Gast beim Handelsblatt Deutschland Dinner in Berlin und sagt: „Natürlich bleibt es bei den Steuererhöhungen.“
Gabriel sagt es unter Zeugen: Rund 400 geladene Gäste des Handelsblatts begrüßen den SPD-Parteivorsitzenden im großen Ballsaal des Ritz Carlton am Potsdamer Platz. Zwischen der Vorspeise – Räucherlachs „Farci“ – und dem Hauptgang – Rinderfilet mit Pfifferlingen, Lauch und Kartoffeln – stellt sich der 53-Jährige den Fragen von Handelsblatt-Herausgeber Gabor Steingart.
An diesem Abend darf Gabriel alle Facetten zeigen. Es beginnt: der Nachdenkliche. Es geht um Wahlgeschenke. Ihn ärgert es, wenn Politiker Versprechen machen, von denen sie schon vorher wissen, dass sie nicht einzuhalten sind. „Sie werden also der ehrlichste Wahlverlierer aller Zeiten?“, will Steingart von ihm wissen. „Wenn die Politik zynisch mit denBürgern umgeht, dann antworten sie auch zynisch“, sagt Gabriel. Sprich: Sie gehen nicht zur Wahl. Was für die SPD tragisch wäre. Die Rechnung, die im Willy-Brandt-Haus aufgestellt wurde, geht nämlich so: „75 Prozent Wahlbeteiligung und Peer Steinbrück ist Kanzler, 70 Prozent Wahlbeteiligung und Angela Merkel bleibt Regierungschefin.“
Überhaupt wird viel gerechnet beim temporeichen Gespräch von Steingart und Gabriel. Das SPD-Wahlprogramm sieht für ein Einkommen ab 100.000 Euro eine Erhöhung des Spitzensteuersatzes auf 49 Prozent vor. Auch an der stärkeren Besteuerung von Vermögens- und Kapitaleinkommen will Gabriel festhalten. Warum nur, will Steingart wissen: „Deutschland ist ein reiches Land, die Steuereinnahmen sprudeln, ist das wirklich nötig?“ Schulden müssten abgebaut werden, kontert Gabriel. Zudem müssten 60 Milliarden Euro jährlich in die Infrastruktur gesteckt werden, 20 Milliarden Euro in die Bildung, dazu kämen Gelder, um die Probleme in den Griff zu bekommen, die der demographische Wandel mit sich bringt. „Und das bei einem Gesamthaushalt von 300 Milliarden Euro“, sagt der SPD-Chef. Es schwingt mit: Wie soll das gehen? „In der Steuerpolitik hilft es, an die Grundrechenarten zu denken.“ Gabriel, der Polterer.
Aber, so bemängelt Steingart, es wäre doch zunächst die Pflicht, auf die Ausgaben zu schauen, Stichwort Bürokratieabbau. „Wo sollen wir denn sparen, bei Lehrern, Polizisten, Uni-Mitarbeitern?“, erwidert der SPD-Chef. „Dann nennen Sie doch mal Beispiele, wo Sie sparen wollen?“, hakt Steingart nach. „Ein gesetzlicher Mindestlohn spart uns Lohnsubventionen“, sagt Gabriel. Außerdem will er ran an die Steuervorteile für Dienstwagen, das Betreuungsgeld und die Steuerschlupflöcher, die Unternehmen wie Google erfolgreich nutzen. „Wenn Sie feststellen, dass der Kampf gegen Steuerdumping und Steuerhinterziehung erfolgreich ist, dann werden Sie vielleicht einen Teil der Steuersätze senken können“, sagt er auf der Bühne. 160 Milliarden Euro gingen dem Staat dadurch verloren. „Und wenn wirSteuern erheben, wollen wir sie auch einnehmen.“ Gabriel, der Taktierer. Es gelingt ihm immerhin, dass an den Tischen im großen Ballsaal wieder über Steuersünder, den Fall Hoeneß und Steuer-CDs geredet wird. Ein Thema, mit dem die SPD im Wahlkampf noch punkten kann?
- Seite 1: „Es bleibt bei Steuererhöhungen“
- Seite 2: „Die Energiewende ist verkorkst“
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen