© DPADas Hauptquartier der NSA in Fort Meade
Im Datenskandal des amerikanischen Geheimdienstes NSA wird nun auch die Bundesanwaltschaft aktiv. Die Behörde sammelt mittlerweile Informationen, um prüfen zu können, ob die NSA mit der Überwachung von Telefon und Internet in Deutschland gegen geltendes Recht verstößt und die Zuständigkeit der Bundesanwaltschaft berührt sein könnte, wie eine Sprecherin der Behörde am Sonntag sagte.
Die Sprecherin bestätigte einen „Spiegel Online“-Bericht, wonach die Bundesanwaltschaft derzeit alle verfügbaren und relevanten Informationen über die Ausspähprogramme „Prism“, „Tempora“ und „Boundless Informant“ auswertet. Ob Generalbundesanwalt Harald Range überhaupt förmliche Ermittlungen einleiten werde, sei offen. Es sei in diesem Zusammenhang aber mit Strafanzeigen zu rechnen, sagte die Sprecherin. Mindestens eine Anzeige liegt nach „Spiegel“-Informationen bereits vor.
Britische Regierung will Auskunft geben
Demnach will die britische Regierung, deren Geheimdienst CGHQ das Programm „Tempora“ ausführt, nun der Bundesregierung offenbar weitere Informationen geben. Das Auswärtige Amt erhielt laut „Spiegel“ eine Einladung der Briten zu einer Videokonferenz, die am Montag um 16 Uhr in der britischen Botschaft in Berlin stattfinden soll. Die deutsche Seite werde unter anderem Experten des Innen- und des Justizressorts, des Auswärtigen Amtes und des Bundesnachrichtendienstes entsenden.
© DPASPD-Kanzlerkandidat Steinbrück: Merkel muss aufklären
Geheime Dokumente der NSA offenbaren nach Informationen des Nachrichtenmagazins „Der Spiegel“, dass der Geheimdienst systematisch einen Großteil der Telefon- und Internetverbindungsdaten kontrolliert und speichert. Monatlich würden in der Bundesrepublik rund eine halbe Milliarde Kommunikationsverbindungen - Telefonate, Mails, SMS oder Chats - überwacht. Die dem Magazin vorliegenden Unterlagen bestätigten, „dass die amerikanischen Geheimdienste mit Billigung des Weißen Hauses gezielt auch die Bundesregierung ausforschen, wohl bis hinauf zur Kanzlerin“, schreibt „Der Spiegel“.
„Es sprengt jede Vorstellung“
Unterdessen droht der Überwachungs-Skandal zu einer schweren Belastung für das Verhältnis Deutschlands und Europas zu den Vereinigten Staaten zu werden. Politiker aus Deutschland reagierten am Sonntag empört auf Berichte, wonach die Überwachung Deutschlands durch den amerikanischen Geheimdienst NSA offenbar viel umfangreicher ist als bislang angenommen.
Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) reagierte bestürzt: „Es sprengt jede Vorstellung, dass unsere Freunde in den Vereinigten Staaten die Europäer als Feinde ansehen.“ Der CDU-Innenexperte Clemens Binninger forderte die amerikanischen Behörden zur raschen Aufklärung auf. „Ein solches Verhalten unter befreundeten Staaten ist geeignet, das gegenseitige Vertrauen zu erschüttern.“
Steinbrück: Merkel muss Sachverhalt klären
SPD, Grüne und Linke forderten Kanzlerin Angela Merkel (CDU) dringend auf, in Washington auf Aufklärung zu dringen. „Die Bundesregierung muss den Sachverhalt schnellstens klären“, sagte SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück: „Wenn sich die Vorwürfe bestätigen sollten, ginge das über legitime Sicherheitsinteressen weit hinaus.“
© REUTERSEU-Parlamentspräsident Schulz: „Wenn das stimmt, bedeutet das eine große Belastung für die Beziehungen der EU und der Vereinigten Staaten“
Auch der SPD-Fraktionsvorsitzende Frank-Walter Steinmeier forderte die Bundesregierung auf, sie solle „darauf bestehen, dass die Datensammelwut spürbar eingeschränkt wird“ - solange bis es „eine dauerhafte Verständigung insbesondere mit unseren amerikanischen und britischen Partnern gibt (...), was zur Sicherheit notwendig ist, und dem, was die Freiheit der Bürger beschädigt“, sagte Steinmeier der „Bild am Sonntag“.„Ein Abschöpfen von Daten kann niemand - auch ich nicht - völlig ausschließen“, sagte der ehemalige Geheimdienstkoordinator. „Deshalb schreibe ich meine SMS und Mails so, dass sie auch das Risiko des Mitlesens aushalten.“
„Der Staat darf nicht alles machen“
SPD-Fraktionsgeschäftsführer Thomas Oppermann kritisierte, die Überwachungstätigkeit der Vereinigten Staaten sei offenbar völlig außer Kontrolle geraten: „Der Staat darf nicht alles machen, was technisch möglich ist. Genau dies scheinen die USA aber zu tun - ohne Rücksicht auf Freund oder Feind.“
Konstantin von Notz, innen- und netzpolitische Sprecher der Grünen, sagte: „Frau Merkel trägt für die Vorgänge die direkte politische Verantwortung, denn die Geheimdienstkoordination liegt im Bundeskanzleramt.“ Grünen-Fraktionschefin Renate Künast forderte, Merkel müsse die Einleitung eines Klageverfahrens vor dem Internationalen Gerichtshof prüfen. Die Linken-Vorsitzende Katja Kipping erklärte: „Ich verlange, dass die Bundesregierung umgehend den amerikanischen Botschafter einbestellt und ihren formellen Protest übermittelt.“
Auch die EU-Kommission verlangte sofortige Aufklärung von den Vereinigten Staaten. „Wir haben sofort Kontakt mit den amerikanischen Behörden in Washington und Brüssel aufgenommen und sie mit den Vorwürfen konfrontiert“, teilte eine Sprecherin der EU-Kommission am Sonntag auf Anfrage in Brüssel mit. „Sie haben uns zugesagt, die Richtigkeit der Information zu prüfen und uns das Ergebnis mitzuteilen.“ Weitere Kommentare werde die EU-Kommission zum jetzigen Zeitpunkt nicht geben.
