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Sonntag, 5. Mai 2013

Griechenlands Finanzminister im Gespräch „Wir sind aus dem Schlimmsten heraus“


Griechenlands Finanzminister im Gespräch„Wir sind aus dem Schlimmsten heraus“

 ·  Mit der Sanierung des Haushalts sei eine wichtige Wende geschafft worden, sagt Griechenlands Finanzminister Yannis Stournaras. Er fordert, dass Länder, die Vorteile aus der Krise haben, ihren Gewinn mit den anderen teilen.
© PICTURE ALLIANCE / LANDOVDer griechische Finanzminister Yannis Stournaras
Professor Stournaras, wie ist die Lage in Griechenland?
Vor kurzem hat die Arbeitsgruppe für Griechenland einer weiteren Kreditrate von 2,8 Milliarden Euro zugestimmt. Wir rechnen auch damit, dass Griechenland beim Treffen der Eurogruppe am 13. Mai noch eine Tranche von 6 Milliarden Euro erhalten wird. Alles ist gut gelaufen, weil wir am vergangenen Sonntag vom Parlament die Zustimmung für ein weiteres Paket von Reformgesetzen erhalten haben. In diesem Moment bin ich ganz zufrieden.
Den Fernsehbildern zufolge gab es auch vor den letzten Abstimmungen im Parlament wieder Proteste. Lassen Sie sich davon beeindrucken?
Im Gegenteil, es ist inzwischen ziemlich ruhig geworden. Ich habe von meinem Schreibtisch den Syntagma-Platz und das Parlament im Blick. Ich kann hier keine Demonstranten sehen. Selbst bei der Parlamentsdebatte über das letzte Reformpaket gab es nur 500 Demonstranten. Es war im Parlament und auf dem Platz so ruhig wie schon lange nicht mehr. Die Leute zeigen inzwischen viel Geduld und schätzen das, was wir tun.
Ist die soziale Lage noch schwierig, noch explosiv?
Wir sind in keiner Weise nahe an einer Explosion. Aber natürlich ist die soziale Lage schwierig. Denn die Löhne und die Renten sind kräftig reduziert worden, die Steuern sind stark gestiegen.
Und was haben Sie damit bisher erreicht?
Mehr als zwei Drittel der vorgegebenen Haushaltskorrekturen haben wir schon geschafft und zugleich all die Wettbewerbsnachteile durch hohe Lohnstückkosten wieder beseitigt. Wir haben sehr gute Ergebnisse vorzuzeigen.
Gibt es denn erste Anzeichen dafür, dass sich die Lage Griechenlands nun bessert?
Wir sind aus dem Schlimmsten heraus. Zwar haben wir noch einen langen Weg vor uns. Dennoch haben wir in den vergangenen sechs, sieben Monaten eine wichtige Wende geschafft. Wir haben die Haushaltssanierung auf den richtigen Pfad zurückgebracht. Nun habe ich alle Spezialisten, alle Statistiker gebeten, nach ersten Zeichen einer Wende der Wirtschaftslage Ausschau zu halten.
Was ist bisher dabei herausgekommen?
Aus der griechischen Zentralbank habe ich zum Beispiel gehört, dass sich die Industrieproduktion stabilisiert habe. Sie fällt nicht mehr, und wir sind wohl am tiefsten Punkt angekommen.
Braucht Griechenland nun eine Art Auslöser für eine wirtschaftliche Erholung?
Ich denke, der Tourismus könnte einen solchen Auslöser für einen Aufschwung zum Jahresende darstellen. Wenn sich die Tourismussaison so entwickelt, wie wir sie nach den derzeitigen Informationen aus den europäischen Hauptstädten einschätzen, dann könnten wir in der realen Wirtschaft bald eine Wende schaffen.
Welche Voraussetzungen müssen noch erfüllt sein, damit Griechenlands Wirtschaft eine positive Wende erlebt?
Die Banken müssen nach der bevorstehenden Rekapitalisierung wieder die reale Wirtschaft unterstützen. Die Einlagen fließen aber schon wieder zurück in die Banken, mit nur einer kleinen Unterbrechung wegen der Zypern-Krise. Doch inzwischen geht die Tendenz zur Erholung der Bankeinlagen weiter.
