Volle zwei Tage lang hat das Bundesverfassungsgericht Kläger, Vertreter der EZB und Experten vernommen - doch ob es dabei schlauer geworden ist und welche Schlüsse es daraus ziehen wird, bleibt noch eine Weile offen. Erst in einigen Monaten, wahrscheinlich erst nach der Bundestagswahl im September, will das Gericht unter der Führung von Voßkuhle seinen Beschluss verkünden. Allerdings weist das Protokoll des ersten und zweiten Verhandlungstages einige interessante Festlegungen auf - nicht zuletzt von Bundesbankchef Jens Weidmann.
Am Ende des Tages wird nun zwar spekuliert, man könne aus Voßkuhles Fragen herauslesen, dass er die Handlungsfreiheit der EZB einschränken will. Tatsächlich sprach er die Möglichkeit ins Spiel, den Auftrag der Notenbank weiter zu regeln als bisher im EU-Vertrag. "Ist das eine sinnvolle Strategie darüber nachzudenken oder braucht man doch mehr Freiraum?", fragte Voßkuhle. Aber das war eben nur eine Frage von vielen.
Am zweiten Tag der Hauptverhandlung kritisierten Sachverständige die Maßnahmen der EZB deutlich. EZB-Direktoriumsmitglied Jörg Asmussen verteidigte den Kurs der Währungshüter erneut. Umstritten ist vor allem das Programm OMT („Outright Monetary Transactions“), mit dem die EZB unter Bedingungen theoretisch unbegrenzt Anleihen von Euro-Krisenstaaten kaufen könnte.
Als problematisch bewerten die Richter, dass die EZB mit dem Programm nicht nur Geldpolitik betreibt, sondern auch die Wirtschaft der Länder beeinflusst. „Gibt es denn eine Möglichkeit, das OMT-Programm so auszugestalten, dass man sagen kann, das ist eindeutig ein geldpolitisches Programm, ohne dass dadurch die Effizienz des Programms vollkommen infrage gestellt wird?“, fragte Verfassungsrichter Peter Müller.
Im Gespräch sind mehrere Möglichkeiten - auch um den Bundestag bei Anleihekäufen im Spiel zu halten. Das Gericht versucht unter anderem zu klären, ob es sinnvoll sein könnte, wenn die EZB die Papiere erst eine Woche nach der konkreten Ankündigung zum Kauf erwerben würde. Denkbar wäre auch eine Erweiterung der EU-Verträge, um der EZB mehr Kompetenzen einzuräumen. Darauf könnte die Bundesregierung hinwirken.
Mehrere Ökonomen kritisierten die Maßnahmen der Notenbank gegen die Schuldenkrise. „Ökonomisch bewegen wir uns in einer Grauzone zwischen Geldpolitik und Fiskalpolitik“, sagte der Präsident des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung, Clemens Fuest.
Der Präsident des ifo Instituts, Hans-Werner Sinn, warnte erneut vor Milliardenrisiken für Deutschlands Steuerzahler: „Diese Retterei ist außerordentlich gefährlich.“ Es passe auch nicht zusammen, dass Deutschland beim ESM mit höchstens 190 Milliarden haften dürfe, während die EZB theoretisch unbegrenzt Staatsanleihen erwerben könne.
Asmussen verteidigte den Kauf von Staatsanleihen als „normales Instrumentarium“ der Geldpolitik. Es gehe darum, der Geldpolitik zu Durchschlagskraft zu verhelfen. Asmussen betonte: „Das Ziel von OMT ist nicht, Staateninsolvenz zu vermeiden.“
Ex-Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin (SPD), die zu den Klägern gehört, sieht dennoch Chancen für einen Erfolg: „Das Vernünftigste wäre jetzt, dass Karlsruhe sagen würde: Wir wollen, dass die Auflagen, die wir im letzten Urteil gegeben haben, auf den Buchstaben eingehalten werden. Das heißt: Umgehungsmöglichkeiten via EZB ohne Bundestag und ohne Haftungsgrenzen geht nicht.“
Die Finanzmärkte sind offenbar anderer Ansicht. „Der Devisenmarkt scheint tiefenentspannt“, kommentierte Experte Lutz Karpowitz von der Commerzbank. Sorgen, die Richter könnten das äußerst wirksame Versprechen notfalls unbegrenzter Anleihekäufe der EZB stoppen, kämen trotz durchaus vorhandener rechtlicher Risiken nicht auf.
