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Mittwoch, 1. Mai 2013

Rudolf Mellinghoff, Präsident des Bundesfinanzhofes, war 2001 bis 2011 Richter des BVerfG


Bundesfinanzhof-Präsident„Jeder muss sich auf Vertraulichkeit verlassen können“

 ·  Der Präsident des Bundesfinanzhofs plädiert für eine weltweite Mindestbesteuerung. Außerdem spricht Rudolf Mellinghoff über die Unschuldsvermutung, das Steuergeheimnis und den Fall Hoeneß.
© STOCK4BRudolf Mellinghoff, Präsident des Bundesfinanzhofes, war 2001 bis 2011 Richter des BVerfG
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Gibt es da nicht auch viel Scheinheiligkeit? Holland gilt als Steuerparadies, der amerikanische Bundesstaat Delaware, britische Inseln, Irland...
Steuerwettbewerb ist grundsätzlich legitim. Aber es gilt zwei Probleme zu lösen: International gibt es keine Übereinkunft, nach welchen Maßstäben Steueraufkommen aufgeteilt wird - etwa bei Abgaben auf Lizenzen. Deutschland profitiert doch auch davon, dass deutsche Unternehmen Produktionsstandorte im Ausland haben und Lizenzeinnahmen hier versteuert werden. Und man muss weltweit zu einer Mindestbesteuerung kommen. Es wäre schon viel gewonnen, wenn man in der EU eine gemeinsame Bemessungsgrundlage und einen bestimmten Rahmen für die Steuersätze hätte. Früher hatten wir in Deutschland ja auch einmal Steueroasen bei der Gewerbesteuer, bis der Bundestag für die Gewerbesteuer einen Mindesthebesatz eingeführt hat.
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Wobei ja auch mittlerweile die Staatsanwaltschaften Pressekonferenzen veranstalten, um die Einleitung von Ermittlungsverfahren anzuzeigen.
Das sehe ich mit großer Sorge, weil es sehr problematisch ist, wenn die Staatsanwaltschaft schon in diesem Stadium des Verfahrens die Öffentlichkeit informiert. Auf der anderen Seite handelt es sich häufig genug lediglich um eine notwendige Reaktion auf andere Vorkommnisse. Wenn nämlich Beschuldigte oder deren Verteidiger strategisch mit Teilwahrheiten an die Öffentlichkeit gehen, dann stellt sich die Frage, ob der Staat nicht gezwungen ist, für eine objektive Berichterstattung zu sorgen. Ich habe bisher nicht erkennen können, dass die Staatsanwaltschaft von sich aus regelmäßig eine offensive Pressepolitik betreibt und Ermittlungsergebnisse verfrüht veröffentlicht.
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Ist Voraussetzung einer Selbstanzeige, wie sie Bayern-Präsident Hoeneß abgegeben hat, nicht eigentlich Vertraulichkeit?
Da sprechen Sie ein wichtiges Thema an, denn in gerade diesem Fall scheint das Steuergeheimnis verletzt worden zu sein, das dem Schutz jedes Bürgers dient. Jeder Steuerpflichtige muss sich darauf verlassen können, dass die Vertraulichkeit und Verschwiegenheit der Finanzbeamten gewahrt bleibt. Das Steuergeheimnis ist eine notwendige Bedingung dafür, dass der Staat vom Bürger die umfassende Mitwirkung und Offenbarung aller wirtschaftlichen und privaten Verhältnisse verlangen darf. Finanzbeamten, Richtern, aber auch Ministern ist es grundsätzlich untersagt, über die persönlichen oder wirtschaftlichen Verhältnisse zu berichten, die ihnen bekannt geworden sind. Das gilt auch für Strafverfahren im Zusammenhang mit einer Steuerhinterziehung. Die Verletzung des Steuergeheimnisses ist eine Straftat.
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Wird in Deutschland zu schnell durchsucht und zu schnell in U-Haft genommen?
Im internationalen Vergleich: Ja. Und das macht mir Sorgen.
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Haben Sie in Ihrer beruflichen Praxis oft den Eindruck gehabt, dass der Satz „U-Haft schafft Rechtskraft“ geltendes Recht ist?
Das Problem ist, dass, wenn U-Haft einmal Rechtskraft geschaffen hat, dieser Fall nicht vor das Bundesverfassungsgericht kommt. In dem Moment, in dem die U-Haft eingesetzt wird, um Personen zu Geständnissen oder zu einem Deal zu bringen, wird dieses Verfahren relativ schnell abgeschlossen und häufig auf Rechtsmittel verzichtet.