Wie sind die politischen Voraussetzungen für die Fortsetzung der Sanierung Griechenlands in Ihrer Drei-Parteien-Koalition?
Wir haben in der Koalition mittlerweile ein gutes politisches Klima. Die Partner erleichtern meine Arbeit als Finanzminister, weil sie keine irrationalen Forderungen stellen.
Wie weit sind Sie denn nun mit der Sanierung des Haushalts gekommen?
Allen Kassandrarufen zum Trotz erfüllen wir die Vorgaben. Von uns wird erwartet, dass wir 2014 einen Primärüberschuss erzielen, aber wir könnten das sogar schon 2013 schaffen. Es sieht so aus, als würde die Haushaltssanierung besser laufen, als von uns verlangt wird.
Zuletzt richteten sich alle Blicke auf die von Eurostat veröffentlichten Daten für das Haushaltsdefizit im Jahr 2012; mit 10 Prozent des Bruttoinlandsprodukts waren sie schlechter als erwartet. Haben Sie Ihre Ziele erreicht?
Da gab es offenbar ein Missverständnis. Zum regulären Defizit kam noch der Einmaleffekt von Geld für die Verluste der Banken. Aber wir werden bewertet nach den Ergebnissen beim Primärsaldo. Und der lag auch 2012 um 0,2 Prozentpunkte besser, als vorgegeben worden war. Das Ziel war ein Defizit von 1,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, wir haben aber 1,3 Prozent geschafft.
Welche Herausforderungen stehen gerade vor Ihnen?
Vor uns liegt die Privatisierung von zwei großen Unternehmen, des Wettveranstalters Opap und des nationalen Gasunternehmens Depa. Zum anderen geht es um die Rekapitalisierung der Banken. Das größte Institut, National Bank of Greece, bemüht sich entsprechend den Regeln, 10 Prozent des benötigten frischen Kapitals, rund 800 Millionen Euro, von privaten Geldgebern aufzutreiben. Die allererste Priorität ist natürlich, die Wirtschaft und die Staatsfinanzen auf Kurs zu halten.
Der griechische Staat hat nicht nur ein Schuldenproblem, sondern auch noch viele Verbindlichkeiten bei seinen Lieferanten.
Wir haben bereits begonnen, unsere Verbindlichkeiten zurückzuzahlen. Wir liegen im Plan und haben schon 3,7 Milliarden Euro von 8,7 Milliarden Euro bezahlt. Wenn wir bis zum Ende des Jahres den gesamten Betrag bezahlt haben, bedeutet das alleine einen Wachstumseffekt von einem Prozent des Bruttoinlandsprodukts.
Wann kann Griechenland finanziell wieder auf eigenen Füßen stehen?
Den wirklichen Test bestehen wir, wenn wir wieder an die Finanzmärkte zurückkehren können. Dafür müssen wir die Ziele für die Haushaltssanierung erreichen, das Privatisierungsprogramm abarbeiten und in der Wirtschaft wieder Wachstum erzielen. Dann brauchen wir keine Unterstützung mehr von unseren Partnern. Voraussetzung dafür ist politische Stabilität. Die Koalition muss noch die nächsten drei Jahre an diesen Zielen arbeiten und sich bewusst sein, dass unsere Arbeit erst am Ende der Wahlperiode bewertet wird. Daran glaube ich, und darauf hoffe ich. Und bisher läuft es gut.
Gab es nicht Streit in der Koalition über die von der Troika verlangte Entlassung von 15.000 öffentlichen Bediensteten?
Kein Streit, nur Diskussion. Das Ziel, die Zahl der öffentlichen Bediensteten bis 2015 um 150.000 Mitarbeiter zu reduzieren, wird allein mit der natürlichen Fluktuation erreicht. Von fünf Mitarbeitern, die in Rente gehen, wird nur einer ersetzt. Wir und die Troika wollen aber noch zusätzlich erreichen, dass Leute, die nicht den Anforderungen für den öffentlichen Dienst genügen, nun gehen müssen; das sind 15.000. Aber auf deren Positionen werden wir genauso viele junge Leute einstellen, um damit die Qualität des öffentlichen Dienstes zu verbessern. Einen weiteren Schritt werden wir zudem schaffen, wenn das Mindestalter für Beförderungen herabgesetzt wird. Wir haben in der Altersgruppe zwischen 35 bis 45 Jahren viele fähige Leute, und wenn wir sie in die Spitzenpositionen befördern können, werden Sie über Nacht einen völlig gewandelten öffentlichen Dienst sehen.
