Rettungspolitik vor dem VerfassungsgerichtDas müssen Sie über die Euro-Verhandlung wissen
10.06.2013 · Noch nie gab es vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe solch eine Beschwerdeflut. Heute nehmen die Richter die Zentralbank ins Visier. Die wichtigsten Fragen und Antworten.
Von JOACHIM JAHNWorum geht es in der Verhandlung?
Im Mittelpunkt steht die Ankündigung der Europäischen Zentralbank (EZB) vom vergangenen September, notfalls unbegrenzt Staatsanleihen von Krisenländern aufzukaufen. Dieses Programm namens „Outright Monetary Transactions“ (OMT) geht über das „Securities Markets Programme“ (SMP) von 2010 bis 2012 hinaus, das ebenfalls auf dem Prüfstand steht.
Befassen wollen sich die acht Richter zudem mit den Verrechnungssalden zwischen den europäischen Notenbanken („Target2“). Keine große Rolle spielen dürfte der ursprüngliche Anlass der zahlreichen Verfassungsbeschwerden, nämlich der Rettungsschirm ESM und der Fiskalpakt.
Beides haben die Richter bereits mit einer einstweiligen Anordnung im Kern abgesegnet. Dabei machten sie deutlich, dass sie - anders als sonst in Eilverfahren - die Rechtslage auch schon inhaltlich beleuchtet haben.
Wer hat geklagt?
Der Bundestagsabgeordnete Peter Gauweiler (CSU) attackiert die gesamte Rettungspolitik als „dauerhaften Haftungs- und Leistungsautomatismus“. Vertreten wird er von dem Freiburger Staatsrechtler Dietrich Murswiek. Verfassungsbeschwerde erhoben hat außerdem eine Gruppe von Wirtschafts- und Juraprofessoren um Joachim Starbatty, Wilhelm Hankel, Wilhelm Nölling und Karl Albrecht Schachtschneider sowie den früheren Thyssen-Vorstandschef Dieter Spethmann.
Starbatty wurde jüngst zum Spitzenkandidaten der „Alternative für Deutschland“ (AfD) in Berlin gewählt. Rund 37.000 Bürger stehen hinter dem Verein „Mehr Demokratie“. Vertreten wird er von der früheren Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin (SPD) und dem Staatsrechtler Christoph Degenhart. Eine Sonderrolle nimmt die Linksfraktion im Bundestag ein: Sie hat eine sogenannte Organklage eingereicht.
Das könnte dem Gericht erlauben, Argumente zu berücksichtigen, die in einer Verfassungsbeschwerde nicht geltend gemacht werden können. Die Linken wenden sich vor allem gegen die Schuldenbremse auf europäischer Ebene und die „Bankenrettungsschirme“.
Wie ist der Ablauf?
Die mündliche Verhandlung ist doppelt ungewöhnlich: Das Bundesverfassungsgericht tagt ohnehin nur selten öffentlich - und nun gleich zwei Tage lang. Am Anfang wird Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle in einer Einleitung sicher noch einmal betonen, welch großen Spielraum die Politik in wirtschaftlichen Fragen hat, während sich das Bundesverfassungsgericht darauf beschränkt, Verstöße gegen das Grundgesetz zu prüfen.
Anschließend wird der Europarechtler des Zweiten Senats, Peter Huber, als Berichterstatter in dem Verfahren näher in den „Sach- und Streitstand“ einführen. Danach werden die Rechtsvertreter der verschiedenen Klägergruppen eine Kurzfassung ihrer Anträge vortragen. Weiter geht es dann mit jeweils einer Stellungnahme von Bundesbankpräsident Jens Weidmann und EZB-Direktor Jörg Asmussen. Letzterer sitzt in Karlsruhe aber nicht auf der Anklagebank, sondern ist wie Weidmann und ein ESM-Vertreter „sachkundiger Dritter“.
Ebenfalls als Gutachter geladen sind die Wirtschaftswissenschaftler Marcel Fratzscher, Clemens Fuest, Kai Konrad, Hans-Werner Sinn und Harald Uhlig sowie der frühere Bundesbank-Vize Franz-Christoph Zeitler. Jeder von ihnen wird von den Richtern befragt werden. Asmussen und Weidmann werden sicher auch mehrfach von einzelnen Richtern gebeten werden, deren Äußerungen zu kommentieren. Auch Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) möchte - wie schon beim letzten Mal - das Wort ergreifen.
„Showdown“ zwischen Asmussen und Weidmann?
Beide haben sich dem Vernehmen nach darauf geeinigt, sich nicht gegenseitig zu attackieren - zumal sie alte Weggefährten sind. Zudem ist es in der Verhandlung den Beteiligten nicht erlaubt, direkt aufeinander zu antworten: Die Verhandlungsführung liegt allein beim Gericht.
Weite Strecken der Verhandlung dürften für Außenstehende sogar ausgesprochen ermüdend verlaufen: Seiner Planung zufolge will das Gericht auch erörtern, inwieweit die Klagen überhaupt zulässig sind.
Das ist keineswegs selbstverständlich, weil das deutsche Verfassungsgericht EU-Institutionen keine Anweisungen erteilen kann - schon gar nicht der unabhängigen EZB. Zumindest in einigen Punkten haben die Richter aber schon die Brücke akzeptiert, dass eine Kompetenzüberschreitung in Brüssel das Wahlrecht der Deutschen zum Bundestag verletzen kann.
Denn dann handelt es sich um einen „ausbrechenden Rechtsakt“ und fällt unter die „Ultra-vires-Kontrolle“: Die EU darf nur regieren, wo das von den deutschen Gesetzen gedeckt ist, mit denen das Parlament einen Teil der nationalen Zuständigkeiten an die EU abgetreten hat.
Wie könnte das Urteil aussehen?
Das endgültige Urteil wird wohl kaum vor den Bundestagswahlen im September fallen. Dies vermeiden zu wollen, dürfte hinter den Kulissen sogar den Zeitplan bestimmt haben. Theoretisch könnten die Richter zu dem Ergebnis kommen, dass die EZB verbotenerweise eine „monetäre Staatsfinanzierung“ betreibt und die Bundesbank daran im Eurosystem nicht mitwirken darf.
Im äußersten Fall könnten sie Bundesregierung und Bundestag zum Austritt aus europäischen Institutionen verpflichten - oder zumindest zu Nachverhandlungen drängen. Kaum jemand erwartet allerdings, dass die Richter in Kauf nehmen, dann für etwaige Turbulenzen an den Kapitalmärkten verantwortlich gemacht zu werden.
Eher dürften sie dem jeweiligen Bundesfinanzminister ein bestimmtes Abstimmungsverhalten im Gouverneursrat des ESM auferlegen, um „rote Linien“ festzulegen. Dies hätte umso mehr Wirkung, als sich die EZB nach eigenen Angaben beim Kauf von Staatsanleihen danach richten will, ob der Krisenstaat Reformauflagen einhält.
Wer hat das letzte Wort?
Nicht ausgeschlossen ist aber auch, dass die Karlsruher Richter etwas tun, was sie noch nie getan haben - nämlich den Europäischen Gerichtshof anzurufen, damit er zumindest einen Teil der umstrittenen Rechtsfragen vorab und verbindlich entscheidet. Eigentlich läge das sogar nahe, weil die Auslegung europäischer Verträge - etwa zum Beistandsverbot („No bail-out“) - in erster Linie ein Fall für die Luxemburger Richter ist.
Auch böte eine solche Vorlage eine gewisse Chance, die Rechtsprechung der Europarichter zu beeinflussen. Andererseits stehen sie in dem Ruf, stets zugunsten einer immer weiteren Machtstärkung der EU-Ebene zu entscheiden.
So haben sie kürzlich in einem Fall aus Irland in einem Schnellverfahren befunden, dass die Rettungsschirme nicht gegen das Haftungsverbot von Mitgliedstaaten füreinander und für die EU verstießen. Auch haben sie der EZB zugebilligt, Dokumente über Hilfsmaßnahmen für Griechenland geheimzuhalten.
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