BerlinDer Rektor der Universität für Verwaltungswissenschaften in Speyer, Joachim Wieland, geht davon aus, dass das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe die Politik der Europäischen Zentralbank (EZB) nicht stoppen, sondern allenfalls erschweren wird. Für ausgeschlossen hält Wieland, dass die Richter das von der EZB angekündigte Programm zum notfalls unbegrenzten Kauf von Anleihen (OMT) von Euro-Schuldenländern als einen Verstoß gegen das Grundgesetz werten. Das Verfassungsgericht schließt heute seine Anhörung zur EZB ab, ein Urteil wird aber erst in einigen Monaten erwartet.
Im Gespräch mit Handelsblatt Online verwies der Staatsrechtler Wieland darauf, dass sich Karlsruhe selbst Fesseln angelegt habe, als es vor zwei Jahren entschieden hatte, „dass es die Frage, ob die EZB die Grenzen ihrer Handlungsbefugnisse überschreitet, dem Europäischen Gerichtshof in Luxemburg vorlegen müsste.“
„Stellte der EuGH die Vereinbarkeit des Handelns der EZB mit Unionsrecht fest, wovon nach seiner bisherigen Rechtsprechung auszugehen ist, müsste das Bundesverfassungsgericht nicht nur der EZB, sondern auch dem Gerichtshof einen ausbrechenden Rechtsakt vorwerfen“, sagte Wieland weiter. Das sei aber „extrem“ unwahrscheinlich. „Das Bundesverfassungsgericht wird sich deshalb nach meiner Einschätzung damit begnügen, enge Grenzen für den Ankauf von Staatsanleihen durch die EZB aufzuzeigen, ohne einen Verstoß gegen deutsches Verfassungsrecht festzustellen.“
Wieland stimmte in diesem Zusammenhang der Aussage von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) zu, der bei der Euro-Verhandlung in Karlsruhe die Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank (EZB) betont hatte und damit zugleich die Zuständigkeit des Gerichts für den EZB-Krisenkurs infrage stellte. „Ich halte es für schwer vorstellbar, dass deutsche Gerichte unmittelbar über die Rechtmäßigkeit von Handlungen der EZB entscheiden könnten“, sagte Schäuble am Dienstag. „Dadurch entstünde ja die Gefahr, dass die EZB von einer Vielzahl nationaler Verfassungsgerichte innerhalb der Währungsunion vollkommen gegensätzliche Rechtsanwendungsbefehle erhalten könnte.“
Wieland sagte dazu: „Das ist formal richtig.“ Der Jurist unterstrich allerdings auch, dass das Bundesverfassungsgericht auch feststellen könne, „dass der Ankauf von Staatsanleihen durch die EZB im Rahmen von OMT über die Befugnisse hinausgeht, die Deutschland den Institutionen der Europäischen Union in den einschlägigen Verträgen übertragen hat, weil es sich in Wirklichkeit um eine Umgehung des Verbots der unmittelbaren Staatsfinanzierung handle“.
Über Finanzhilfen an Mitgliedstaaten müsse zudem nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts der Bundestag entscheiden, gab Wieland zu bedenken. „Würde das Gericht einen solchen ausbrechenden Rechtsakt der EZB feststellen, dürfte die Bundesbank an entsprechenden Maßnahmen der EZB nicht mitwirken, so dass das OMT nicht fortgeführt werden könnte.“
Die umstrittenen Staatsanleihen-Kaufprogramme der EZB
10. Mai 2010
Als die Schuldenkrise zum ersten Mal in Griechenland eskaliert, beschließt der EZB-Rat den Kauf von Staatsanleihen überschuldeter Euro-Länder. Damit wirft die EZB erstmals in ihrer Geschichte de facto die Notenpresse an, um Krisenländern zu helfen und das politische Projekt der Gemeinschaftswährung nicht zu gefährden. In der Folge kauft sie für mehr als 200 Milliarden Euro Papiere von Griechenland, Irland und Portugal.8. August 2011
2. August 2012
6. September 2012
12. September 2012
Wie Schäuble hatte auch Michael Theurer, Vorsitzender des Haushaltskontrollausschusses und stellvertretender Vorsitzender der FDP im Europäischen Parlament, es als „sachlogisch“ bezeichnet, dass nationale Verfassungsgerichte nicht über Europäische Institutionen urteilen könnten. „Nicht auszudenken, in welche Problemspirale die EU geriete, wenn als nächstes das französische oder italienische Verfassungsgericht aus ihrer Sicht das Handeln der EZB beurteilen würden", sagte Theurer.
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