GriechenlandWochen des Stillstands in Athen
30.04.2013 · „Das ist ein Land, in dem keine Rechnung bezahlt wird, niemand Kredit bekommt und keiner investiert“, heißt es über das krisengebeutelte Griechenland. Bewegung gibt es zwar. Aber nur hinter der Fassade.
Von TOBIAS PILLER, ROM
© DPADie Wirtschaftsdaten waren zuletzt positiv. Auch wenn die Bevölkerung noch Zweifel hat, geht es in Griechenland langsam wieder bergauf.
Die Griechen erleben Wochen des Stillstands. Ein Jahr nach dem Höhepunkt der Krise - mit der Debatte über ein Ausscheiden Griechenlands aus der Währungsunion, dem Streit der Griechen über das Sanierungsprogramm, zwei Parlamentswahlen innerhalb von sechs Wochen - fehlt dem Griechen auf der Straße immer noch die Zukunftsperspektive. „Das ist ein Land, in dem keine Rechnung bezahlt wird, in dem niemand Kredit bekommt und in dem keiner investiert“, sagt ein junger Agenturreporter.
Doch hinter der statischen Fassade hat sich einiges bewegt. Paul Mylonas, Chefökonom des größten Kreditinstituts des Landes, National Bank of Greece, war vor einem Jahr derjenige Gesprächspartner, der am meisten Optimismus zu verbreiten versuchte, mit Verweisen auf die verborgene Substanz der griechischen Wirtschaft und auf die Wachstumskräfte, die entfesselt werden könnten. Nun wirkt Mylonas so besorgt wie kein anderer in einer langen Reihe von Gesprächspartnern. Denn die seit Monaten verhandelte und scheinbar perfektionierte Fusion seines Instituts mit der kleineren Eurobank wurde von der griechischen Zentralbank und der „Troika“ gerade verboten. Nun muss jede der beiden Banken für sich private Investoren suchen, um nicht in wenigen Wochen in öffentlichem Besitz zu enden.
„Das ist die Wende für die griechische Wirtschaft.“
Ganz anders sieht die Lage derjenige griechische Ökonom, der noch vor einem Jahr der größte Pessimist war und mit der strengen Konsequenz seiner kritischen Beschreibung von Griechenlands Problemen in seinem Urteil weitaus härter klang als etwa die Deutsche Bundesbank. Von dieser anerkannten Quelle kommen nun vor allem positive Bewertungen: Das Haushaltsdefizit Griechenlands sei innerhalb von nur drei Jahren um neun Prozent des Bruttoinlandsprodukts geschrumpft.
Vor diesem Hintergrund hat dann der Wirtschaftsberater des Ministerpräsidenten, John Mourmouras, leichteres Spiel, die Sanierungserfolge der griechischen Regierung hervorzuheben. „Es gibt jede Menge gute Anzeichen“, sagt der Wirtschaftsprofessor mit Büro in Rufweite des Ministerpräsidenten in der Maximou Mansion, dem Amtssitz hinter dem Parlament. Die Daten des ersten Quartals nimmt Mourmouras als Bestätigung dafür, dass dieses Jahr der Haushaltssaldo ohne Berücksichtigung von Zinskosten positiv ausfallen werde.
Dieser Wert, der Primärsaldo, war jahrelang Ausdruck der Verantwortungslosigkeit der griechischen Haushaltspolitik gewesen. Die Tabellen zeigen, dass Griechenland von 2003 an ein wachsendes Primärdefizit hatte und daher sogar alle Zinsen der alten Schulden mit neuen Schulden finanzierte. 2009 erreichte das Primärdefizit einen Rekordwert von 10,6 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Sanierungsziel für Griechenland ist dagegen ein größerer Überschuss. Allein der Umstand, dass nach einem Jahrzehnt des verantwortungslosen Wirtschaftens wieder eine Null oder ein winziger Überschuss beim Primärsaldo sichtbar wird, stimmt den Wirtschaftsberater des Ministerpräsidenten enthusiastisch: „Das ist die Wende für die griechische Wirtschaft.“
Zuversicht der Konsumenten hat sich gebessert
Daneben gebe es noch weitere gute Nachrichten: Auch für das zweite Katastrophendefizit der griechischen Wirtschaft, die Leistungsbilanz, scheint Besserung in Sicht. Als die Griechen noch fröhlich auf Pump lebten und mit ihrem Kaufrausch die Einfuhren aufblähten, ergab sich selbst nach Verrechnung der Einnahmen aus dem Tourismus noch ein dicker Fehlbetrag in den Geschäften mit dem Ausland. 2009 lag das Defizit der Leistungsbilanz bei 10,8 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Nun hat die Rezession Griechenlands Import zusammenschnurren lassen.
