Am 11. und 12. Juni verhandelt das Bundesverfassungsgericht in öffentlicher Anhörung über das vom Präsidenten der Europäischen Zentralbank (EZB), Mario Draghi, im August 2012 angekündigte und im September 2012 vom EZB-Rat gegen den Widerstand der Bundesbank beschlossene Programm zum unbegrenzten Kauf von Staatsanleihen aus Krisenländern (OMT-Programm). Noch vor Verkündigung des nominell nur vorläufigen Urteils zum ESM vom 12. September 2012 legte der CSU-Bundestagsabgeordnete Peter Gauweiler gegen die Mandatsüberschreitung und gemäß EU-Vertrag verbotene Staatsfinanzierung durch die EZB Klage ein. Der Klage Gauweilers haben sich über 35.000 Bürger angeschlossen.
Für europäisches Recht ist in erster Linie der Europäische Gerichtshof in Luxemburg (EuGH) zuständig. Das Verfassungsgericht hat sich jedoch in früheren Entscheidungen eine entscheidende Kontrollfunktion vorbehalten. Der Grund hierfür liegt im völkerrechtlichen Verständnis der EU als Vertragsorganisation. Die EU ist (noch) kein Staat, d.h. ein souveränes völkerrechtliches Subjekt, dessen staatliche Institutionen sich gemäß gültiger innerstaatlicher Verfassung und unter Beachtung völkerrechtlicher Verpflichtungen selbst Machtbefugnisse geben. Die EU ist nur befugt zu handeln, sofern die Mitgliedstaaten sie dazu durch die EU-Verträge ermächtigen. Sie hat also im engen Sinne noch keine eigene Verfassung, ist selbst hingegen durch die Verfassungen der Mitgliedstaaten in ihrer Rechtsetzung und Macht begrenzt.
In Deutschland dürfen Bundesregierung und Bundestag nur staatliche Rechte und Befugnisse abtreten, sofern das Grundgesetz dies gestattet. Ob ein Transfer von Hoheitsrechten verfassungsgemäß ist, entscheidet das Bundesverfassungsgericht. Sollte eine europäische Institution ihre Kompetenzen erheblich überschreiten, wäre ihr Handeln zudem nicht mehr durch die deutsche Zustimmung zu den EU-Verträgen gedeckt – und damit wäre es auch ein Verstoß gegen deutsches Verfassungsrecht.
Das OMT-Programm der EZB ist in Augen der Kläger genau solch eine verfassungswidrige Mandatsverletzung und Kompetenzübertretung. In einem ausführlichen Gutachten fordert daher der ehemalige Verfassungsrichter Udo di Fabio ein Verbot des EZB-Programms durch das Verfassungsgericht. Ähnlich äußert sich der ehemalige Bundesminister und Verfassungsrechtler Rupert Scholz und auch die führenden Nationalökonomen Hans-Werner Sinn und Clemens Fuest.
Ein aufschlussreicher Beleg für wirtschaftliches (Un)Verständnis und politische Weitsicht des Gerichts findet sich im Maastricht-Urteil, in dem das Bundesverfassungsgericht vor rund zwanzig Jahren Bedenken gegen die Entmachtung der Bundesbank und Abschaffung der D-Mark vor allem mit Verweis auf das Bail-out-Verbot als unbegründet verwarf. „Die Bundesrepublik Deutschland”, so die Richter damals, „unterwirft sich mit der Ratifikation des Unions-Vertrags nicht einem unüberschaubaren, in seinem Selbstlauf nicht mehr steuerbaren "Automatismus" zu einer Währungsunion“, ganz zu schweigen, führt das Gericht in der Folge selbstsicher aus, zu einer Fiskal- und Transferunion.
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