Der nächste Euro-Staat: Wie sich Lettland zur Steueroase macht
Der Euro-Raum ist bald um ein Steuerparadies reicher: Sein nächstes Mitglied Lettland bietet Bedingungen, die den zyprischen verdächtig ähnlich sehen. Manch reicher Russe informiert sich schon, wie man Geld aus Zypern nach Riga schafft.
REUTERS
Die Rietumu Bank liegt nicht im besten Viertel von Riga. Staubige Straßen, ein Grafitto ("Wenn Jesus zurückkommt, töten wir ihn gleich nochmal"), daneben Lettlands größtes Fußballstadion, ein nach einer Seite hin offener Acker. Über dieser Szenerie, im obersten Stock des Rietumu Capital Centre, thront Bankvorstand Ilya Suharenko auf einer Ledercouch und bewirbt die reichhaltigen Optionen zur Steueroptimierung am aufstrebenden Finanzplatz Lettland.
Dank neuer Gesetze sei der baltische Staat "auf Augenhöhe mit Irland, Malta und Zypern", sagt der 30-Jährige. Nun der Beitritt zum Euro-Raum. "Ein Gütesiegel für den Finanzplatz Lettland", schwärmt Suharenko. "Der Euro kommt, das Kapital wird folgen."Was Suharenko freut, macht Beobachtern Kopfschmerzen. Denn das kleine Land im Nordosten Europas wird nicht nur, wie am Dienstag von den EU-Finanzministern besiegelt, zum 1. Januar 2014 den Euroeinführen. Es wird zum selben Zeitpunkt auch eine mehrstufige Gesetzesreform abgeschlossen haben, die nur ein Ziel hat: Lettland zum nächsten Steuerparadies der Euro-Zone zu machen.
Der Zusammenfall dieser beiden Ereignisse zeigt auf besonders frappierende Weise, wie weit Rhetorik und Realität in der EU auseinanderklaffen. Seit den Enthüllungen über 2,5 Millionen Dokumente aus Steueroasen und die Steuersparmodelle internationaler Großkonzerne hat die EU-Kommission Fiskustricksern den Kampf erklärt. Theoretisch. Praktisch geschieht genau das Gegenteil: "Statt die etablierten Steueroasen auszutrocknen, erweitern wir die Euro-Zone um eine neue", moniert Sven Giegold, Finanzexperte der Grünen im Europäischen Parlament.
"Luxemburg für Arme"
Lettlands Unternehmenssteuersatz liegt mit 15 Prozent inzwischen deutlich unter dem EU-Durchschnitt (23,5 Prozent). In der Euro-Zone haben nur Irland (12,5 Prozent) und Zypern (10 Prozent) niedrigere Sätze. Doch die aufgeblähten Bankensektoren in diesen Ländern sind kollabiert, Dublin und Nikosia inzwischen unter den Euro-Rettungsschirm.
Sogenannte Holdings - also Firmen, die Aktien anderer Firmen halten - genießen in Lettland noch weitere Vorzüge. Seit Anfang 2013 sind ihre ausländischen Gewinne aus Dividenden und Aktienverkäufen steuerfrei, die Weiterleitung dieser Gewinne in andere Länder ist es ebenfalls. Ab 2014 fallen zusätzlich keine Steuern mehr für Zinsen und Lizenzgebühren an, die lettische Holdings ausländischen Firmen zahlen.
Durch dieses Konstrukt können Ausländer ihr Geld nicht nur zu niedrigen Steuern in Lettland parken; sie können das Land auch als Brückenkopf nutzen, um Geld aus Europa fast kostenlos in Steueroasen wie die Cayman Islands zu schleusen. Mit weniger Beschränkungen und zu geringeren Gebühren als in anderen Steueroasen wie Malta, Irland, Zypern oder den Niederlanden.
Markus Meinzer, Analyst beim Tax Justice Network, nennt Lettland schon ein "Luxemburg für Arme". Einen Standort, der viele Möglichkeiten der legalen Steuervermeidung biete - und in einigen Fällen wohl auch etwas mehr.
