Euro-Krise
"Die Zeche zahlen die deutschen Sparer"
Für den Chefvolkswirt der Deutschen Bank, David Folkerts-Landau, hat das Zypern-Debakel zu unnötiger Verunsicherung geführt. Für ihn ist das Vertrauen der Bürger in die Politik zerstört. Von Jörg Eigendorf und Sebastian Jost
David wer? Das Staunen war hierzulande groß, als die Deutsche Bank im vergangenen Jahr den Namen ihres neuen Chefvolkswirts bekannt gab. Während seine Vorgänger Norbert Walter und Thomas Mayer Dauergäste in deutschen Medien waren, kannten David Folkerts-Landau nur Experten.
Ihnen ist er jedoch bestens vertraut: Der 63-Jährige leitet seit 1997 die Finanzmarkt-Analyse bei der Deutschen Bank in London. Seit über zehn Jahren investiert der Ostfriese in seiner Heimat in Ackerland. Fachgespräche führt er, der vor seiner Zeit in London beim Internationalen Währungsfonds in Washington arbeitete, aber lieber auf Englisch.
Welt am Sonntag: Herr Folkerts-Landau, vom Chefvolkswirt der Deutschen Bank war man viel öffentliche Präsenz bis in die "Tagesthemen" gewohnt – bis Sie im Juni 2012 kamen. Wo haben Sie seither gesteckt?
David Folkerts-Landau: Ich sehe meine Rolle nicht darin, mich öffentlich in jede politische Debatte einzumischen. Meine Kernaufgabe ist es, die aktuellen Entwicklungen in der Weltwirtschaft und auf den Weltmärkten zu analysieren und dabei auch die Folgen von politischem Handeln offenzulegen. Dazu verbringe ich viel Zeit mit Investoren und Regierungsvertretern weltweit. Mir geht es weniger darum zu sagen, was Regierungen tun sollten, sondern darum, vorherzusagen, wie sich die Welt entwickeln könnte.
Welt am Sonntag: Dann bitte: Welche Folgen wird das chaotische Krisenmanagement in Zypern für die Euro-Zone haben?
Folkerts-Landau: Es hat für unnötige Verunsicherung gesorgt, vor allem wegen der zunächst vorgesehenen Abgabe auf alle Spareinlagen, auch auf die kleinen. Da ist Vertrauen in die Politik zerstört worden. In zukünftigen Krisenfällen könnten die Sparer aus Sorge um ihr Geld überreagieren und Kapitalabflüsse verursachen, die destabilisierend wirken. Das Risiko hierfür ist sicherlich nach Zypern gestiegen – trotz der Korrekturen am Rettungspaket.
Welt am Sonntag: Die Angst vor jeder Destabilisierung hat in der Finanz- und Euro-Krise zu einer Rettungsspirale geführt, aus der wir nicht mehr herauskommen.
Folkerts-Landau: Weil die wirklichen Probleme nur zögerlich angegangen werden. Nur so werden diese Länder wieder genügend nachhaltiges Wachstum erreichen, um ihre Schuldenlast langfristig tragen zu können. Schauen Sie sich die 25-prozentige Jugendarbeitslosigkeit in Spanien an: Sie ist nicht in erster Linie die Folge einer zu geringen gesamtwirtschaftlichen Nachfrage, sondern einer falschen Arbeitsmarktpolitik. Ältere genießen Kündigungsschutz, junge Leute werden benachteiligt. All das lässt sich korrigieren, aber die Reformen sind schmerzhaft, weil es nicht nur Gewinner, sondern auch Verlierer gibt. Die Frage ist, ob diese Reformen tatsächlich kommen.
Welt am Sonntag: Sie glauben nicht mehr daran?
Folkerts-Landau: Politiker können solch schmerzliche Reformen nur durchsetzen, wenn ihnen die Wähler abnehmen, dass sie im Interesse des Landes insgesamt handeln. Sie brauchen also das Vertrauen ihres Volkes. Genau daran fehlt es in Italien, Frankreich oder Spanien. Die Staaten haben nicht nur wirtschaftliche Defizite, sie haben ein politisches Vertrauensdefizit.
Welt am Sonntag: Was meinen Sie konkret damit?