„Wenn das wahr ist, ist das abscheulich“
„Wenn diese Berichte wahr sind, ist das abscheulich“, sagte Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn „Spiegel Online“. „Die Vereinigten Staaten sollten lieber ihre Geheimdienste überwachen statt ihre Verbündeten. Wir müssen jetzt von allerhöchster Stelle eine Garantie bekommen, dass das sofort aufhört.“
© DPABespitzelungsskandal gigantischen Ausmaßes: Die mutmaßliche Bespitzelung Deutschlands und der EU durch die NSA schockiert europäische Politiker
EU-Parlamentspräsident Martin Schulz (SPD) forderte genauere Informationen. „Aber wenn das stimmt, dann bedeutet das eine große Belastung für die Beziehungen der EU und der Vereinigten Staaten“, sagte er dem Nachrichtenportal. Manfred Weber (CSU), stellvertretender Fraktionsvorsitzender der EVP und Sicherheitsexperte im Europaparlament, nannte es inakzeptabel, wenn europäische Diplomaten und Politiker in ihrem Alltag ausspioniert werden. „Das Vertrauen ist erschüttert.“
„Das Ausspionieren hat Dimensionen angenommen, die ich von einem demokratischen Staat nicht für möglich gehalten habe“, sagte Elmar Brok (CDU), Vorsitzender des Ausschusses für Auswärtige Angelegenheiten des Europäischen Parlaments. Europas geplantes Freihandelsabkommen mit den Vereinigten Staaten hält er für gefährdet. „Wie soll man noch verhandeln, wenn man Angst haben muss, dass die eigene Verhandlungsposition vorab abgehört wird?“, sagte er „Spiegel Online“.
Deutschland ausgespäht wie kaum ein anderes EU-Land?
Der „Spiegel“ hatte zuvor unter Berufung auf geheime Dokumente, die der frühere Geheimdienstmitarbeiter Edward Snowden mitgenommen hatte, berichtet, die NSA sei in Deutschland so aktiv wie in keinem anderen Land der Europäischen Union. Aber auch die EU werde gezielt ausgespäht - so habe der amerikanischen Geheimdienst die diplomatische Vertretung der EU in Washington sowie bei den Vereinten Nationen in New York mit Wanzen versehen und das interne Computernetzwerk infiltriert. Somit hätten die Amerikaner Besprechungen abhören und Dokumente sowie Mails auf den Computern lesen können.
Aus der Bundesrepublik fließt dem Bericht zufolge einer der größten Ströme der Welt in den „gigantischen Datensee“ des amerikanischen Geheimdienstes. Die Statistik, die der „Spiegel“ eingesehen hat, weise für normale Tage bis zu 20 Millionen Telefonverbindungen und um die 10 Millionen Internetdatensätze aus. An Spitzentagen wie dem 7. Januar 2013 habe der Geheimdienst bei rund 60 Millionen Telefonverbindungen spioniert. Zum Vergleich: Für Frankreich hätten die Amerikaner im gleichen Zeitraum täglich im Durchschnitt gut zwei Millionen Verbindungsdaten verzeichnet.
Deutschland nur „Partner dritter Klasse“?
Aus einer vertraulichen Klassifizierung gehe hervor, dass die NSA die Bundesrepublik zwar als Partner, aber auch als Angriffsziel betrachte. Demnach gehöre Deutschland zu den „Partnern dritter Klasse“. Ausdrücklich ausgenommen von Spionageattacken seien nur Kanada, Australien, Großbritannien und Neuseeland, die als zweite Kategorie geführt würden. „Wir können die Signale der meisten ausländischen Partner dritter Klasse angreifen - und tun dies auch“, brüste sich die NSA in einer Präsentation.
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Nach den geheimen NSA-Unterlagen nimmt Frankfurt im weltumspannenden Netz eine wichtige Rolle ein: Die Stadt sei als Basis in Deutschland aufgeführt, schreibt der „Spiegel“. Dort habe die NSA Zugang zu Internetknotenpunkten, die den Datenverkehr mit Ländern wie Mali oder Syrien, aber auch mit Osteuropa regeln.
Erfasst würden nicht die Inhalte der Gespräche, sondern die Metadaten, also von welchem Anschluss mit welchem Anschluss eine Verbindung bestand. Dies seien jene Vorratsdaten, schreibt der „Spiegel“, um deren Speicherung in Deutschland seit vielen Jahren erbittert gerungen wird - und deren Erfassung das Bundesverfassungsgericht 2010 untersagte.