Geklautes Kreml-Geld bei lettischer Bank
Formell hat Lettland seine Gesetze für Geldwäsche verbessert. Doch es gebe noch immer Lücken, heißt es in einer Einschätzung von Moneyval, dem Expertenausschuss des Europarats für Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung. Die Einhaltung der Vorgaben werde nicht durchgehend kontrolliert.
Entsprechend taucht immer wieder Geld aus unseriösen Quellen auf. Im April 2012 stellte der Uno-Sicherheitsrat fest, die Parex-Bank (später in Reverta umbenannt) habe Offizieren der Elfenbeinküste geholfen,internationale Sanktionen zu umgehen; das Institut kommentierte die Vorwürfe nicht. Mitte Juni 2013 wurde eine weitere lettische Bank zu einer 191.000-Euro-Strafe verurteilt, weil sie dabei geholfen haben soll, Hunderte Millionen von Dollar zu waschen, die angeblich der russischen Regierung geklaut worden waren.
Der Finanzplatz Lettland ist vor allem für Kunden aus Russland und Ex-Sowjet-Staaten attraktiv. Viele Privat- und Geschäftsleute aus diesen Ländern versuchen, ihr Geld vor der kleptokratischen Elite im eigenen Land in Sicherheit zu bringen. Andere haben dunklere Motive. So oder so ist Lettland für Ex-Sowjet-Kunden ein attraktiver Standort.
"Besser als Zypern"
In Riga ist jeder zweite Russe, täglich starten sieben Maschinen nach Moskau. Auch jenseits der Hauptstadt versteht fast jeder Lette die russische Sprache und Mentalität. "Seit den frühen neunziger Jahren hat Lettland seinen Status als regionales Bankenzentrum für den Ex-Sowjet-Raum kontinuierlich ausgebaut", sagt Tatjana Lutinska von Prime Consulting, einer Kanzlei, die im Hauptquartier Rietumu-Bank in Riga die Holdings ausländischer Kunden verwaltet.
Dank gelockerter Steuergesetze und dem Euro wachse nun das Interesse der Kunden, sagt Lutinska. "Wir erhalten Hunderte Anfragen aus Russland, Weißrussland, Kasachstan und der Ukraine. Viele wollen Geld aus Zypern nach Lettland verschieben. Wir sind jetzt besser als Zypern."
Auch andere versuchen, von der Zypern-Angst zu profitieren. Die Privacy Management Group, eine Offshore-Agentur mit Sitz auf Zypern, bot Kunden Ende März Sonderkonditionen für die Neueröffnung eines Kontos auf Lettland an. Zur selben Zeit durchlitt Zypern eine gravierende Bankenkrise. Die Regierung verordnete den Instituten eine zwölftägige Zwangspause, um zu verhindern, dass Anleger aus Angst vor der Staatspleite massenhaft Geld ins Ausland verschieben.
Widersprüchliche EU-Politik
Ein ähnliches Horrorszenario droht in Lettland derzeit nicht. Das Volumen des lettischen Finanzsektors entsprach Ende des vergangenen Jahres rund 128 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung. Im EU-Durchschnitt sind es 359 Prozent.
Doch der Finanzsektor könnte sich dank Euro und neuen Steuergesetzen bald aufblähen. "Lettlands Anteil an den Gebühren aller Offshore-Standorte ist schon in den vergangenen Jahren stark gestiegen", sagt Meinzer vom Tax Justice Network. "Dieser Trend dürfte sich fortsetzen." Rietumu-Vorstand Suharenko hofft, dass in den kommenden drei Jahren "mindestens zehn Prozent des zyprischen Kapitals nach Lettland wandert".
Die EU dagegen prognostiziert in ihrem Konvergenz-Bericht zum lettischen Euro-Beitritt, das Finanzsystem sei stabil. Auch Lettlands Premierminister beschwichtigt. "Unser neues Gesetz steht nicht im Konflikt mit den Stabilitätskriterien der EU", sagte Valdis Dombrovskis kürzlich im Interview mit SPIEGEL ONLINE.