Folkerts-Landau: Die Bevölkerung in der Peripherie stellt sich nicht gegen Reformen, die notwendig sind, um wettbewerbsfähig zu werden. Sie stellt sich gegen die Politik. Es gibt zu viele Skandale, zu viele Interessengruppen, die Reformen blockieren können. Die jetzige Regierungskrise in Frankreich ist da ein gutes Beispiel. Ein führender Regierungsvertreter muss nach langem Leugnen zugeben, dass er ein schwarzes Konto in der Schweiz hat! So verliert eine Regierung das Vertrauen und ihre Fähigkeit, Reformen zu verabschieden. Deutschland bildet da eine löbliche Ausnahme. Es steht sehr gut da.
Welt am Sonntag: Ist das nicht ein allzu positiver Blick?
Folkerts-Landau: Nein, Deutschland ist seit Jahrzehnten deutlich besser regiert worden als andere Länder und hatte mehrere außerordentlich gute Kanzler. Gerhard Schröder hat für Sozialreformen, die bitter nötig waren, seine politische Karriere geopfert – nennen Sie mir einen Politiker in Südeuropa, der dazu bereit wäre. Und Angela Merkel zählt für mich zu den besten Kanzlern der Nachkriegsgeschichte. Ich habe mich lange mit ihrer Rolle in der jetzigen Krise beschäftigt. Sie handelt pragmatisch, nicht ideologisch.
Welt am Sonntag: Sie loben ausgerechnet eine Regierungschefin, die wirtschaftspolitisch nahezu untätig war?
Folkerts-Landau: Untätig? Sie hat maßgeblich dafür gesorgt, Europa zu retten. Ohne Frau Merkel wäre viel mehr Geld in die Peripherieländer geflossen. Dann wären dort Reformanreize geringer gewesen, die Stimmung in Deutschland wäre gekippt und eine antieuropäische Mehrheit entstanden. Der Kanzlerin ist dieser schwierige Balanceakt bislang gelungen: Sie hat den Krisenländern geholfen, ohne die deutschen Wähler zu überfordern.
Welt am Sonntag: Gleichzeitig ist die Europäische Zentralbank (EZB) zum Dauerretter geworden. Werden die weltweite Expansion der Geldmenge und die niedrigen Zinsen nicht irgendwann in hohen Inflationsraten enden?
Folkerts-Landau: Ich glaube nicht, dass wir bald hohe Inflationsraten sehen werden. Aber die finanzielle Repression führt zu einer schleichenden Entwertung der Ersparnisse in Deutschland. Das heißt, solange die Zinsen nahe bei null und damit deutlich unter der Teuerungsrate liegen, schrumpft die Kaufkraft der Ersparnisse. Dies hilft der Regierung erheblich, ihre Schuldenprobleme zu lösen, aber die Zeche zahlen die Sparer.
Welt am Sonntag: Ist die Inflationsrate nicht ohnehin ein Irrlicht? Auf vielen Märkten, zum Beispiel bei Immobilien und Luxusgütern, gibt es doch längst sehr hohe Preissteigerungsraten.
Folkerts-Landau: Ja, die "offizielle" Inflationsrate lässt sich in diesen Zeiten nur noch sehr begrenzt als Erfolgsindikator für die Politik einer Zentralbank heranziehen. In der Tat hat das massive Wachstum der Geldmenge bisher nicht die wirtschaftliche Tätigkeit beschleunigt, aber auch nicht zu einem Ansteigen der Inflationsrate geführt. Die Überschussliquidität fließt in reale Vermögenswerte wie Immobilien und produziert dort zweistellige Inflationsraten und Blasen.
Welt am Sonntag: Die Zentralbanken in Amerika oder Europa haben doch keine Chance mehr gegenzusteuern – wenn sie die Zinsen erhöhen, kollabieren reihenweise Banken und Staaten.
Folkerts-Landau: Vor uns liegt die große Herausforderung, die Geldmengen wieder auf ein historisch normales Niveau zu bringen. Aber wenn Investoren beginnen, eine Verschärfung der Geldpolitik zu erwarten, könnte dies zu einem signifikanten und raschen Ausstieg aus riskanten Vermögenswerten und einem Heraufschnellen der Zinsen führen. Ein Anstieg des weltweiten Zinsniveaus würde es hoch verschuldeten Ländern wie Japan und den USA erschweren, ihre Schulden zu bedienen. Die Handlungsfähigkeit der Zentralbanken ist sicher beschädigt worden.
