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Sonntag, 28. April 2013

Rund zwei Drittel der Forderungen beziehen sich demnach auf Schäden, die dem Land bei der Besetzung durch die Nazis entstanden sein sollen, ein Drittel auf einen Zwangskredit, den die griechische Nationalbank der Wehrmacht 1942 gewähren musste

Rund zwei Drittel der Forderungen beziehen sich demnach auf Schäden, die dem Land bei der Besetzung durch die Nazis entstanden sein sollen, ein Drittel auf einen Zwangskredit, den die griechische Nationalbank der Wehrmacht 1942 gewähren musste

25.04.13

Nazi-Zeit

Athen dringt auf Kriegsreparationen aus Berlin

Der griechische Außenminister verfolgt unbeirrt die Forderung nach Kriegsreparationen gegen Deutschland. Ein vertrauliches Expertengutachten beziffert die Summe, um die es dabei gehen könnte.Von 

Bundeskanzlerin Angela Merkel und Griechenlands Regierungschef Antonis Samaras über dem griechischen Wort für „Lügner“ auf einem Protestplakat: Die Bürger des Landes wehren sich gegen den harten Sparkurs, an dem sie auch Deutschland die Schuld geben
Foto: APBundeskanzlerin Angela Merkel und Griechenlands Regierungschef Antonis Samaras über dem griechischen Wort für "Lügner" auf einem Protestplakat: Die Bürger des Landes wehren sich gegen den harten Sparkurs, an dem sie auch Deutschland die Schuld geben
Griechenland will seine Reparationsforderungen für Schäden aus dem Zweiten Weltkrieg erneuern. Der Schritt, den der griechische Außenminister am Mittwoch ankündigte, dürfte ein Test für die Beziehungen zwischen Athen und Berlin sein, das den größten Teil der Rettungshilfen für das Krisenland bereitstellt.
Die Forderungen Griechenlands gegen Deutschland sind nicht neu. Sie gründen auf der Besetzung des Landes durch die Nationalsozialisten vor rund 70 Jahren, und es gibt wenige Anzeichen dafür, dass die Regierung diesmal mit ihrer Durchsetzung erfolgreich sein könnte.
Frühere Versuche, sowohl von ehemaligen Regierungen als auch von Einzelpersonen, haben zu langwierigen juristischen Auseinandersetzungen geführt. Einige davon sind noch immer vor internationalen Gerichten anhängig.
Die fragile Koalition in Athen, die einen sehr schmerzhaften Anpassungsprozess für das Land umsetzen muss, steht unter starkem öffentlichen Druck, die Frage der Reparationen voranzutreiben. Vor allem die linke Opposition versucht, aus dem verbreiteten Ärger über die Deutschen Kapital zu schlagen.
Berlin wird in Griechenland für den strikten Sparkurs der Regierung verantwortlich gemacht, der zu enormen Einkommenseinbußen und einer Rekordarbeitslosigkeit von 27 Prozent geführt hat.
HILFSEMPFÄNGER IN DER EURO-ZONE
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Experten sehen kaum Erfolgschancen

"Die meisten Rechtsexperten glauben nicht, dass Griechenland große Chancen hat, seine Forderungen durchzusetzen", sagt Theodore Couloumbis, emeritierter Professor für internationale Beziehungen an der Athener Universität. "Auch vor dem Hintergrund, dass inzwischen sehr viel Zeit verstrichen ist und dass Deutschland zu den aktivsten Gebern bei den europäischen Strukturfonds sowie bei direkten Hilfen für Griechenland gehört." Couloumbis glaubt, dass seine Regierung ein politisches Spielchen treibt, das nun überzogen worden sei.
Außenminister Dimitris Avramopoulos hat griechischen Abgeordneten sein Versprechen gegeben, die Forderung nach Kriegsreparationen gegen Deutschland nicht aufzugeben. "Wir machen weiter Druck, mit allen erforderlichen Maßnahmen", sagte der Minister. Er forderte "die Schaffung von Gerechtigkeit und Wahrheit im Hinblick auf das Leiden der griechischen Bevölkerung während der schwierigen Jahre der Besetzung [...], eine harte Zeit, in der die Menschen in Griechenland litten, hungerten und ausgeplündert wurden wie in keinem anderen Land".
Avramopoulos machte weder Angaben dazu, welche Summen sein Land fordern werde, noch vor welchem Gericht oder auf welcher rechtlichen Grundlage die Klage erhoben werden solle. Es werde auf ein Gutachten der Rechtsberater gewartet, sagte er.
Griechische Medien nannten eine Schadenssumme von bis zu 162 Milliarden Euro. Das entspräche rund 80 Prozent der Wirtschaftsleistung der Griechen und der Hälfte der öffentlichen Verschuldung. Sie beriefen sich dabei auf Regierungsvertreter und ein vertrauliches Expertengutachten, das vom Finanzministerium in Athen in Auftrag gegeben worden sei.

