BerlinAngesichts der massiven Unruhen in Istanbul schlägt die deutsche Wirtschaft Alarm. „Die aktuellen Auseinandersetzungen in der Türkei sehen die Unternehmen zunehmend mit Sorge. Die politischen Gräben sind scheinbar tiefer als von den meisten bisher angenommen“, sagte der Außenhandelschef des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), Volker Treier, Handelsblatt Online. Noch sei es zu früh, um negative wirtschaftliche Konsequenzen zu konstatieren: „Doch die dort engagierte deutsche Wirtschaft registriert die Entwicklung sehr aufmerksam.“ Ähnlich äußert sich das arbeitgebernahe Institut der Wirtschaft (IW).
Treier weist darauf hin, dass die Türkei angesichts seines Leistungsbilanzdefizits auf das Vertrauen internationaler Investoren angewiesen sei. „Die Achillesferse des Landes ist das hohe Leistungsbilanzdefizit“, sagt er. Die Türkei brauche Kapital aus dem Ausland, vielfach aus Deutschland. „Wenn es aber dauerhaft Auseinandersetzungen gibt, kann das zu Kapitalabflüssen führen.“
Auch Jürgen Matthes, Leiter des Kompetenzfelds Internationale Wirtschaftsordnung im IW Köln, gibt zu bedenken, dass das hohe Leistungsbilanzdefizit die Türkei „durchaus ökonomisch angreifbar“ mache, weil dahinter auch kurzfristig abziehbare Auslandskredite stünden. „Wenn die Unruhen anhalten und sich möglicherweise noch weiter ausbreiten, könnten die internationalen Investoren und Ratingagenturen schnell nervös werden“, sagte Matthes Handelsblatt Online.
Die Wirtschaftsvertreter nehmen zwar keine Namen in den Mund, aber die Warnung an die Adresse des türkischen Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan ist unmissverständlich: bereits die Bilder vom harten Vorgehen der Sicherheitskräfte kosten Vertrauen. Eskaliert der Konflikt weiter, könnten sich Investoren zurückziehen.
Die Sorge der Wirtschaft kommt nicht von ungefähr. Angesichts der anhaltenden Proteste drohte die türkische Regierung heute den Demonstranten mit dem Einsatz der Armee. Vize-Ministerpräsident Bülent Arinc sagte im türkischen Fernsehen, die Polizei werde alle ihr gesetzlich zustehenden Mittel ausschöpfen. Sollte dies nicht ausreichen, könne man auch auf die Streitkräfte zurückgreifen.
Nach Berichten mehrerer Nachrichtenagenturen wendet die Polizei derzeit wieder Gewalt gegen Demonstranten an. Entsprechende Vorfälle werden aus Istanbul und der Stadt Eskisehir gemeldet. In der Hauptstadt Ankara sollen Wasserwerfer gegen Protestierende in Stellung gebracht worden sein. Die beiden führenden Gewerkschaften des Landes hatten für heute zu einem Generalstreik aufgerufen.
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