Bilden Sie sich eine eigene Meinung - der Tag im Rückblick:
++ Was Voßkuhle fragt, aber nicht sagt ++
Der bisherige Verlauf der Anhörung lässt keinen Schluss zu, in welche Richtung das Gericht tendieren könnte. Gerichtspräsidente Voßkuhle ließ in vielen Fragen zwar sein Misstrauen gegenüber der EZB-Politik durchschimmern. Er lobte aber auch die "Selbstbindung" der EZB: dass sie über Anleihekäufe erst entscheiden will, wenn ein Land in einer Notlage ein Reformprogramm mit dem Euro-Rettungsschirm ESM vereinbart hat. Wäre es dann, fragt Voßkuhle, nicht eine Möglichkeiten, entsprechende Einschränkungen für die ausdrücklich erlaubten Sekundärmarktkäufe in die EZB-Satzung zuschreiben? Unter Umständen sieht er darin eine Möglichkeit, eine Forderung der Kläger aufzunehmen, ohne Finanzmarkt-Turbulenzen auszulösen. Oder es war doch nur eine Einschätzungsfrage.
++ Polleit warnt vor „zerstörerischer Macht“ der EZB ++
Der Frankfurter Ökonom Thorsten Polleit warnt vor den Folgen eines Blankoschecks für die EZB. Die „besondere Gefahr“ des EZB-Vorhabens, notfalls in unbegrenztem Ausmaß marode Anleihen von Euro-Ländern zu kaufen, bestehe darin, dass es einen „wichtigen Schutzwall“ schleife, der die Zentralbank gegen politische Begehrlichkeiten abschirmen soll. „Der EZB wird eine zerstörerische Macht in die Hände gelegt: die Macht, den Euro entwerten zu können“, schreibt der Chefvolkswirt der Degussa Goldhandel GmbH und Honorarprofessor an der Frankfurt School of Finance & Management in einem Gastbeitrag für Handelsblatt Online.
Der Frankfurter Ökonom Thorsten Polleit warnt vor den Folgen eines Blankoschecks für die EZB. Die „besondere Gefahr“ des EZB-Vorhabens, notfalls in unbegrenztem Ausmaß marode Anleihen von Euro-Ländern zu kaufen, bestehe darin, dass es einen „wichtigen Schutzwall“ schleife, der die Zentralbank gegen politische Begehrlichkeiten abschirmen soll. „Der EZB wird eine zerstörerische Macht in die Hände gelegt: die Macht, den Euro entwerten zu können“, schreibt der Chefvolkswirt der Degussa Goldhandel GmbH und Honorarprofessor an der Frankfurt School of Finance & Management in einem Gastbeitrag für Handelsblatt Online.
EZB-Anleihe-Programm zur Lösung der Euro-Krise
Mehr Transparenz
Die EZB hatte im Mai 2010 nach einem Wochenende hektischer Rettungsaktionen der Euro-Staaten für Griechenland spontan ein Anleihekaufprogramm beschlossen. Die Konditionen des „Securities Market Programme (SMP)“ blieben weitgehend im Dunkeln. Die EZB gab lediglich im Nachhinein wöchentlich bekannt, welche Summen an Staatspapieren aus dem Markt genommen wurden, ohne dabei die Länder zu nennen. Zu beobachten war im Handel aber, dass die Zentralbank zunächst Griechenland und dann Irland und Portugal stützte, die unter den Rettungsschirm EFSF geschlüpft waren. Im Sommer 2011 folgten Spanien und Italien. Das Interventionsvolumen von SMP beläuft sich auf 209 Milliarden Euro.Verzicht auf Limits
Niedrige Zinsen kommen nicht beim Verbraucher an
Keine Hilfe ohne Spar- und Reformprogramm
EZB verzichtet auf Privilegien
Inflationsbremse bleibt angezogen
++ Weidmann plädiert für Einschränkung des EZB-Mandats ++
Bundesbank-Präsident Jens Weidmann stellt sich erneut gegen die Europäische Zentralbank - und spricht sich unter anderem für eine engere Definition des geldpolitischen Mandats der Zentralbank aus. Er sei bereit, ihren Freiraum einzuschränken - denn er führe zu Problemen für die Glaubwürdigkeit der Zentralbank und auch zu Stabilitätsrisiken. Ausdrücklich bezweifelt Weidmann erneut, ob das Anleiheprogramm OMT selbst mit dem Mandat der EZB vereinbar sei. Das Programm mit Auflagen zu versehen sei ebenfalls keine Lösung.
Bundesbank-Präsident Jens Weidmann stellt sich erneut gegen die Europäische Zentralbank - und spricht sich unter anderem für eine engere Definition des geldpolitischen Mandats der Zentralbank aus. Er sei bereit, ihren Freiraum einzuschränken - denn er führe zu Problemen für die Glaubwürdigkeit der Zentralbank und auch zu Stabilitätsrisiken. Ausdrücklich bezweifelt Weidmann erneut, ob das Anleiheprogramm OMT selbst mit dem Mandat der EZB vereinbar sei. Das Programm mit Auflagen zu versehen sei ebenfalls keine Lösung.
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