Rechtsberater prüfen derzeit Expertengutachten

Rund zwei Drittel der Forderungen beziehen sich demnach auf Schäden, die dem Land bei der Besetzung durch die Nazis entstanden sein sollen, ein Drittel auf einen Zwangskredit, den die griechische Nationalbank der Wehrmacht 1942 gewähren musste. Griechische Regierungsvertreter wollten sich zu dem Bericht nicht äußern, der jetzt von Rechtsberatern begutachtet wird.
Deutschland hat immer argumentiert, das Thema sei abgeschlossen. Am Mittwoch hieß es aus Berlin, es gebe nichts zu diskutieren. "Die Bundesregierung ist der Auffassung, dass die Frage der Reparationen abschließend geklärt ist", sagte ein Regierungsvertreter.
Griechenland gehört zu den Nationen, die aufgrund der Pariser Friedensverträge kurz nach Kriegsende eine symbolische Entschädigung zugesprochen bekamen, vorwiegend in Form von Gütern. 1960 stimmte Deutschland der Zahlung von 115 Millionen D-Mark an Griechenland zu, um damit individuelle Opfer von Naziverbrechen zu entschädigen. Bedingung war seinerzeit, dass damit alle weiteren Individualforderungen abgegolten seien.
Trotzdem gab es weitere Einzelfälle, in denen Entschädigungen gefordert wurden. Besonders viel Aufsehen erregten die der Bewohner von Distomo in Zentralgriechenland, wo es 1944 zu Massentötungen gekommen war. Einige der Fälle haben es bis vor den Internationalen Gerichtshof in Den Haag geschafft.
Angesichts der wachsenden Frustrationen über die seit sechs Jahren währende Rezession riskiert Regierungschef Antonis Samaras einen waghalsigen Balanceakt, indem er die alten Forderungen gegen die einstigen deutschen Besatzer wieder aktiviert.

Beziehungen eigentlich auf dem Weg der Besserung

Die Spannungen zwischen Athen und Berlin haben sich zu Anfang des Sommers 2012 verstärkt, als sich Griechenland in einem politischen Vakuum befand und der faktische Ausschluss aus der Euro-Zone drohte. Seit der Wahl von Samaras haben sich die Beziehungen allerdings wieder erholt, auch weil Bundeskanzlerin Angela Merkel dem Land Ende vergangenen Jahres einen Besuch abstattete.
In jüngster Zeit bekam die griechische Regierung viel Lob aus Deutschland für ihre Reformanstrengungen, nachdem der Start für das von den Gläubigern verhängte Anpassungsprogramm eher zäh verlaufen war.
Da Griechenland Berlins Unterstützung dafür sucht, weniger schmerzhafte Konditionen für sein Rettungsprogramm bei den Kreditgebern durchsetzen zu können, sind die Reparationsforderungen dazu geeignet, die eigene Verhandlungsposition zu verschlechtern.
Das ist dem Außenminister wohl bewusst. "Dies soll nicht als feindlicher Akt gegen die [deutsche] Bevölkerung missverstanden werden, mit der wir auf einem gemeinsamen europäischen Weg sind", sagte Avramopoulos.

Opposition verlangt überparteiliches Komitee

Griechenlands Verhandlungsposition ist in der seit drei Jahren andauernden Krise arg geschwächt worden. Als eines der ärmeren Mitglieder der Europäischen Union ist das Land schon seit Jahren Empfänger von Hilfen. Seit Jahrzehnten erhält Athen für Infrastrukturprojekte Mittel aus EU-Fonds, die in großem Maße von Deutschland gespeist werden.
Berlin ist auch größtes Geberland beim zweiten Rettungspaket für Griechenland im Volumen von 173 Milliarden Euro, mit dessen Hilfe die Regierung in Athen die Staatspleite vermeiden konnte.
Trotzdem wünschen die sich von heftigen Sparmaßnahmen gebeutelten Griechen, dass die Politik mehr unternimmt, um von den Deutschen Entschädigung zu bekommen – zumal die Arbeitslosigkeit steigt und Unternehmen sowie Geschäfte in Rekordgeschwindigkeit aufgeben müssen.
Am Mittwoch rief die größte Oppositionspartei Syriza dazu auf, ein überparteiliches Komitee einzusetzen, das sich um die Durchsetzung der Reparationsforderungen kümmert – eine Idee, die auch von der sozialistischen Pasok-Partei getragen wird, die Teil der von Konservativen angeführten Koalitionsregierung ist.
Das Linksbündnis Syriza, das in Meinungsumfragen Kopf an Kopf mit der konservativen Nea Dimokratia von Ministerpräsident Samaras liegt, rief den Regierungschef außerdem auf, seine Position in der Angelegenheit vor dem griechischen Volks zu erklären.
WSJ.de
http://www.welt.de/wall-street-journal/article115607410/Athen-dringt-auf-Kriegsreparationen-aus-Berlin.html

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