Aber die Griechen haben schon wieder Angst, dass auch die neuen Einstellungen wieder mit klientelaren Methoden vorgenommen werden.
Wir haben ein unabhängiges Auswahlverfahren alleine nach meritokratischen Kriterien, ohne Einfluss der Regierung.
Als Sie die Aufgabe des Finanzministers übernahmen, haben Sie gestöhnt über die Lage, die Sie vorgefunden haben?
Als mich der Ministerpräsident fragte, konnte ich nicht nein sagen, denn mein Land ist in einem Zustand wie in einem Krieg. Ich musste meinem Land dienen und gab dafür eine gut bezahlte Position in der Privatwirtschaft und meine Professur an der Universität auf. Ich weiß, dass die Aufgabe schwierig ist, und ich bin entschlossen, sie zu erfüllen. Keine Aufgabe ist unmöglich, wenn man Stehvermögen hat und die richtige Politik verfolgt.
Es gibt in anderen Ländern die These, die ganze Griechenland-Krise sei vermeidbar gewesen, wenn nur am Anfang Angela Merkel schnell genug einen großen Scheck ausgestellt hätte. Was meinen Sie dazu?
Das ist virtuelle Geschichte. Das werden wir niemals wissen. Gesichert ist, dass Europa keinen Rettungsmechanismus hatte. Der Fall Griechenland wurde daher leider ein Experiment. Doch Europa hatte am Ende den Willen und die Kraft, einen Rettungsmechanismus zu schaffen. Nun haben wir unsere Lektion gelernt. Wir brauchen definitiv eine Bankenunion, eine bessere Koordination unserer Wirtschaftspolitik, Wirtschaftswachstum und offene Diskussionen über die Wachstumspolitik.
Über was wollen Sie dabei diskutieren?
Mein Freund und Kollege Wolfgang Schäuble ist in diesem Punkt zwar nicht einer Meinung mit mir, aber wir müssen uns daran erinnern, dass Keynes schon bei den Verhandlungen über das Währungssystem von Bretton Woods im Jahr 1944 sagte, dass in einem System fester Wechselkurse bei einer Deflation oder Sparpolitik in allen Ländern das Ergebnis Rezession heißt. Das System der festen Wechselkurse ist dann in Gefahr. Wir müssen einen Weg finden, dass die Länder, die Vorteile aus der Krise haben, ihren Gewinn mit den anderen Ländern teilen.
Wer hat Ihrer Meinung nach Vorteile aus der Krise?
Deutschland und die anderen Triple-A-Länder sind die Gewinner. Denn dort sind die Zinsen kräftig gefallen, nicht nur für die Staaten, sondern auch für die Unternehmen.
Haben Sie persönlich Probleme mit Deutschland?
Ich sehe wirklich keine Probleme. Ich glaube an politische Strategien zu beiderseitigem Vorteil und bin überzeugt davon, dass es zu jedem Problem eine Lösung und einen Kompromiss gibt.
Liegt Ihrer Meinung nach der Grund für die gegenwärtige Krise in der mangelnden Wettbewerbsfähigkeit mancher europäischer Länder auf dem Weltmarkt oder an der Austerität?