Tatsächlich sehen die Stabilitätskriterien keine genaue Analyse darüber vor, wie riskant Lettlands Steuermodelle sind - trotz der schlechten Erfahrungen in Zypern. "Es ist ein Fehler, dass die Euro-Mitglieder nur auf Inflation und Staatsfinanzen schauen, wenn neue Länder in die Währungsunion aufgenommen werden", sagt der Grünen-Politiker Giegold.
Er fordert, die Gesetze anzupassen. Doch das scheint wenig realistisch. Solange Länder wie EU-Gründungsmitglied Luxemburg den eigenen Finanzplatz verteidigen, werden neue Steuerparadiese problemlos den Euro bekommen - und die ohnehin krisengeschüttelte Währung neuen Gefahren aussetzen.
http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/lettland-wird-zur-steueroase-fuer-russen-a-908708.html
Der Zusammenfall dieser beiden Ereignisse zeigt auf besonders frappierende Weise, wie weit Rhetorik und Realität in der EU auseinanderklaffen. Seit den Enthüllungen über 2,5 Millionen Dokumente aus Steueroasen und die Steuersparmodelle internationaler Großkonzerne hat die EU-Kommission Fiskustricksern den Kampf erklärt. Theoretisch. Praktisch geschieht genau das Gegenteil: "Statt die etablierten Steueroasen auszutrocknen, erweitern wir die Euro-Zone um eine neue", moniert Sven Giegold, Finanzexperte der Grünen im Europäischen Parlament.
"Luxemburg für Arme"
Lettlands Unternehmenssteuersatz liegt mit 15 Prozent inzwischen deutlich unter dem EU-Durchschnitt (23,5 Prozent). In der Euro-Zone haben nur Irland (12,5 Prozent) und Zypern (10 Prozent) niedrigere Sätze. Doch die aufgeblähten Bankensektoren in diesen Ländern sind kollabiert, Dublin und Nikosia inzwischen unter den Euro-Rettungsschirm.
Sogenannte Holdings - also Firmen, die Aktien anderer Firmen halten - genießen in Lettland noch weitere Vorzüge. Seit Anfang 2013 sind ihre ausländischen Gewinne aus Dividenden und Aktienverkäufen steuerfrei, die Weiterleitung dieser Gewinne in andere Länder ist es ebenfalls. Ab 2014 fallen zusätzlich keine Steuern mehr für Zinsen und Lizenzgebühren an, die lettische Holdings ausländischen Firmen zahlen.
Durch dieses Konstrukt können Ausländer ihr Geld nicht nur zu niedrigen Steuern in Lettland parken; sie können das Land auch als Brückenkopf nutzen, um Geld aus Europa fast kostenlos in Steueroasen wie die Cayman Islands zu schleusen. Mit weniger Beschränkungen und zu geringeren Gebühren als in anderen Steueroasen wie Malta, Irland, Zypern oder den Niederlanden.
Markus Meinzer, Analyst beim Tax Justice Network, nennt Lettland schon ein "Luxemburg für Arme". Einen Standort, der viele Möglichkeiten der legalen Steuervermeidung biete - und in einigen Fällen wohl auch etwas mehr.
Geklautes Kreml-Geld bei lettischer Bank
Formell hat Lettland seine Gesetze für Geldwäsche verbessert. Doch es gebe noch immer Lücken, heißt es in einer Einschätzung von Moneyval, dem Expertenausschuss des Europarats für Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung. Die Einhaltung der Vorgaben werde nicht durchgehend kontrolliert.
Entsprechend taucht immer wieder Geld aus unseriösen Quellen auf. Im April 2012 stellte der Uno-Sicherheitsrat fest, die Parex-Bank (später in Reverta umbenannt) habe Offizieren der Elfenbeinküste geholfen,internationale Sanktionen zu umgehen; das Institut kommentierte die Vorwürfe nicht. Mitte Juni 2013 wurde eine weitere lettische Bank zu einer 191.000-Euro-Strafe verurteilt, weil sie dabei geholfen haben soll, Hunderte Millionen von Dollar zu waschen, die angeblich der russischen Regierung geklaut worden waren.