Doch daneben entdecken Mourmouras und andere Ökonomen nun ein kleines Pflänzchen, das hoffnungsvoll stimmt: Der Export sei schon 2012 deutlich gestiegen, so sehr wie in keinem anderen Land der Währungsunion. Diese Entwicklung, die auf kleinen absoluten Zahlen fußt, könne noch weitergehen. Denn die Liberalisierung des Arbeitsmarktes und die dramatischen Lohn- und Gehaltskürzungen bedeuteten nun eine Senkung der Lohnstückkosten um 15 Prozent. Auch der Tourismus werde von den neuen Konditionen auf dem Arbeitsmarkt profitieren und 2013 voraussichtlich ein Rekordjahr erleben.
Die Griechen insgesamt sind dennoch - oder gerade deswegen - eher in Moll gestimmt. Aber die Daten, mit denen die Zuversicht der Konsumenten gemessen wird, haben sich gegenüber den Tiefen der Krisenjahre etwas gebessert. Es gibt nicht mehr das Gefühl, dass Griechenland am Rande des Abgrunds balancieren muss.
Eingefahrene Bahnen werden nur ungern verlassen
Dementsprechend ist auch das Klima entspannter, als in Athen bei einer Konferenz der britischen Wochenzeitschrift „Economist“ ein Redner auftritt, der noch im letzten Jahr von den Demonstranten als Zielscheibe für vielerlei Schmähungen benutzt wurde: Horst Reichenbach, der aus Deutschland kommende Chef der Arbeitsgruppe für die Griechenland-Rettung der Europäischen Kommission, damit auch einer der Repräsentanten der in Griechenland verhassten „Troika“ aus Europäischer Kommission, Internationalem Währungsfonds und Europäischer Zentralbank.
Die Rede von Reichenbach zur Lage Griechenlands wird aufmerksam und mit höflicher Distanz verfolgt, aber nicht mehr in der gereizten Stimmung des Frühjahrs 2012. Reichenbach seinerseits verpackt seine Zweifel diplomatisch in optimistische Bekräftigungen: Er sei zuversichtlich, dass Griechenland in Kürze seine neuen Steuergesetze verabschieden werde, die neuen Verfahren für die Vergabe öffentlicher Aufträge einführen könne, das Kataster für den Grundbesitz vervollständigen werde, die Bürokratie für exportierende Unternehmer reduzieren wolle und innerhalb von Wochen, nicht Monaten seine Banken mit frischem Kapital ausstatten werde.
Mit wenigen Sätzen, die nicht wie harsche Kritik, sondern wie Ermunterung und Mahnung klingen, hat Reichenbach damit umrissen, wie viel sich in Griechenland noch ändern muss. Die Konferenz legt auch offen, wie schwer es ist, eingefahrene Bahnen zu verlassen. Das gilt sogar für den Hafen von Piräus, der bei der gleichen Konferenz über die Lage in Griechenland als leuchtendes Vorbild für positive Veränderungen dienen sollte.
Strikte Beachtung von Zielen und Zeitplänen
Denn der chinesische Hafenbetreiber und Reedereikonzern Cosco hat dort einen Kai gemietet und sorgt dort mit 2000 Mitarbeitern für schnell wachsende Umschläge. Dennoch bleibt Skepsis. Denn bei Cosco können die Schauerleute längst nicht mehr so viel verdienen wie früher die wenigen Privilegierten, die als staatliche Angestellte des öffentlichen Hafenunternehmens arbeiteten. So kommt es, dass griechische Politiker von der Europäischen Kommission eine kritische Überprüfung der Vertragskonditionen für die Chinesen verlangen.
Die vielbeschworene Privatisierung erweist sich ohnehin nicht als Selbstläufer. Der Präsident der staatlichen Privatisierungsagentur wurde zum zweiten Mal in einem Jahr ausgewechselt. In dieser Situation zeige sich, wie wichtig das Memorandum sei, mit dem die Troika den Griechen bis in allen Details die Reformschritte vorgebe, sagt später Gikas Hardouvelis, Chefökonom von Eurobank und Wirtschaftsberater des früheren Ministerpräsidenten Lukas Papademos. Obwohl das Wort „Memorandum“ in Griechenland vor einem Jahr gewirkt habe wie ein rotes Tuch, sei es nun durchaus nützlich.
Denn jeder Minister finde damit die konkrete Aufgabenliste vor, die er noch abarbeiten müsse. Natürlich sei die Tagesarbeit der Regierung so sehr mit den vielen Reformdetails ausgefüllt, dass kaum über den Tag hinausgedacht werden könne oder gar Zeit für Zukunftsvisionen bleibe. Griechenlands Notenbankgouverneur Georgios Provopoulos findet daher für die Lage eine positive Zusammenfassung, vermeidet aber trotzdem jeglichen Enthusiasmus: „Mehr Optimismus ist gerechtfertigt, vorausgesetzt, dass die Sanierungs- und Reformanstrengungen weitergehen, mit strikter Beachtung der Ziele und des Zeitplans.“
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