Welt am Sonntag: Also haben die Zentralbanken die Geldpolitik zu sehr gelockert?
Folkerts-Landau: Ja, die Angst vor geringem Wachstum ist irrational groß geworden. Die Notenbanken verhalten sich so, als befänden wir uns mitten in der Großen Depression, und feuern mit ihren allerschwersten Waffen. Und wirklich gebracht hat es wenig. Nachhaltiges Wachstum ist jedenfalls noch nicht wieder entstanden. Wir befinden uns mitten in einem historischen Experiment, dessen Ausgang niemand kennt: Eine extrem expansive Geldpolitik könnte zum Dauerzustand werden. Und die eigentlich notwendigen Strukturreformen werden auf die lange Bank geschoben.
Welt am Sonntag: Sie halten die Ankündigung der EZB, Staatsanleihen zu kaufen, wenn Regierungen unter den Euro-Rettungsschirm schlüpfen, also für falsch?
Folkerts-Landau: Als letztes Mittel, zum Beispiel in einer Depression, sind Staatsanleihekäufe denkbar, aber die EZB hat diese Karte vergangenen Sommer sehr früh ausgespielt. Mit dem Argument, der Transmissionsmechanismus der Geldpolitik sei gestört, lässt sich praktisch jede Maßnahme rechtfertigen.
Welt am Sonntag: Sie sind also auf einer Linie mit Bundesbankpräsident Jens Weidmann?
Folkerts-Landau: Ja, natürlich. Die EZB hat mehrfach zu früh interveniert und damit die Regierungen vom Haken gelassen. Ohne die harte Haltung des Bundesbankpräsidenten wäre es aber noch schlimmer gekommen. Wir sind dabei, das Vertrauen in die großen Zentralbanken zu schwächen, ohne die Wachstumsraten nachhaltig zu steigern; dazu braucht man nämlich Strukturreformen. Die EZB sollte es nicht als ihre oberste Priorität ansehen, den Euro zu erhalten – das entlastet die reformbedürftigen Länder zu sehr. Sie sollte ihren Bundesbankgenen treu bleiben und der Kaufkraftstabilität des Geldes höchste Priorität geben.
Welt am Sonntag: Welches Land bereitet Ihnen denn derzeit die größten Sorgen in Europa: Italien oder Spanien?
Folkerts-Landau: Weder noch. Das kritische Land für Europa ist Frankreich. Ich merke immer wieder, wenn ich Zeit in Frankreich verbringe, dass viele Leute es immer noch nicht begriffen haben, dass Frankreich ohne eine Agenda 2010 weit über seinem Niveau lebt. Die niedrigen Finanzierungskosten sind dort nur eine Momentaufnahme und könnten im Fall einer Vertrauenskrise schnell steigen angesichts der ungelösten strukturellen Probleme der französischen Wirtschaft.
Welt am Sonntag: Und Sie trauen der Regierung von Präsident François Hollande nicht zu, diese Probleme zu lösen?
Folkerts-Landau: Es geht nicht um einzelne Politiker, sondern um eine Grundsatzentscheidung. Der Sozialstaat, wie er in einigen Ländern Europas gelebt wird, ist nicht nachhaltig ohne hohes Wachstum. Die soziale Marktwirtschaft erfordert effiziente Strukturen im Umgang der Sozialpartner miteinander, das heißt einen gesellschaftlichen Grundkonsens zu stetigen wirtschaftlichen Veränderungen. Das Bewusstsein dafür gibt es allerdings nicht überall. Wenn Frankreich sich auf Dauer dagegen wehrt, die schmerzhaften Reformen durchzuführen, die notwendig sind, um ein höheres Wirtschaftswachstum zu erreichen und wettbewerbsfähig zu bleiben, dann könnte es womöglich mit den Südländern eine Allianz gegen Deutschland bilden. Deshalb ist Frankreich so wichtig für die Zukunft Europas.
© Axel Springer AG 2013.
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