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Wie ist der Konflikt zu lösen, dass im Steuerverfahren der Bürger zur Mitwirkung verpflichtet ist und im Strafverfahren sich nicht selbst belasten muss?
Meines Erachtens gibt es wirklich eine deutliche Trennung zwischen diesen beiden Bereichen. Das steuerliche Ermittlungsverfahren ist auf Mitwirkung angelegt, während der Beschuldigte im Strafverfahren schweigen darf. Die Steuerfahndung darf nicht im Gewand des Finanzbeamten ihre Befugnisse zu Lasten des Steuerpflichtigen ausdehnen. In dem Moment, in dem die Steuerfahndung konkret gegen eine Person ermittelt, handelt es sich nicht mehr um eine Vorfeldermittlung, sondern um ein Strafverfahren, in dem die verfassungsrechtlichen Garantien für Beschuldigte beachtet werden müssen. Dann darf zum Beispiel auch der Steuerpflichtige nicht mit Zwangsmitteln zur Offenbarung seiner Verhältnisse gezwungen werden.
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Die 

Oppositionsparteien ziehen mit der Forderung nach Steuererhöhungen in den Wahlkampf. Wo liegt die Obergrenze?
Man darf nicht nur über die Höhe des Steuersatzes diskutieren: Auch die Bemessungsgrundlage ist zu beachten. Interessant ist aber, dass das französische Verfassungsgericht kürzlich die dortige Reichensteuer verworfen hat, weil sie über 66 Prozent hinausging. Das Bundesverfassungsgericht hat darauf hingewiesen, dass sich zwar keine präzise Grenze der Besteuerung aus dem Grundgesetz ableiten lässt, dass aber eine übermäßige Belastung, die nicht mehr den wirtschaftlichen Erfolg widerspiegelt und nicht mehr die Privatnützigkeit des Eigentums berücksichtigt, verfassungsrechtliche Probleme aufwirft.
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Die Opposition fordert außerdem eine Vermögensteuer - und sogar eine Vermögensabgabe wie nach dem Zweiten Weltkrieg...
Über die Zulässigkeit einer Vermögensabgabe werden dann gegebenenfalls die Verfassungsrichter in Karlsruhe zu urteilen haben. Eine Vermögensteuer als solche hat es lange gegeben; sie wird im Grundgesetz erwähnt und ist nicht per se verfassungswidrig. Es kommt allerdings auf die Ausgestaltung an. Der Vollzug einer Vermögensteuer ist sehr verwaltungsaufwändig. Die Verfassung fordert aber die gleichmäßige Vollziehung einer Steuer. Das kann natürlich dazu führen, dass der Staat entsprechend viele Beamte einstellen muss. Wenn verschiedene Vermögensarten unterschiedlich behandelt werden, kann es ebenfalls problematisch werden. Hier möchte ich nur auf den Vorlagebeschluss des Bundesfinanzhofs zur unterschiedlichen Behandlung von Betriebs- und Privatvermögen in der Erbschaftsteuer hinweisen.
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Auch in der Regierungskoalition gibt es Forderungen, das Ehegattensplitting auf gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaften auszuweiten. Gebietet das Grundgesetz es eigentlich, das Ehegattensplitting beizubehalten?
Zwar lässt sich dem Grundgesetz kein Gebot entnehmen, das Ehegattensplitting in der jetzigen Ausgestaltung beizubehalten; es handelt sich aber auch nicht um eine beliebig veränderbare Steuervergünstigung. Es muss auch berücksichtigt werden, dass die Verfassung verlangt, Unterhaltsleistungen für seinen Ehegatten und seine Kinder angemessen zu berücksichtigen. Dieses Gebot hat das Bundesverfassungsgericht mehrfach durchgesetzt.
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Das Gespräch mit dem Präsidenten des Bundesfinanzhofs führten Joachim Jahn und Reinhard Müller.




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