Beide Gründe sind wichtig. Nehmen wir Griechenland als Beispiel. Nach dem Beitritt zur Währungsunion hat das Land tragische Fehler gemacht. Es hat den Staatssektor aufgebläht, was zugleich das Haushaltsdefizit und die Wettbewerbsfähigkeit negativ beeinflusste. Griechenland hat Märkte und Berufsstände nicht liberalisiert und sich aus dem Weltmarkt herausgepreist. Bei den Staatsfinanzen hat Griechenland eine Blase erzeugt. Nun hat Griechenland seit 2009 harte Einschnitte vollzogen, mit Kürzungen bei Löhnen und Renten, weniger öffentlichen Ausgaben und niedrigerem Defizit. Obwohl damit die Wettbewerbsfähigkeit wiederhergestellt wurde, entstand eine riesige Rezession, denn die Anpassungsmaßnahmen wirken prozyklisch. Es gibt keinen Mechanismus, der Griechenland aus der Rezession bringt; trotz gesunkener Lohnstückkosten liegt daher die Arbeitslosenquote bei 27 Prozent und die Jugendarbeitslosenquote bei 56 Prozent. Die Wiederherstellung der Wettbewerbsfähigkeit half dem Arbeitsmarkt nicht.
Hat Griechenland denn ein Geschäftsmodell für seine Wirtschaft?
Griechenland hat immer ein Geschäftsmodell gehabt, ist gut bei Dienstleistungen, im Tourismus und hat Unternehmen im produzierenden Gewerbe, die exportieren. Griechenland hatte nur eine Blase bei den öffentlichen Finanzen, aber nie in der realen Wirtschaft. Wir hatten keine Explosion bei den Immobilienpreisen oder den Ausleihungen der Banken. Nun müssen wir Anreize dafür schaffen, dass Investitionen in diejenigen Unternehmen fließen, die Dienstleistungen und Güter exportieren oder Einfuhren ersetzen können. Wir müssen freie Berufe und Märkte liberalisieren. Das ist schmerzhaft, denn während des Übergangsprozesses entsteht Arbeitslosigkeit, und wir haben kein Geld für ein soziales Netz. Doch die Griechen sind geduldig. Es gibt nur noch Proteste aus dem öffentlichen Dienst. Die Vorhersagen, dass bei den Protesten Athen niedergebrannt würde, haben sich nicht bestätigt. Die Leute sind still geworden, denn sie sehen das Licht am Ende des Tunnels.
Und was ist mit den Perspektiven eines Austritts Griechenlands aus dem Euro?
All die Analysten, die erwartet haben, dass Griechenland die Währungsunion verlassen würde, haben nun ihr Urteil bereut. Sie haben Leute dazu verleitet, Geld auf das Auseinanderbrechen des Euro zu setzen. Doch die haben damit Geld verloren, und das ist gut so. Wenn die schlechten Spekulanten ihr Geld verlieren, wird damit das System stabilisiert.
Was ist Ihre Vision für Griechenland?
Wir streben nicht nur danach, die öffentlichen Schulden zu reduzieren und bis 2020 ein Griechenland ohne Haushaltsdefizite zu haben. Wir wollen wettbewerbsfähig sein, exportieren statt nur konsumieren. Es gibt wohl kein Krisenland, dass einen so hohen Preis an Lohn- und Rentenkürzungen oder Arbeitslosigkeit bezahlt hat. Nun sind wir kurz vor dem Ziel und wollen nicht scheitern.
Zur Person
Yannis Stournaras, 56 Jahre, ist seit Juli vergangenen Jahres der griechische Finanzminister. Er musste kurzfristig einspringen, weil ein von Ministerpräsident Antonis Samaras ernannter Politiker aus gesundheitlichen Gründen die diversen Verhandlungsmarathons nicht durchstehen konnte. Mit Stournaras zog dann ein Fachmann in das Athener Finanzministerium ein. Es hat seinen Sitz wie das griechische Parlament direkt an dem immer wieder für Demonstrationen genutzten Syntagma-Platz.
Der Ökonom Stournaras wurde geprägt von Aufbaustudium und Dozententätigkeit in Oxford. Seit 1989 lehrt Stournaras an der Universität Athen, doch war er gleichzeitig immer wieder als Berater in Griechenland tätig, auch bei den Verhandlungen über die Aufnahme Griechenlands in die Währungsunion. Zeitweise war Stournaras Vorstandsvorsitzender der inzwischen übernommenen Emporiki Bank. Zuletzt war er Chef des arbeitgebernahen Wirtschaftsforschungsinstituts Iobe und forderte in dieser Position immer wieder grundlegende Reformen für Griechenland.

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