Der Finanzplatz Lettland ist vor allem für Kunden aus Russland und Ex-Sowjet-Staaten attraktiv. Viele Privat- und Geschäftsleute aus diesen Ländern versuchen, ihr Geld vor der kleptokratischen Elite im eigenen Land in Sicherheit zu bringen. Andere haben dunklere Motive. So oder so ist Lettland für Ex-Sowjet-Kunden ein attraktiver Standort.
"Besser als Zypern"
In Riga ist jeder zweite Russe, täglich starten sieben Maschinen nach Moskau. Auch jenseits der Hauptstadt versteht fast jeder Lette die russische Sprache und Mentalität. "Seit den frühen neunziger Jahren hat Lettland seinen Status als regionales Bankenzentrum für den Ex-Sowjet-Raum kontinuierlich ausgebaut", sagt Tatjana Lutinska von Prime Consulting, einer Kanzlei, die im Hauptquartier Rietumu-Bank in Riga die Holdings ausländischer Kunden verwaltet.
Dank gelockerter Steuergesetze und dem Euro wachse nun das Interesse der Kunden, sagt Lutinska. "Wir erhalten Hunderte Anfragen aus Russland, Weißrussland, Kasachstan und der Ukraine. Viele wollen Geld aus Zypern nach Lettland verschieben. Wir sind jetzt besser als Zypern."
Auch andere versuchen, von der Zypern-Angst zu profitieren. Die Privacy Management Group, eine Offshore-Agentur mit Sitz auf Zypern, bot Kunden Ende März Sonderkonditionen für die Neueröffnung eines Kontos auf Lettland an. Zur selben Zeit durchlitt Zypern eine gravierende Bankenkrise. Die Regierung verordnete den Instituten eine zwölftägige Zwangspause, um zu verhindern, dass Anleger aus Angst vor der Staatspleite massenhaft Geld ins Ausland verschieben.
Widersprüchliche EU-Politik
Ein ähnliches Horrorszenario droht in Lettland derzeit nicht. Das Volumen des lettischen Finanzsektors entsprach Ende des vergangenen Jahres rund 128 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung. Im EU-Durchschnitt sind es 359 Prozent.
Doch der Finanzsektor könnte sich dank Euro und neuen Steuergesetzen bald aufblähen. "Lettlands Anteil an den Gebühren aller Offshore-Standorte ist schon in den vergangenen Jahren stark gestiegen", sagt Meinzer vom Tax Justice Network. "Dieser Trend dürfte sich fortsetzen." Rietumu-Vorstand Suharenko hofft, dass in den kommenden drei Jahren "mindestens zehn Prozent des zyprischen Kapitals nach Lettland wandert".
Die EU dagegen prognostiziert in ihrem Konvergenz-Bericht zum lettischen Euro-Beitritt, das Finanzsystem sei stabil. Auch Lettlands Premierminister beschwichtigt. "Unser neues Gesetz steht nicht im Konflikt mit den Stabilitätskriterien der EU", sagte Valdis Dombrovskis kürzlich im Interview mit SPIEGEL ONLINE.
Tatsächlich sehen die Stabilitätskriterien keine genaue Analyse darüber vor, wie riskant Lettlands Steuermodelle sind - trotz der schlechten Erfahrungen in Zypern. "Es ist ein Fehler, dass die Euro-Mitglieder nur auf Inflation und Staatsfinanzen schauen, wenn neue Länder in die Währungsunion aufgenommen werden", sagt der Grünen-Politiker Giegold.
Er fordert, die Gesetze anzupassen. Doch das scheint wenig realistisch. Solange Länder wie EU-Gründungsmitglied Luxemburg den eigenen Finanzplatz verteidigen, werden neue Steuerparadiese problemlos den Euro bekommen - und die ohnehin krisengeschüttelte Währung neuen Gefahren aussetzen.
http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/lettland-wird-zur-steueroase-fuer-russen-a-908708.html
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